Berlin. Deutschland und Frankreich spendieren jungen Erwachsenen gratis Bahntickets. Doch Verkehrsminister Wissing hat noch eine andere Idee.

Bundesverkehrsminister Volker Wissing ist Frankreich eng verbunden. Er hat familiäre Verbindungen in das Land, unter anderem zwei Jahre lang französisches Recht studiert, spricht die Sprache fließend. Zum 60-jährigen Bestehen des Elysée-Vertrages geben Frankreich und Deutschland nun Gratistickets an junge Erwachsene aus – doch FDP-Politiker Wissing hat noch eine weitere Idee, wie man mit dem Deutschlandticket die Beziehungen zum westlichen Nachbarn vertiefen könnte.

Herr Wissing, seit sechs Wochen gibt es das Deutschlandticket. Besitzen Sie selbst eins?

Volker Wissing: Ja, mein Deutschlandticket ist integriert in der Netzkarte des Bundestages. Ich habe als Minister allerdings leider viel zu wenig Zeit, um den ÖPNV zu nutzen.

Sie haben das Ticket Deutschlandticket und nicht 49-Euro-Ticket getauft. Wie lange wird es bei 49 Euro bleiben?

Wissing: Wir haben das Ticket Deutschlandticket genannt, weil es deutschlandweit nutzbar ist. Und zum Preis: Preisentwicklungen sind normal, aber wenn viele Menschen das Ticket nutzen, können wir den Preis auch dauerhaft attraktiv halten. Die Zahlen stimmen mich hier sehr zuversichtlich. Wichtig ist dabei auch, dass wir das Angebot an Bussen und Bahnen und den Ausbau der Infrastruktur im Blick behalten müssen. Hätten wir beispielsweise dauerhaft ein 9-Euro-Ticket eingeführt, hätten uns die dafür notwendigen Mittel an anderer Stelle gefehlt. Vereinbart ist, dass wir uns mit den Ländern Ende 2024 zusammensetzen und das Ticket evaluieren.

Erwarten Sie eine abnehmende Kaufbereitschaft, sollte das Ticket teurer als 50 Euro werden?

Wissing: Mich stört diese Preisdebatte. Das Ticket ist preislich ein wirklich attraktives Angebot. Für die meisten Menschen wird der ÖPNV dadurch deutlich günstiger, vor allem wenn vom Jobticket Gebrauch gemacht wird. Die Länder haben es nicht aus eigener Kraft geschafft, die Tarifkomplexität bundesweit zu beseitigen. Hinzu kamen vor allem im ländlichen Raum unattraktive Preise im Vergleich zum verfügbaren Angebot. Wir als Bund haben mit dem Deutschlandticket dabei geholfen, diese Tarifhürden zu beseitigen und gleichzeitig haben wir den Ländern mehr Regionalisierungsmittel zur Verfügung gestellt, damit sie ihr Angebot an Bussen und Bahnen attraktiv halten. Die Zahlen geben uns recht: Wir haben nach Angaben der Branche allein 700.000 Neukunden, die vorher den ÖPNV nicht genutzt haben, über 4 Millionen Neuabonnentinnen und Neuabonnenten und insgesamt 10 Millionen verkaufte Tickets. Das ist schon jetzt ein großer Erfolg.

Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) sieht den Erfolg des Deutschlandtickets als großen Erfolg – stört sich aber an der Debatte um die Preisgestaltung.
Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) sieht den Erfolg des Deutschlandtickets als großen Erfolg – stört sich aber an der Debatte um die Preisgestaltung. © FUNKE Foto Services | Maurizio Gambarini

Wer aber zum Beispiel ein Fahrrad, Kinder oder einen Hund mitnehmen möchte, muss je nach Tarifgebiet weiter Extratickets lösen. Warum gibt es für solche Fälle keine einheitliche Lösung nach einem Baukastenprinzip?

Wissing: Das ist Sache der Länder – ebenso wie beispielsweise Semester-, Azubi- und Schülertickets. Ich empfehle den Ländern, bei solchen Angeboten das Deutschlandticket als Grundlage zu nehmen. Der Erfolg des Tickets liegt in seiner Einfachheit begründet. Es wäre darum sehr im Sinne der Fahrgäste, wenn auch die weitere Ausgestaltung durch die Länder möglichst einheitlich passiert. Das Deutschlandticket soll als Abomodell dafür sorgen, dass der ÖPNV fester Bestandteil im Leben wird. So wie ich mein Auto nicht abmelde, wenn ich zwei Wochen in den Urlaub fahre, kann ich auch mein Ticket behalten.

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Wie attraktiv ist das Ticket auf dem Land?

Wissing: Sehr, das wird viel zu oft unterschätzt. Man muss Auto und ÖPNV kombiniert denken. Viele Berufspendler auf dem Land fahren jeden Tag 100 Kilometer mit dem Auto zur Arbeit. Die können nicht gänzlich auf das Auto verzichten, weil es unrealistisch ist, überall eine flächendeckende enge Taktung wie in den Großstädten in Deutschland zu ermöglichen, die das Auto überflüssig machen würde. Aber man kann den Menschen das Angebot machen, mit dem Auto loszufahren und am nächsten Bahnhof umzusteigen. Bei einem Jobticket um die 30 Euro pro Monat sparen sie so jeden Tag richtig Geld – und CO2. Je nach Region und täglicher Fahrzeit sind für Verbraucher bei einer kombinierten Nutzung von Auto und ÖPNV Ersparnisse von bis zu 4000 Euro pro Jahr möglich. Wegen der längeren Pendlerstrecken ist das CO2-Einsparpotenzial hier auch um ein Vielfaches höher als in den Städten.

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Auch Flix wollte mit seinen Flixbussen und Flix-Train Teil des Deutschlandtickets werden –und ist gescheitert. Wird das Unternehmen benachteiligt?

Wissing: Nein. Kein Unternehmen, das Fernverkehr anbietet, ist Teil des Deutschlandtickets. Ob Fernbusse künftig integriert werden können, wenn sie quasi im Regionalverkehr unterwegs sind, ist noch nicht abschließend geklärt.

An lässlich des 60-jährigen Jubiläums des Elysée-Vertrages wollen Sie 60.000 Gratistickets an Jugendliche für Frankreich-Fahrten verteilen. Wie soll das konkret funktionieren?

Wissing: Am 12. Juni werden wir um 10 Uhr auf der Seite www.deutsch-franzoesischer-freundschaftspass.de 30.000 kostenlose Tickets für Jugendliche mit Wohnsitz in Deutschland zwischen 18 und 27 Jahren anbieten. Es gilt: Wer sich zuerst bewirbt, bekommt als erstes ein Ticket, bis das Kontingent erschöpft ist. Mit diesen Tickets kann dann an sieben Tagen in einem Monat der Fern- und Nahverkehr kostenfrei genutzt werden. Das Angebot gilt zwischen Juli und Dezember. Frankreich startet zeitgleich dasselbe Angebot auf der Seite www.passefranceallemagne.fr für Jugendliche mit Wohnsitz in Frankreich.

Beim 49-Euro-Ticket gab es aufgrund des hohen Andrangs Probleme mit der Internetseite der Deutschen Bahn. Wird die Seite beim Freundschaftspass am Montag stabil bleiben?

Wissing: Die Bahn hat uns versichert, dass sie alles tun wird, um die Seite stabil zu halten.

Was kostet die Initiative?

Wissing: Wir kümmern uns auf deutscher Seite darum, dass die Passinhaber die Deutsche Bahn ohne Aufpreis nutzen können, Frankreich sorgt für die kostenlose Nutzung der SNCF. Von deutscher Seite haben wir fünf Millionen Euro im Haushalt eingeplant.

Gerade in der Debatte zum Verbrenner-Aus war die Stimmung zwischen Deutschland und Frankreich zuletzt nicht gut. Trägt diese Aktion zur Verbesserung der Beziehung bei?

Wissing: Ich habe schon immer sehr gut mit meinem französischen Amtskollegen Beaune zusammengearbeitet. Ich habe mich mit der französischen Regierung auch nie über Verbrennungsmotoren gestritten. Es gab unterschiedliche Positionen, aber wir haben nicht gegen Frankreich agiert und Frankreich nicht gegen uns. Unsere Kritik richtete sich gegen den Ausschluss einer klimaneutralen Technologie und nicht gegen Frankreich.

Sie hatten keine Konfrontation mit dem französischen Verkehrsminister Clément Beaune?

Wissing: Nein, wir haben nicht über Verbrennungsmotoren gesprochen. Ich kannte seine Auffassung, aber mir ging es nicht darum, Frankreich umzustimmen. Mir ging es darum, dass die EU-Kommission ihre Zusage einhält und eFuels für Autos zulässt. In der Frage um die Abgasnorm Euro 7 habe ich übrigens dieselbe Position wie Frankreich.

Jeder dritte Zug im Fernverkehr kam im vergangenen Jahr zu spät.
Jeder dritte Zug im Fernverkehr kam im vergangenen Jahr zu spät. © dpa | Peter Kneffel

Wird es nach den Gratistickets dauerhaft günstige Preise für Fahrten nach Frankreich geben?

Wissing: Zunächst ist es eine einmalige Aktion. Wir wollten hier ein konkretes Angebot machen, um das deutsch-französische Freundschaftsjubiläum zu begehen. Aber Frankreich plant ebenfalls die Einführung eines nationalen Tickets, das unserem Deutschlandticket ähnelt. Ich hätte eine große Sympathie dafür, dass wir unsere nationalen Tickets gegenseitig anerkennen. Deutschland und Frankreich könnten einen Anfang machen, andere europäische Länder mitziehen. Allerdings wäre das ein komplexes Unterfangen, das Zeit in Anspruch nehmen wird.

Wären dauerhaft höhere Rabatte bei Interrail denkbar?

Wissing: Das müssen die europäischen Bahnunternehmen entscheiden und nicht die Bundesregierung. Ich begrüße es außerordentlich, wenn bei Interrail attraktive Angebote für junge Erwachsene geschaffen werden. Das Angebot ist aber eine eigenwirtschaftliche Entscheidung der europäischen Bahnen.

30.000 Jugendliche aus Frankreich werden dann die Erfahrung machen, dass in Deutschland jeder dritte Fernverkehrszug zu spät kommt…

Wissing: Wer ein kostenloses Ticket bekommt, bei dem wird die Freude überwiegen. Aber klar ist: Wir müssen die Infrastruktur ertüchtigen. Wir fahren Rekordzahlen im Verkehr und die Infrastruktur kann nicht Schritt halten, weil sie in der Zeit meiner Vorgänger über Jahre auf Verschleiß gefahren wurde.

Der Bundesrechnungshof bezeichnet die Bahn als Sanierungsfall. Ist sie das?

Wissing: Die Infrastruktur ist ein Sanierungsfall und wir arbeiten daran, dass das in Ordnung gebracht wird.

Sollte die Bahn zerschlagen werden – in eine Verkehrs- und eine Infrastruktursparte?

Wissing: Die Bahn hat zunächst einmal ein Infrastrukturproblem. Nehmen Sie das Beispiel Riedbahn: Dieser Abschnitt zwischen Frankfurt am Main und Mannheim ist einer der meistbefahrensten Streckenabschnitte Deutschlands, jede siebente Fernverkehrsfahrt durchquert diesen Korridor. Jeden Tag gibt es dort eine Betriebsstörung. Wenn wir die Bahn zerschlagen würden, wäre da trotzdem jeden Tag irgendetwas kaputt. Das wird nur besser, wenn man die Hochleistungskorridore komplett erneuert – im Falle der Riedbahn dauert das fünf Monate, in denen die gesamten Trassen, Oberleitungen und Signalisierungen ersetzt werden. Das hat Auswirkungen auf Reisende in Deutschland, aber auch in unseren Nachbarländern. Jeder Tag Sperrung wird eine große Herausforderung. Während der von uns geplanten Korridorsanierung brauchen Sie als Ersatz allein auf dieser Strecke schätzungsweise 150 Busse und 400 Busfahrer pro Tag. Die Bahn hat primär kein gesellschaftsrechtliches Problem. Ihre Infrastruktur ist nicht in Ordnung.

Können Sie den Verbrauchern guten Gewissens die Bahn empfehlen, wenn in den nächsten Wochen erst die Züge stillstehen könnten, weil die EVG streikt und dann im Herbst die GDL nachzieht?

Wissing: Bei Tariffragen ist die Regierung gut beraten, sich zurückzuhalten. Das müssen die Tarifpartner untereinander klären. Ich kann nur an alle appellieren, an die Fahrgäste zu denken. Immer neue Streiks erhöhen nicht die Attraktivität eines Verkehrsträgers. Insofern haben wir ein Interesse daran, dass die Tariffragen schnell geklärt werden.

Die GDL will auch die Wochenarbeitszeit auf 35 Stunden reduzieren. Wird das der Vorgeschmack auf eine 4-Tage-Woche?

Wissing: Das muss im Rahmen der Tarifautonomie geklärt werden.

Die 4-Tage-Woche bei vollem Lohnausgleich ist aber auch in anderen Branchen heiß diskutiert. Sollte sie kommen?

Wissing: Angesichts unseres Fachkräftemangels beantwortet sich Ihre Frage fast von selbst.