Berlin. Sachbeschädigungen, Hackerangriffe, Sitzblockaden: Laut Umfrage ist das für viele junge Menschen als Mittel des Protests in Ordnung.

Sitzblockaden, Klimakleber, Hackerangriffe: Wie kommen radikale Formen des politischen Protests bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen an? Was finden sie noch in Ordnung – und was stört sie? Eine neue Umfrage ist dieser Frage jetzt nachgegangen.

„Es gibt offenbar eine große Unzufriedenheit und einen pessimistischen Blick in die Zukunft. Darauf reagieren junge Menschen in vielfältiger Form. Manche von ihnen radikaler als andere“, sagt Thorsten Faas. Der Politikwissenschaftler an der FU Berlin hat die Studie „Junges Europa 2023“ begleitet. Darin wurden Menschen im Alter von 16 bis 26 Jahren in sieben Ländern zu ihren politischen Einstellungen befragt. Ein Teil der Umfrage, die das Marktforschungsinstitut YouGov im Auftrag der Tui-Stiftung durchgeführt hat, liegt unserer Redaktion exklusiv vor.

Einstellungen zu politischem Protest: Es gibt nicht „die“ Jugend

Als geeignete Mittel, um die eigene Meinung zu äußern, politisch Einfluss zu nehmen und Protest sichtbar zu machen, sieht die große Mehrheit der jungen Deutschen Unterschriftensammlungen und Online-Petitionen, Demonstrationen und Versammlungen, Wahlen, Mitarbeit in Parteien, Vereinen oder Bürgerinitiativen sowie das Teilen von politischen Beiträgen, etwa in sozialen Medien.

Die Antworten zu radikalen Protestformen fallen dagegen zwiegespalten aus. 40 Prozent der Befragten zwischen 16 und 26 Jahren halten Sitzblockaden und Blockaden von Infrastruktur für gerechtfertigt. Mit 44 Prozent sprechen sich nur etwas mehr gegen dieses Mittel aus. Die Besetzung von Gebäuden oder Gebieten finden 40 Prozent in Ordnung – 42 Prozent sehen das nicht so.

Im Gegensatz zur Gesamtbevölkerung halten viele junge Menschen zivilen Ungehorsam als Protestform für gerechtfertigt.
Im Gegensatz zur Gesamtbevölkerung halten viele junge Menschen zivilen Ungehorsam als Protestform für gerechtfertigt. © dpa | Christoph Soeder

Ähnliche Zahlen gibt es im Hinblick auf die Störung von Veranstaltungen: 41 Prozent sind dafür, 42 Prozent dagegen. Während sich 48 Prozent gegen Hackerangriffe aussprechen, werden sie von 34 Prozent befürwortet. Sachbeschädigung lehnen 58 Prozent der Befragten ab. 27 Prozent halten dieses Mittel für gerechtfertigt. Politikwissenschaftler Faas hält fest: „Es gibt kein einheitliches Bild. Es gibt nicht ‘die’ Jugend. Sie ist vielschichtig.“

Junge Menschen: So unterscheidet sich ihre Meinung vom Rest der Bevölkerung

Im Vergleich mit der Gesamtbevölkerung (ab 18 Jahren) fällt auf: Junge Deutschen halten radikalere Formen des politischen Protestes öfter für gerechtfertigt als der Durchschnitt.

  • Sachbeschädigung halten 27 Prozent der Altersgruppe von 16 bis 26 Jahren für gerechtfertigt – aber nur 15 Prozent der Gesamtbevölkerung.
  • 34 Prozent der jungen Menschen sprechen sich für Hackerangriffe aus. Bei der gesamten Bevölkerung sind es nur 18 Prozent.
  • Jeweils rund 40 Prozent der jungen Befragten finden Sitzblockaden, Störungen von Veranstaltungen und Gebäudebesetzungen in Ordnung – in der Gesamtbevölkerung ist es nur etwa jeder Vierte.
  • Außerdem zeigt sich: Junge Menschen beteiligen sich öfter an Demonstrationen und teilen häufiger politische Beiträge in sozialen Medien.

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Schadet ziviler Ungehorsam oder bringt er das Anliegen voran? Was Jugendliche sagen

Generell gilt mit Blick auf Mittel des zivilen Ungehorsams, also auf Protestformen, die sich bewusst über Grenzen und rechtliche Normen hinwegsetzen: 15 Prozent der jungen Deutschen glauben, dass solche Mittel positive Auswirkungen haben. 39 Prozent dagegen sind der Meinung, sie schadeten dem Anliegen. 25 Prozent waren unentschieden, 21 Prozent machten keine Angabe. Politikexperte Faas betont: „Diese 15 Prozent unter den jungen Deutschen sind kein unerheblicher Anteil. Das muss man schon ernst nehmen.“

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Im Vergleich mit der Gesamtbevölkerung zeigt sich, dass junge Deutsche sich eher für zivilen Ungehorsam aussprechen. Über alle Altersgruppen hinweg finden nur zehn Prozent zivilen Ungehorsam gerechtfertigt, die Hälfte lehnt ihn ab. 26 Prozent sind unentschieden, 14 Prozent machten keine Angaben.

Jugendliche in anderen Ländern sprechen sich häufiger für zivilen Ungehorsam aus

Interessant ist hier ein Blick auf die anderen Länder. Als Beispiel: In Frankreich sind mit 27 Prozent fast doppelt so viele Menschen im Alter von 16 bis 26 Jahren der Meinung, dass ziviler Ungehorsam positive Folgen haben kann – ähnlich sieht es im Vereinigten Königreich (27) und in Griechenland (26) aus. „Die Akzeptanz für unkonventionelle Formen ist in anderen Ländern ein Stückchen höher, was zum Beispiel an kulturellen Unterschieden liegen kann“, so Faas.

Zivilen Ungehorsam gab es in der Historie als Form der Meinungsäußerung immer wieder.
Zivilen Ungehorsam gab es in der Historie als Form der Meinungsäußerung immer wieder. © dpa | Kay Nietfeld

Historisch betrachtet seien diese Mittel zur Meinungsäußerung aber nicht neu. „Nachwachsende Generationen versuchen immer, das bestehende System und seine Eliten herauszufordern.“

Hintergrund der Umfrage: Wer teilgenommen hat und wie sie durchgeführt wurde

In der Studie „Junges Europa“ wurden insgesamt 7.085 Menschen zwischen 16 und 26 Jahren in sieben Ländern befragt. Dazu gehörten Deutschland, das Vereinigte Königreich, Frankreich, Spanien, Italien, Griechenland und Polen. In Deutschland haben im Zeitraum vom 7. bis zum 21. März 2023 1.122 Menschen an der Umfrage teilgenommen. Die TUI-Stiftung beauftragt YouGov seit 2017 für mit dem Projekt.

Das Marktforschungsinstitut erhebt Daten über eine globale Online-Community mit mehr als 22 Millionen Mitgliedern. Dafür kann sich jeder mit seiner E-Mail-Adresse und personenbezogenen Daten registrieren und wird dann regelmäßig per E-Mail zu Online-Befragungen eingeladen.

Für die Tui-Studie wurden die Befragten über ein Online-Panel durch ein vollautomatisiertes und zufallbasiertes Verfahren ausgewählt. Dabei wurden die Teilnehmer nach Alter, Geschlecht und Bildungsstand repräsentativ entsprechend der tatsächlichen Verteilungen je Land rekrutiert. Das gleiche gilt für die bevölkerungsrepräsentative Studie, bei der 1.074 Menschen befragt wurden.