Berlin. Bei dem Vergewaltigungs-Prozess in Avignon bilden die Kinder von Gisèle Pelicot eine Front gegen den Hauptangeklagten - ihren Vater.

Philippe L. war am Dienstagmorgen der letzte von 51 Angeklagten, der beim Prozess in Avignon wegen der Vergewaltigung von Gisèle Pelicot antreten musste. Auch der 62-jährige Rentner, der wie ein Normalbürger wirkt, wollte nicht darüber nachgedacht haben, dass das zuvor betäubte Opfer sich nicht bewegte, nichts sagte. So verteidigten sich all die Männer zuvor, die zwischen 2011 und 2020 der Chatroom-Einladung des Gatten Dominique Pelicot gefolgt waren: 26- bis 70-jährige Südfranzosen, Fernfahrer, Beamte, ein Feuerwehrmann, ein Gefängniswärter.

Auch interessant

In den nächsten Tagen folgen die Anträge der Staatsanwaltschaft, die Plädoyers der Verteidiger und Mitte Dezember sodann das Urteil. Zuerst haben aber noch mal die Hauptpersonen das Wort. Gisèle Pelicot (72) gibt an diesem Dienstag zu, die wochenlange Einvernahme dieser ihr unbekannten Männer habe sie „ermüdet“. Zumal fast alle den Tatbestand der Vergewaltigung bestritten hätten. Sie fragte sie direkt: „Wann haben Sie auch nur um meine Einwilligung gebeten, sich an mir zu vergehen? Warum haben Sie danach nicht einmal die Polizei angerufen?“

Auch spannend: Vergewaltigung unter Betäubung: „Problem in Deutschland“

Dann wird die Frau, die beim Betreten des Gerichtsgebäudes vom Prozesspublikum jeden Morgen mit Applaus begrüßt wird, politisch: „Höchste Zeit“, sagt sie, „dass sich die patriarchalische Gesellschaft ändert“.

Die Anwälte der Angeklagten wiederholten ihrerseits die Frage, wie es sein konnte, dass Gisèle Pelicot bei allen massiven Schlafmitteldosen nicht gemerkt haben wollte, dass sie in den zehn Jahren wohl 200-mal von Unbekannten sowie ihrem Mann vergewaltigt worden war. „Nein, nichts machte mich stutzig“, sagte sie eher allgemein. Sie erinnerte nicht mehr daran, dass ihr Mann alle Spuren beseitigt und dass selbst Gynäkologen keine Erklärungen für die Gedächtnislücken und Unterleibsschmerzen gefunden hatten. Diese Frage ist im Verlauf des Prozesses in den Hintergrund gerückt, obwohl sie anfangs für die Schuldfrage nicht unerheblich schien.

Auch interessant

Zeugenaussagen im Prozess von Avignon: Pelicot-Söhne stellen Vater zur Rede

Die beiden Pelicot-Söhne haben am Montag erstmals vor Gericht ausgesagt. Florian, der jüngere, sagt, er habe „etwas geahnt“ - aber nur sehr vage. Sein Vater habe jeweils angespannt gewirkt, wenn er ihn wegen eines Computerproblems herbeigerufen habe – schließlich hatte er in dem Gerät tausende von Fotos und Videos der Vergewaltigungen versteckt. Einmal stieß Florian auf ein – leeres – Dossier namens „Martines Unterwäsche“.

Zum Schluss wendet sich der heute 38-Jährige direkt an seinen Vater im Plexiglaskäfig: „Warum hast du das gemacht? Warum hast du unsere Mutter auf diese Weise Unbekannten ausgeliehen? Du hast doch immer gesagt, sie sei für uns eine Heilige. Aber du, du warst der Teufel in Person!“

Gisele Pelicot Lambasts Cowardice Of Men Accused Of Her Mass Rape - Avignon
Gisèle Pelicot wollte von Anfang an beim Prozess anwesend sein. Dafür wird sie in Frankreich als Heldin gefeiert. © ddp/abaca press | Coust Laurent

David, der ältere Sohn des unfreiwillig weltberühmten Paares, nennt seinen Vater nur „ce Monsieur“, diesen Herrn. Er sei ein guter Vater gewesen, habe Fußball und Musik mit seinen Söhnen geteilt. Dann habe er aber seine ganze Familie zerstört, seine Gattin natürlich, aber auch seine Tochter Caroline, an der er sich zweifellos auch vergangen habe. „Gib zu, du hast auch Fotos von meiner Schwester in mehr als suggestiven Positionen gemacht“, ruft David aus, sich jetzt doch noch an seinen Erzeuger wendend. Der streitet ab, sagt, er habe die Fotos von Caroline nur wegen einer – nicht näher erläuterten – „Erpressung“ gemacht. „Ich kann euch nur bitten, meine Entschuldigung zu akzeptieren, für alles, was ich gemacht habe...“ David fällt ihm ins Wort: „Nie!“

Prozess in Avignon: Täter behauptet, selbst vergewaltigt worden zu sein

Später behauptet der Vater, er sei mit 9 Jahren selber vergewaltigt worden; mit 14 habe er sodann an einer Gruppenvergewaltigung teilnehmen müssen. Das habe sein Sexualleben bestimmt. Sein Verhalten gegenüber seiner Frau bezeichnet er als „Egoismus“. So kann man eine Vergewaltigung auch nennen.

Dann behauptet Pelicot noch, an seiner Tochter Caroline habe er sich ganz bestimmt nicht vergangen. Sie springt wutentbrannt auf. „Du hast nicht den Mut, die Wahrheit zu sagen!“, schreit sie mit Blick auf die bei ihm gefundenen Nacktfotos von ihr. „Du wirst mit der Lüge sterben, ganz allein!“ Gisèle bleibt dagegen ruhig, gefasst. Zu den Vorwürfen ihrer Tochter gegen den heute von ihr geschiedenen Mann will sie sich nicht äußern.

Eine regelmäßig anwesende Prozessbeobachterin erklärt später im Vorraum, diese von der halben Welt mitverfolgte Gerichtsverhandlung habe Mutter und Tochter in den letzten Wochen gespalten. Die beiden Frauen sitzen heute im Gerichtssaal getrennt, sprechen sich nicht mehr ab. Ja, aus diesem ungeheuer leidenschaftlichen Prozess wird niemand unversehrt hervorgehen.

Auch interessant

Dominique Pelicot droht, wie er bei seinem Geständnis im September selber sagte, die Maximalstrafe von zwanzig Jahren. Ähnlich dürfte es jenen Mitangeklagten gehen, die Pelicots Villa in dem provenzalischen Dorf Mazan wiederholt aufgesucht hatten; geringere Strafen erwarten wohl nur jene, die glaubhaft machten, dass sie von Dominique Pelicot in einen Hinterhalt gelockt worden seien. Der Hauptangeklagte belastet systematisch, oft mit einem hämischen Unterton, die anderen Angeklagten. Die murren gut hörbar, machen die Faust im Sack. Gut für den toxischen Herrn Pelicot, dass er hinter Plexiglas geschützt ist.