Berlin. Immer mehr Unternehmen in Deutschland nutzen Künstliche Intelligenz. Wo bereits heute die größten Potenziale liegen und wo die Hürden.
Vor einigen Monaten erlaubt sich das Social-Media-Team von BMW eine kleine Spielerei: Auf dem Instagram-Konto des Autoherstellers tauchen drei Bilder auf, die wuchtige Geländewagen in typischer BMW-Optik vor dunkelgrüner Dschungelkulisse zeigen. Nur wenn man sehr genau hinsieht, wird klar – das sind keine Fotos, keine real existierenden Modelle und auch keine Konzeptstudien.
Stattdessen sind es neue BMWs, wie eine KI sie vorschlägt. Online kommen die gut an. „Besser als das, was euer Design-Team macht“, schreiben mehrere Nutzer zu den abgebildeten Autos.
Auch wenn die KI-designten Geländewagen erst einmal nicht kommen – Künstliche Intelligenz hält in der Wirtschaft längst Einzug. Laut einer aktuellen Umfrage der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK) nutzen schon jetzt branchenübergreifend 14 Prozent aller Unternehmen künstliche Intelligenz, weitere 23 Prozent planen den Einsatz innerhalb der nächsten drei Jahre.
Autohersteller und Chemiebranche nutzen schon jetzt viel Künstliche Intelligenz
Vor allem in der Autobranche, in der Pharmazeutik und Chemieindustrie setzen große Unternehmen schon jetzt an vielen Stellen auf künstliche Intelligenz, sagt Marco Huber, Leiter des KI-Fortschrittszentrum am Fraunhofer Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA. Sie nutzen die Technologie, um repetitive, monotone Aufgaben, die früher von Menschen gemacht wurden, zu automatisieren, etwa in der Qualitätskontrolle. „Inzwischen geht der Trend dahin, Kameras einzusetzen und die Bilder dann von KI auswerten zu lassen“, erklärt Huber. Wo früher Mitarbeiter händisch die Verarbeitung von Schweißnähten überprüfen mussten, können das jetzt Computer.
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Auch in der Chemie- und Prozessindustrie sei KI schon verbreitet. Dort könne sie helfen, Moleküldatenbanken zu durchforsten, um neue Rezepturen für Werkstoffe zu entwickeln, sagt der Wissenschaftler. „Je standardisierter eine Aufgabe ist, desto wahrscheinlicher ist es, dass man sie mit KI automatisieren kann“, sagt Huber. „Aber seit ChatGPT merkt man, dass auch zunehmend bei Tätigkeiten, die Kreativität verlangen, KI eingesetzt werden kann.“ Etwa beim Produktdesign – wie bei BMW.
Die Vorstellung von ChatGPT im vergangenen Jahr sei ein „Schlüsselmoment“ gewesen, bei dem viele gemerkt hätten, wie viel Potenzial in der Technologie steckt, sagt Huber. Auch für die Wirtschaft.
Analysten gehen von Billionen an zusätzlichem Wachstum aus, die möglich sind
Konkret geht es um sehr viel Geld: Laut einer Analyse des Beratungsunternehmens McKinsey, die am Mittwoch veröffentlicht wird, könnte generative Künstliche Intelligenz – also Anwendungen wie ChatGPT oder die Bildsoftware Midjourney, die Neues produzieren können – allein in 60 untersuchten Feldern für jährlich bis zu 4,4 Billionen US-Dollar Wertzuwachs für die Weltwirtschaft sorgen. Goldman Sachs spricht von bis zu sieben Prozent zusätzlichem Wachstum weltweit.
Gerade in Deutschland, das im internationalen Vergleich hohe Personal- und auch Energiekosten hat, könnten Produktivitätssteigerungen durch KI Unternehmen deshalb entscheidende Vorteile verschaffen. Allerdings: Der Weg von dieser Erkenntnis zur Anwendung im eigenen Unternehmen kann weit sein. Bei kleinen und mittelständischen Unternehmen sei der Einsatz noch längst nicht so verbreitet wie bei großen Konzernen, sagt Huber. Dafür gebe es mehrere Gründe.
Schwierig sei es zum einen, die richtigen Anwendungsfelder im eigenen Unternehmen zu erkennen. „KI zu nutzen ist ja kein Selbstzweck“, sagt Huber. „Und da tun sich viele schwer, das merken wir in vielen Gesprächen.“ Helfen könnten da laut DIHK Beispiele aus anderen Unternehmen und Reallabore, in denen die Technologie ausprobiert werden kann.
Damit KI sinnvoll angewendet werden kann, muss das Unternehmen digitalisiert sein
Zum anderen stimmen in vielen Firmen die Voraussetzungen noch nicht. Je besser ein Unternehmen bereits digitalisiert ist, je mehr Daten über Arbeitsabläufe vorliegen, umso leichter lässt sich künstliche Intelligenz einsetzen. KI müsse in der Lage sein, permanent auf die relevanten Daten zugreifen zu können, erklärt Huber. „Wenn da jedes Mal erst jemand mit dem USB-Stick zur Maschine rennen muss, wird es nichts.“
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Und selbst wenn all das gegeben ist, fehlen am Ende oft die richtigen Leute, um es umzusetzen. „Der Mangel an KI- und IT-Fachkräften, zum Beispiel Entwickler oder Big Data-Analysten, ist ein starkes Hemmnis für die Umsetzung von KI-Lösungen im Mittelstand“, sagt Alena Kühlein, Digital-Expertin der Deutschen Industrie- und Handelskammer. Jedes fünfte Unternehmen sehe darin das Haupthindernis für die eigene Digitalisierung. „KI-Experten sind stark nachgefragt, und deutsche Unternehmen stehen häufig im globalen Wettbewerb mit internationalen Unternehmen, Start-ups oder Forschungseinrichtungen“, erklärt sie.
Und nicht nur bei Fachkräften ist die internationale Konkurrenz groß. Bei generativer KI seien große Märkte wie die USA oder China immer im Vorteil, sagt Jens Südekum, Ökonom von der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. „Deutschland ist aber dort noch sehr gut aufgestellt, wo KI und Digitalisierung und industrielle Wertschöpfung zusammentreffen.“ Diese Bereiche, wie Industrie 4.0 oder 3D-Druck, gelte es unbedingt zu pflegen und weiterzuentwickeln.
Wenn KI Routineaufgaben übernehmen und Menschen sich auf spannendere und angenehmere Tätigkeiten konzentrieren könnten, könne dabei ein besseres Gesamtprodukt herauskommen, sagt er. „Entscheidend ist nur, dass diese großen Potentiale auch fair aufgeteilt werden. Es dürfen nicht nur einige wenige von der KI profitieren, sondern möglichst alle.“