Essen. Erfolgsgeschichte aus dem Essener Norden: Markus Kottmann, aufgewachsen in Altenessen, berät jetzt die Landesregierung in Sachen Talentförderung.
Der Essener Marcus Kottmann (54) wird am Dienstag, 30. Mai, in den NRW-Beirat für Teilhabe und Integration berufen. Das Gremium versammelt Experten aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur und berät die Regierung in sozialen Fragen.
Kottmann leitet das NRW-Zentrum für Talentförderung, das organisatorisch angedockt ist an die Westfälische Hochschule Gelsenkirchen. Es organisiert unter anderem derzeit die 70 Talent-Scouts, die an rund 17 Hochschulen und Unis in Nordrhein-Westfalen jene Kandidaten unterstützen, die Bildungsaufsteiger sind, weil sie die ersten in ihren Familien sind, die akademische Wege einschlagen. Die Talent-Scouts halten an den Gymnasien, Gesamtschulen und Berufskollegs Ausschau nach begabten Schülern, die unabhängig von ihrer Familie das Zeug dazu haben, ein Studium zu absolvieren. Die Talent-Scouts ebnen den Weg an die Unis. Auch die „Ruhrtalente“, ein Stipendienprogramm für begabte Schülerinnen und Schüler, die häufig aus sogenannten bildungsfernen Schichten kommen, werden vom NRW-Zentrum für Talentförderung verwaltet. Die Arbeit des Zentrums für Talentförderung wirkt, das ist mittlerweile wissenschaftlich belegt.
Die Mutter Putzfrau, der Vater Lkw-Fahrer
Kottmann ist selbst ein Bildungsaufsteiger. „Mein Vater war Lkw-Fahrer, meine Mutter Putzfrau“, erzählt der 54-Jährige. Er wuchs auf an der Vogelheimer Straße, ging in Altenessen zur Grundschule, machte auf dem Leibniz-Gymnasium in Altenessen das Abi. Dann beging er einen Fehler, wie er selbst einräumt: „Ich habe Chemie studiert. Ich habe erst spät gemerkt, dass das eigentlich gar nicht zu mir passt.“
Trotzdem zog er es durch und belegte – womöglich hatte er da einen richtigen Riecher – das Zusatzstudium „Arbeitswissenschaften“. Als er einen Innovationsforscher über „die Logik der Veränderung“ referieren hörte, wusste er: Er hat sein Lebensthema gefunden. Arbeitete später am „Institut für angewandte Innovationsforschung“ an der Ruhr-Uni Bochum und fertigte eine Analyse für die damalige Fachhochschule Gelsenkirchen an: Wer studiert hier eigentlich? „Alle waren sehr erstaunt“, berichtet Kottmann, „dass viele Studierende von den Berufskollegs kommen. Das war ein echter Durchbruch“. Bis heute wissen viele nicht, dass Berufskollegs keine reinen Berufsschulen sind, sondern auch Bildungsgänge anbieten, die bis zum Fachabi oder Abi führen.
„Wir müssen weg von dem Blick auf die reinen Defizite“, sagt Kottmann. Es müsse weiter intensiv daran gearbeitet werden, dass viele begabte junge Menschen an den Schulen und Hochschulen sitzen, „denen die Orientierung fehlt, weil sie sie von zu Hause nicht bekommen haben“.
Viel mehr junge Frauen als Männer nutzen ihre Chancen
Was Kottmann und viele andere Expertinnen und Experten festgestellt haben: „Es gibt immer noch sehr viele Mädchenförderprogramme, die aus einer anderen Zeit kommen.“ Nichts gegen Mädchenförderung – aber: Viele junge Frauen würden ihre Chance ergreifen und Stipendien oder Talentförderprogramme ergatterten. „Sämtliche Programme“, sagt Kottmann, „sind extrem weiblich dominiert“. Heißt: Junge Frauen wüssten viel häufiger als junge Männer, wie sie an ihre Ziele gelangen, welche Wege es gibt und wer Orientierung liefert.
Dass die professionell organisierte Talentförderung ihren Ursprung im Ruhrgebiet genommen hat, macht Kottmann auch ein bisschen stolz: „Dies war eine der vielen Chancen, die das Revier ergriffen hat, statt sich ständig nur über die eigenen Schwächen zu beschweren.“ Längst gebe es Nachahmer-Initiativen in anderen Bundesländern und in Berlin. Dort, in Neukölln, ist zuletzt ein erstes „Talent-Scouting“ entstanden, und in Hessen sind ähnliche Bewegungen im Gang.