Moskau. Geächtet ist sie nicht, dennoch steht Uranmunition im Verdacht, krebserregend zu sein. Auch in der Ukraine kommt sie angeblich zum Einsatz.

Eine radioaktive Wolke bewege sich in Richtung Europa, warnte vergangenen Freitag Nikolai Patruschew, der Sekretär des russischen Sicherheitsrates. Sie sei die Folge der Zerstörung von Munition mit „abgereichertem Uran“, die der Westen in die Ukraine geliefert habe, so Patruschew. Vorausgegangen war eine ganze Welle russischer Drohnen- und Raketenangriffe auf die Stadt Chmelnyzkyj in der Westukraine. Getroffen wurde auch ein Munitionslager mit britischen Urangranaten, berichten russische Militärblogger. Strahlenschutz-Trupps seien unterwegs gewesen in der Stadt. Nachprüfen lässt sich das nicht.

Und die Wolke? „Derzeit besteht auf dem Territorium Polens keine Gefahr für die Gesundheit und das Leben der Menschen sowie für die Umwelt“, erklärte die polnische Atomenergiebehörde. Auf Anfrage der ARD teilte das deutsche Bundesamt für Strahlenschutz mit, dass eine einzelne Sonde südlich der Stadt Chmelnyzkyj zwar „minimal erhöhte Radioaktivitäts-Werte“ zeigt, diese bewegten sich jedoch „im natürlichen Schwankungsbereich“.

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Auch wenn an der angeblichen Nuklearkatastrophe wohl nichts dran ist, Uranmunition ist eine äußerst umstrittene Waffe. Für Russlands Präsidenten Wladimir Putin sind Urangranaten Waffen mit einer „nuklearen Komponente“. Das ist zwar richtig, mit Atomwaffen allerdings hat diese Munition nichts zu tun. Sie nutzt ein Abfallprodukt aus der Produktion von Kernbrennstoff und Atomwaffen, sogenanntes „abgereichertes Uran“. Zu schwach radioaktiv, um eine Nuklearexplosion auszulösen, doch eine andere Eigenschaft macht das Metall für die Militärs sehr interessant: Uran ist extrem schwer. Granaten mit Urankern, abgefeuert auf gegnerische Panzer, haben eine enorme Durchschlagskraft.

Als panzerbrechende Munition in der Ukraine im Einsatz

„Abgereichertes Uran“ ist als Abfallprodukt billig, zumindest in Ländern, die eigenen Kernbrennstoff herstellen. Dies gilt für die USA, Großbritannien – aber auch für Russland, das gleichfalls Uranmunition in seinen Arsenalen hat. Laut Londons Verteidigungsstaatssekretär James Heappey hat Großbritannien Tausende Schuss Munition für den britische Kampfpanzer vom Typ Challenger 2 geliefert, die bereits in der Ukraine im Einsatz sind. Darunter sei auch panzerbrechende Munition mit „abgereichertem Uran“. „Aus Sicherheitsgründen werden wir nicht kommentieren, wie viele Schuss die Ukraine bereits genutzt hat“, betonte Heappey auf eine schriftliche Anfrage im britischen Parlament.

Großbritannien lieferte der Ukraine nach eigenen Angaben auch Munition mit „abgereichertem Uran“.
Großbritannien lieferte der Ukraine nach eigenen Angaben auch Munition mit „abgereichertem Uran“. © picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Staff Sgt. Nicholas Perez

Die Langzeitfolgen des Einsatzes von Uranmunition könnten katastrophal sein, befürchten Wissenschaftler. Dies zeigen Erfahrungen aus dem Irak-Krieg 1991. Über 300 Tonnen Uranmunition verschossen die USA damals. Viele Jahre nach dem Krieg fiel dem deutschen Arzt Siegwart-Horst Günther, der in einem Bagdader Krankenhaus für eine Hilfsorganisation tätig war, zunehmend Missbildungen bei Neugeborenen und unbekannte Krankheiten bei Kindern auf. In der Folge untersuchten weltweit Wissenschaftler die Langzeitfolgen von Uranmunition. Studien „deuten auf ein gewisses krebserzeugendes Potenzial hin“.

Sammelklagen gegen Nato wegen Einsatz von Uranmunition

In Laborversuchen wurde „krebserregende Mutation von menschlichem Bronchialgewebe“ nachgewiesen, Tierversuche bewiesen „erhöhte Mutagenität“. Auch während der Balkankriege in den 1990er Jahren hatte die Nato in Serbien und Teilen des Kosovo Uranmunition eingesetzt. Vor allem US-Erdkampf-Flugzeuge vom Typ A-10 Thunderbolt verschossen Tausende Schuss Uranmunition, insgesamt nach Nato-Angaben rund 15 Tonnen.

LandUkraine
KontinentEuropa
HauptstadtKiew
Fläche603.700 Quadratkilometer (inklusive Ostukraine und Krim)
Einwohnerca. 41 Millionen
StaatsoberhauptPräsident Wolodymyr Selenskyj
RegierungschefMinisterpräsident Denys Schmyhal
Unabhängigkeit24. August 1991 (von der Sowjetunion)
SpracheUkrainisch
WährungHrywnja

Und auch auf dem Balkan stiegen die Krebsraten in den betroffenen Gebieten. Viele der Opfer vertritt Rechtsanwalt Srdan Alexsicaus Niš. Er stammt aus einem Dorf im Süden Serbiens, das damals bombardiert wurde. Sein Vater leidet inzwischen unter Hautkrebs. Der Zusammenhang zwischen einer Krebserkrankung und der Ursache ist im Regelfall schwer nachzuweisen. Trotzdem hat Aleksic für 4000 Mandanten Sammelklagen gegen die Nato eingereicht. Erstreiten will er eine Entschädigung.

US-Behörde: Aufnahme von „abgereichertem Uran“ erhöht Krebsrisiko

Nach der Explosion von Urangranaten belastet Uranstaub über viele Jahre die Umwelt, schwach radioaktive, giftige Uranpartikel werden von den Menschen in ehemaligen Kampfgebieten eingeatmet. Das Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) stuft „abgereichertes Uran“ als giftiges und radioaktives Schwermetall ein. Nach Angaben der kanadischen Atomsicherheitskommission ist das gesundheitliche Hauptrisiko nicht die Radioaktivität, sondern die chemische Giftigkeit des „abgereicherten Urans“.

Über die gesundheitlichen Folgen des Einsatzes von Uranmunition für die Menschen wird gestritten.
Über die gesundheitlichen Folgen des Einsatzes von Uranmunition für die Menschen wird gestritten. © picture alliance / ZUMAPRESS.com | U.S. National Guard

Demnach kann die Aufnahme oder das Einatmen hoher Mengen die Niere beeinträchtigen und über längere Zeit das Lungenkrebsrisiko erhöhen. Hingegen sieht die Internationale Atomenergiebehörde IAEA keine signifikanten Risiken für Öffentlichkeit und Umwelt beim Einsatz „abgereicherten Urans“. Die US-amerikanische Umweltbehörde EPA dagegen warnt: „Wenn abgereichertes Uran eingenommen oder eingeatmet wird, stellt dies eine ernsthafte Gefahr für die Gesundheit dar.“

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Hinzu kommt: Laut einer internen Studie des US-Verteidigungsministeriums vom Dezember 2000 kann „abgereicherte Uran“ auch Spuren von Plutonium enthalten. Und Plutonium ist eines der gefährlichsten Gifte, die es gibt. Kein internationales Abkommen verbietet den Einsatz von Uranmunition. Doch im sogenannten Genfer Protokoll ist allgemein die Verwendung von giftigen Stoffen im Krieg verboten.

Ukraine-Krieg – Hintergründe und Erklärungen zum Konflikt