Berlin. Erschreckende Ergebnisse einer Umfrage: Jeder dritte junge Mann findet Gewalt gegen Frauen im Streit vertretbar. Wie kann das sein?
Er soll muskulös und groß sein, viel Geld verdienen und keine Schwächen zeigen – der perfekte „männliche Mann“. Dieses Bild haben zumindest viele Jungen und Männer im Kopf, wenn sie an „Männlichkeit“ denken. Und dieses Bild hat gravierende Auswirkungen – etwa auf Gewalt in der Partnerschaft oder auf den Umgang mit Menschen anderer sexueller Orientierung als der eigenen. Das zeigt eine neue Umfrage der Organisation Plan International Deutschland, die unserer Redaktion vorliegt.
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Für die bundesweit repräsentativen Ergebnisse wurden Mitte März 2023 deutschlandweit 1000 Männer und 1000 Frauen im Alter von 18 bis 35 Jahre zum Thema „Männlichkeit“ befragt. Die Teilnehmenden leben in verschiedenen Regionen Deutschlands und haben unterschiedliche Bildungsabschlüsse.
Die Umfrageergebnisse zeigen deutlich: Obwohl gerade in den sozialen Medien klassische Rollenklischees immer öfter in Frage gestellt werden, haben viele Jungen und Männer das Gefühl, Stereotypen erfüllen zu müssen.
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Neue Befragung: Junge Männer finden Gewalt gegen Frauen „akzeptabel“
Doch sie verspüren nicht nur sozialen Druck, viele scheinen sich durch ihr Mannsein auch schlicht überlegen zu fühlen. Welche Folgen dieses Denken haben kann, sieht man in etlichen Missbrauchsfällen - und immer dort, wo ein vermeintliches Machtgefälle ausgenutzt wird.
Traditionelle Rollenbilder wirken sich der Studie nach auf den Umgang mit Frauen aus. Zwei Aspekte sind dabei besonders erschreckend: Für jeden dritten Mann ist es akzeptabel, im Streit mit der Partnerin handgreiflich zu werden. Ebenso geben 34 Prozent an, dass sie schon mal Gewalt angewandt haben, um einer Frau Respekt einzuflößen. Zudem findet es fast die Hälfte wichtig, in einer Partnerschaft immer das letzte Wort haben.
Auch die klassische „Hausfrau“ scheint in den Köpfen vieler Männer vorherrschend zu sein: Über die Hälfte der Befragten sehen ihre Rolle darin, genug Geld zu verdienen – um den Haushalt kümmert sich hauptsächlich die Partnerin.
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Umfrage: Viele haben ein Problem mit dem öffentlichen Zeigen von Homosexualität
Doch was verstehen junge Männer heute eigentlich konkret unter Männlichkeit und inwiefern können Rollenbilder der Gesellschaft schaden? Die Befragung hat zehn Aspekte in den Fokus genommen. So spielt für junge Männer vor allem kerniges Aussehen eine erhebliche Rolle: Mehr als 50 Prozent der Befragten wollen so zeigen, dass sie ein „echter Mann“ sind – und treiben zum Beispiel Sport, um einen muskulösen Körper zu haben.
An anderen, die nicht in das traditionelle Männlichkeitsbild passen, stören sich Studienteilnehmer – und schrecken nicht vor negativen Kommentaren zurück: 42 Prozent geben an, Männern einen „Spruch zu drücken“, die auf sie feminin wirken. Fast die Hälfte der Befragten fühlt sich davon belästigt, wenn Männer öffentlich ihre Homosexualität zeigen.
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Auch Frauen leiden unter traditionellen Denkweisen
Gleichzeitig sind viele nicht bereit dazu, ihre verletzlichen Seiten zu zeigen: Etwa die Hälfte glaubt, sich beim Sprechen über Gefühle schwach und angreifbar zu machen – dennoch fühlen sich 63 Prozent der Befragten manchmal innerlich traurig, einsam oder isoliert.
Insbesondere in sozialen Netzwerken ist in diesem Zusammenhang oft von „Toxischer Männlichkeit“ die Rede. Der Ausdruck wird häufig verwendet, wenn Männer sich durch ihre Sozialisation traditionelle, „typisch männliche“ Denk- und Verhaltensweisen aneignen mit denen sie sich selbst und anderen schaden. Etwa, indem sie nicht über ihre Sorgen reden und so immer unglücklicher werden.
90 Prozent sind mit ihrem Männerbild im Reinen
Zweifeln die Befragten zumindest an ihren Denk- und Verhaltensweisen? Die Antwort ist: nur wenige. Fast 90 Prozent der Teilnehmer sind mit dem eigenen Männerbild zufrieden. Klar wird jedoch ebenfalls: Es gibt die Bereitschaft für einen Wandel. Fast alle Personen sagen, dass sie den Druck für eine Veränderung spüren. Über die Hälfte gibt an, sich weiterentwickeln zu wollen.
Alexandra Tschacher, Sprecherin von Plan International Deutschland, zieht aus der Umfrage verschiedene Schlüsse. „Die klassischen Rollenbilder sind eben doch noch in den Köpfen der Gesellschaft verankert.“ Das müsse sich in Zukunft ändern.
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„Das Bemerkenswerte an den Ergebnissen unserer Befragung ist, dass dieses konservative Denken bei einem überraschend hohen Anteil gerade der jungen Männer vorherrscht.“ Es sei deshalb wichtig, gemeinsame Wege zu finden. „Wenn wir, wie jetzt, die Probleme aufzeigen, können wir daran arbeiten und gemeinsam mit den Männern für positive Veränderung sorgen.“
Experte: Auch die Politik hat einen klaren Gestaltungsauftrag
Auch Karsten Kassner, Fachreferent beim Bundesforum Männer betont: Von den Studienergebnissen von Plan International Deutschland sei er teilweise „erschrocken“ gewesen. Dass viele junge Männer Schwierigkeiten im Umgang mit eigenen Gefühlen haben, hänge mit überkommenen Leitbildern von Mannsein zusammen.
Problematisch sei, dass ein Drittel der befragten Männer Handgreiflichkeiten gegenüber Frauen verharmlosten. Das müsse sich dringend ändern. „Aktuell erleben wir eine Gleichzeitigkeit von alten und neuen Geschlechterbildern und Anforderungen an Männlichkeit. Das führt zu Verunsicherung“, sagt der Fachreferent. Viele Männer seien zwar grundsätzlich bereit, sich für mehr Gleichberechtigung und gegen Rollenklischees einzusetzen, würden dies jedoch zu selten in konkrete Taten umsetzen.
Hier will Karsten Kassner Mut machen: „Gegen die herrschende Norm anzugehen ist immer schwierig.“ Wichtig sei es, Jungen und Männer auf diesem Weg mitzunehmen und aufzuzeigen, was sie dabei gewinnen können. Zugleich müssten sich Rahmenbedingungen verändern – in Werbung, Medien, Betrieben und generell in der Gesellschaft. Hier habe auch die Politik einen klaren Gestaltungsauftrag. Ein konkretes Beispiel sei die von der Bundesregierung geplante bezahlte Freistellung nach der Geburt für Väter. „Dadurch werden Räume geschaffen, in denen Männer neue Erfahrungen machen können. Davon brauchen wir mehr“, sagt Kassner.