Moskau. 2013 strandete der Whistleblower auf der Flucht vor der Justiz in Moskau. Zu Putins Politik schweigt er – auch, weil er keine Wahl hat.
Um 10.55 Uhr Ortszeit hob die Aeroflot-Maschine in Hongkong ab Richtung Moskau. Mit an Bord war der amerikanische Whistleblower Edward Snowden, begleitet von der Wikileaks-Mitarbeiterin Sarah Harrison. Das war am 23. Juni 2013, heute auf den Tag genau vor zehn Jahren. Snowden hatte ein Flugticket nach Havanna gekauft, eigentlich wollte er weiter nach Ecuador. Doch seine Flucht endete ausgerechnet in Russland – im Transitbereich des Moskauer Flughafens Schweremetjewo.
40 Tage verbrachte er im Flughafen, während sich die Weltpresse um Interviews mit ihm bemühte. Seinen Pass hatten die Behörden der USA inzwischen annulliert. Schließlich erhielt Edward Snowden in Russland Asyl. Unter einer Bedingung, so damals Kremlchef Wladimir Putin auf einer Pressekonferenz: „Er muss seine Arbeit einstellen, die darauf abzielt, unseren amerikanischen Partnern zu schaden, so seltsam das auch klingen mag, wenn es aus meinem Mund kommt.“
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Edward Snowden arbeitete als technischer Mitarbeiter für die US-Geheimdienste CIA, NSA und DIA. Bereits im Jahr 2007, von der CIA nach Genf geschickt, habe er ungehinderten Zugang zu geheimen Überwachungsdaten gehabt. Damals seien ihm erstmals Zweifel an der Rechtmäßigkeit seiner Arbeit gekommen: „Ich erkannte, dass ich Teil von etwas geworden war, das viel mehr Schaden anrichtete als Nutzen brachte.“
USA: Ungehinderter Zugang zu geheimen Überwachungsdaten
Später war Snowden für ein Beratungsunternehmen im Auftrag der NSA tätig, hatte Zugang zu streng geheimen Überwachungsprogrammen der weltweiten Internet-Kommunikation. Die durch diese Programme gewonnenen Daten wurden gespeichert, Gebäude der EU und der Vereinten Nationen waren wohl verwanzt, zahlreiche führende Politiker, auch verbündeter Staaten, wurden abgehört.
Snowden gab diese Informationen an die Filmemacherin Laura Poitras und den Journalisten Glenn Greenwald weiter, der diese dann veröffentlichte. Der NSA-Abhörskandal erschütterte die Welt, Snowden entzog sich einer möglichen Auslieferung an die USA aus Hongkong durch seine Flucht.
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Snowden und seine Frau Lindsay bemühten sich nach der Geburt ihres Sohnes 2020 um die russische Staatsbürgerschaft, um die gleichen Rechte wie das Kind zu haben, das automatisch Russe wurde. Ihre amerikanische Staatsbürgerschaft wollten sie aber nicht aufgeben. „Ich bin in Russland, weil das Weiße Haus mit Absicht meinen Pass annulliert hat, um mich hier festzusetzen“, sagte Snowden. Im September letzten Jahres schließlich erkannte ihm Putin die russische Staatsbürgerschaft zu.
Snowden lebt an einem geheimen Ort
Die Reaktion Washingtons fiel erwartbar aus. Ned Price, der Sprecher des US-Außenministeriums, sagte, Snowden habe bereits seit langem Moskau seine Treue signalisiert. Die russische Staatsbürgerschaft bestätige das. Belege einer Zusammenarbeit Snowdens mit den Russen gibt es aber nicht. Snowden lebt mit seiner Familie auf Distanz, an einem geheimen Ort, ist kaum in der russischen Öffentlichkeit zu sehen. Er selbst hat immer wieder erklärt, nicht mit Russlands Behörden zusammenzuarbeiten. Nach eigenen Angaben wird Snowden in seinem russischen Exil in Ruhe gelassen.
Die USA fordern nach wie vor Snowdens Auslieferung wegen Spionagevorwürfen. „Dies ist immer noch eine strafrechtliche Untersuchung“, so der Sprecher des Weißen Hauses. Russland hingegen schlachtet den Fall seit damals aus, um den USA „Doppelmoral“ vorzuwerfen, weil das Land zwar weltweit Freiheit und Demokratie predige, aber Snowden und andere politisch verfolge. Snowden selbst verteidigt seinen Aufenthalt in Russland. Er habe damals Lateinamerika und auch Europa im Blick gehabt als Asyl-Ziele, aber kein Land habe ihm Sicherheit gewährleisten können, sagte er Anfang Juni in einem Interview.
Snowden äußert sich nicht zur russischen Politik
Was er selbst tun würde, wenn er US-Präsident wäre, wurde Snowden vor kurzem gefragt. Seine Antwort auf Twitter: „Ich würde die Zahl der Dinge, die wir als geheim einstufen, um mehr als 99 Prozent reduzieren.“ Snowden, der im Vorstand der US-Stiftung „Freedom of the Press Foundation“ ist, forderte, dass auch mehr getan werden müsse für den Schutz von Journalisten und Whistleblowern, die Missstände aufdecken. Snowden sehe sich in der Tradition des russischen Dissidenten und Friedensnobelpreisträgers Andrej Sacharow, sagte Kremlchef Putin damals.
Doch inzwischen hat Putin nicht nur das Sacharow-Zentrum in Moskau schließen lassen, sondern auch freie Medien und einen großen Teil der zivilgesellschaftlichen Nichtregierungsorganisationen zerschlagen. Für einen Menschen wie Snowden, der sich Sacharow verpflichtet fühlt, ist im Grunde kaum noch Platz in Russland. Aber er selbst äußert sich auch nicht öffentlich zur russischen Politik.
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In den USA gelten auch unter der Regierung von Präsident Joe Biden weiter die Anklagepunkte von 2013 – unter anderem der Verstoß gegen ein Spionagegesetz. Würde er verurteilt, könnte allein das bereits zehn Jahre Haft für ihn bedeuten. Einem Prozess in den USA würde er sich unter Bedingungen stellen, sagte Snowden vor einigen Jahren im US-Fernsehsender CBS. Dazu gehöre, dass das Verfahren öffentlich wäre und eine Jury die Motive Snowdens gegen seine Schuld abwägen könnte. „Ich bitte nicht um Begnadigung“, sagte Snowden. Es gehe ihm allein um ein faires Verfahren.
Einen Prozess unter diesen Bedingungen würde es wohl nicht geben. Am Mittwoch feierte Edward Snowden seinen 40. Geburtstag. In Moskau. Wo er auch weiterhin bleiben wird.