Berlin. Die Zahl der Ruheständler, die auf Hilfe vom Sozialamt angewiesen sind, ist hoch wie nie. Erste Stimmen fordern radikale Konsequenzen.
Der rasante Preisanstieg bringt viele Verbraucher hierzulande an die Grenze ihrer finanziellen Möglichkeiten. Lebensmittel sind spürbar teurer geworden, auch Energie kostet immer noch mehr als vor Beginn des Ukraine-Kriegs. Restaurantbesuche oder Reisen haben sich ebenfalls deutlich verteuert. Ökonomen rechnen für das laufende Jahr mit einer Inflationsrate von rund sechs Prozent. Der Preisauftrieb belastet insbesondere Menschen, die ohnehin wenig Geld haben. Dazu zählen auch Senioren mit geringen Renten.
Wie aus aktuellen Daten des Statistischen Bundesamts hervorgeht, greift die Altersarmut in Deutschland immer weiter um sich: Die Zahl der Menschen im Rentenalter, die Hilfe vom Sozialamt benötigen, ist so hoch wie nie zuvor. Die Daten, die dieser Redaktion exklusiv vorliegen, erstellten die Wiesbadener Statistiker im Auftrag der Linksfraktion im Deutschen Bundestag.
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Demnach waren zum Ende des ersten Quartals 2023 rund 684.000 Senioren auf Grundsicherung im Alter angewiesen. Gegenüber dem Dezember entspricht das einem Anstieg um rund 25.000 Personen. Auf Jahressicht gesehen nahm die Zahl der Fälle sogar um rund 90.000 zu, das ist ein Anstieg um 15 Prozent. Frauen sind besonders häufig von Altersarmut betroffen: Zuletzt waren sechs von zehn Beziehenden der Grundsicherung im Alter weiblich.
Altersarmut: Die Mehrzahl der Betroffenen sind Frauen
Die Leistung kann beantragen, wer die Regelaltersgrenze für die Rente überschritten hat und über zu geringe Einkünfte verfügt, um die Lebenshaltungskosten zu decken. Auch ukrainische Kriegsflüchtlinge im Rentenalter können dies seit etwas mehr als einem Jahr tun, Asylbewerber hingegen nicht. Ein erheblicher Teil der neuen Fälle dürfte auf diese Gruppe zurückgehen. Zuständig sind die örtlichen Sozialämter.
Für Alleinstehende beträgt der monatliche Regelsatz in der Grundsicherung 502 Euro. Er ist damit so hoch wie beim Bürgergeld (ehemals Arbeitslosengeld II beziehungsweise Hartz IV). Besonders viele Menschen im Rentenalter, die Grundsicherung beziehen, gab es zuletzt im bevölkerungsreichsten Bundesland Nordrhein-Westfalen. Dort registrierten die Statistiker 184.000 Fälle. In Niedersachsen waren es 69.000, in Berlin 48.000, in Hamburg 31.500 und in Thüringen 7.800.
Bartsch: „Ergebnis der verheerenden Politik der letzten Jahre“
Der Vorsitzende der Linksfraktion im Bundestag, Dietmar Bartsch, sagte dieser Redaktion mit Blick auf den bundesweiten Trend: „Jedes Quartal kommen Menschen in der Größenordnung einer Kreisstadt bei der Altersarmut dazu. Die Zahlen sind alarmierend und auch Ergebnis der verheerenden Politik der letzten Jahre. Inflation und Krieg treiben die Zahlen besonders an.“
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Bartsch äußerte die Vermutung, dass die tatsächliche Zahl der von Altersarmut betroffenen Menschen viel höher liegen dürfte als die amtliche Statistik nahelegt. „Viele gehen aus Scham nicht zum Sozialamt“, so der Fraktionsvorsitzende. Notwendig sei eine konsequente Anti-Inflationspolitik in Deutschland mit Preissenkungen und lückenlosen Preiskontrollen vor allem bei Lebensmitteln und Energie.
Bartsch ergänzte, die Rente brauche „eine Generalüberholung“. Er fordert „eine einmalige Rentenerhöhung von zehn Prozent als Inflationsausgleich statt einer Inflationsprämie für Minister und Staatssekretäre, ein Rentenniveau von 53 Prozent und eine Mindestrente von 1200 Euro als Schutzschirm gegen Altersarmut.“
Regierung: Kabinett gönnt Staatsdienern 3000 Euro Inflationsprämie
Das Bundeskabinett hatte am Donnerstag beschlossen, den jüngsten Tarifabschluss für den öffentlichen Dienst inklusive 3000 Euro Inflationsprämie auf Bundesbeamte, Richter und Soldaten zu übertragen. Davon profitieren auch Kanzler Olaf Scholz (SPD) und seine Minister. Scholz und diverse Ressortchefs haben allerdings bereits angekündigt, die Prämie zu spenden.
Diejenigen Senioren, die Hilfe vom Sozialamt benötigen, profitieren nicht von der jüngsten Erhöhung der gesetzlichen Renten: Wer eine Rente hat, bekommt zwar ebenfalls mehr Geld von der Rentenkasse überwiesen. Die Grundsicherung vom Sozialamt wird aber im selben Maße reduziert. Unterm Strich handelt es sich also um ein Nullsummenspiel. Zur Begründung heißt es vonseiten der Bundesregierung, dass die aus Steuermitteln finanzierte Grundsicherung lediglich dazu diene, das soziokulturelle Existenzminimum zu gewährleisten, wenn das eigene Einkommen nicht ausreicht.
Die Bezüge der rund 21 Millionen Rentnerinnen und Rentner in Deutschland waren zum 1. Juli deutlich gestiegen – im Westen um 4,39 und im Osten um 5,86 Prozent. Das gilt entsprechend auch für Erwerbsminderungsrenten sowie Witwen und Witwer. Da die Inflationsrate jedoch im laufenden Jahr abermals höher sein dürfte als die Rentenanpassung, werden sich viele Ruheständler unterm Strich weniger kaufen können.