Bad Neuenahr-Ahrweiler. Im Juli 2021 zerstört ein Hochwasser weite Teile des Ahrtals. 135 Menschen sterben. Wie läuft der Wiederaufbau? Wie geht es den Menschen?
Wer durch das Ahrtal fährt, sieht die Folgen der verheerenden Flut von vor drei Jahren: notdürftig ausgebesserte Straßen, geschotterte Bürgersteige und provisorische Brücken. Während viele Häuser frisch renoviert und Gärten neu angelegt sind, stehen dazwischen Ruinen. Häuser, die vom Hochwasser schwer beschädigt wurden und bis heute weder saniert noch abgerissen sind.
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Die Ahr wirkt wie ein harmloses Flüsschen, das sich idyllisch durch das tiefe Tal zwischen steilen Weinbergen und kleinen Ortschaften schlängelt. Kaum vorstellbar an einem sonnigen Sommertag, dass sie drei Jahre zuvor, am 14. und 15. Juli 2021, mit enormen Wassermassen ganze Häuser mit sich gerissen hat. 135 Menschen starben, 17.000 Menschen verloren ihr Zuhause.
Einer, der seitdem alles wieder aufgebaut hat, ist Alexander Stodden vom Weingut Jean Stodden in Rech, einem der Dörfer direkt am Rande der Ahr. Drei Jahre nach der Flut ist in der Vinothek und den Arbeitsräumen von dem Hochwasser nichts mehr zu sehen. Die Räume sind vollständig renoviert und neu eingerichtet.
Drei Jahre nach der Ahr-Flut: Der Wiederaufbau geht nur langsam voran
In der Flutnacht stürzen Wassermassen in das Weingut, so beschreibt es der Winzer. Er selbst hält sich mit seinen Kindern in der Wohnung im ersten Stock auf. Am nächsten Morgen sieht er: „Alles war von einer 20 Zentimeter dicken Schlammschicht überzogen. Ich hatte den Stammtisch vom Nachbarn hier drinnen.“
Stodden berichtet, wie er und seine Familie am Tag nach der Flutnacht hilflos auf herausgebrochenen Teerschollen der Straße sitzen und nicht so recht wissen, wo sie anfangen sollen. „Wir waren ja auch komplett abschnitten“, sagt er. „Wir hatten weder Wasser noch Strom – und deswegen auch kein Radio oder Fernsehen“, berichtet er. „Hier fehlte ein ganzes Stück Straße. Da ist für die Archäologen in 2000 Jahren viel vergraben. In dem Moment konnte hier keiner mehr Müll trennen. Ich weiß, da liegt ein Thermomix drin – aber nicht meiner.“
Einen Tag später geht das Aufräumen richtig los. „Wir mussten nach vorne schauen, nicht fragen ‚wieso?‘. Wir mussten mit dem Scheiß umgehen, der passiert ist.“ In der Anfangsphase geht es schnell voran, „weil es kurze Dienstwege gab“, sagt Stodden. „Jetzt hat sich die Verwaltung sortiert. Und das Problem ist, dass dort nirgendwo ein Entscheider sitzt. Es gibt niemanden, der seinen Kopf für Entscheidungen hinhält.“ Deswegen werde der Wiederaufbau wohl noch mehrere Jahre dauern.
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Winzer an der Ahr: „Ich habe nie eine Reportage über die Flut angeschaut“
Das sei auch deshalb schlimm, weil das Ahrtal eine Tourismusregion ist. Viele hier leben von den Urlaubern. „Doch wenn das Hotel links und rechts neben Ruinen steht und wenn ich auf Baustellen und Zerstörung schaue, dann macht Wellness keinen Spaß“, sagt Winzer Stodden.
Und obwohl er sein Weingut wieder aufgebaut hat und preisgekrönte Rotweine keltert, verfolgt ihn die Flut auch drei Jahre später. „Ich habe nie eine Reportage über die Flut angeschaut, habe mir nie Bilder angesehen. Das, was ich hier gesehen habe, reicht mir. Das andere brauche ich mir gar nicht anzuschauen.“
Gastronom berichtet: Versicherung zahlte nur rund die Hälfte der Schadenssumme
Wie Stodden hat auch Thorsten Rech im Nachbarort Mayschoß nach der Flut eine Existenz selbst wieder aufgebaut. Er führt die Gaststätte „Bahnsteig 1“, ein kleines Restaurant direkt an der komplett zerstörten Bahnstrecke durch das Ahrtal. Die Flut riss aus dem alten Bahnhofsgebäude ganze Wände heraus. Zweieinhalb Jahre hat er am Wiederaufbau gearbeitet. Zunächst geht alles schnell. Mit Helfern entkernt er das historische Haus – dann muss es trocknen. Rech engagiert sich währenddessen auch für andere. Er gründet die sogenannte „Ersatzküche“ in Mayschoß und kocht mit seinem Personal täglich 250 Essen für die Helferinnen und Helfer und für die Einheimischen.
Die Probleme beim Wiederaufbau kommen erst später: bei der Suche nach Handwerkern und bei den Verhandlungen mit der Versicherung. „Es war viel Frust dabei, aber ich habe eigentlich immer geschaut, was wir als Nächstes machen“, erzählt er. Das Gebäude ist versichert. Doch die Versicherung schätzt die Schadenhöhe anders ein als ein unabhängiger Gutachter – und zahlt nur rund die Hälfte.
Rech hat Anspruch, dass die Lücke zwischen Schadenssumme und Versicherungssumme durch die Investitions- und Strukturbank Rheinland-Pfalz (ISB) ausgeglichen wird. „Die volle Summe brauchen wir gar nicht, weil wir viel selbst gemacht haben“, sagt Rech. Doch die Verhandlungen mit der ISB sind zäh. Da das alte Bahnhofsgebäude unter Denkmalschutz steht, muss Rech bei der Renovierung einige Vorgaben erfüllen – Posten, die die ISB immer wieder anzweifelt.
Lobende Worte findet er für die Baustelle der Bahn. „Wenn ich hinausschaue, sehe ich immer jemanden arbeiten – auch an Sonn- und Feiertagen“, so Rech. Bis Ende 2025 soll die Bahnstrecke fertiggestellt sein. Und erst dann will das Land die Straßen erneuern, weil bis dahin große Maschinen und schwere Materialien transportiert werden. „Da schaukelt sich gerade ein bisschen was hoch, weil es hier eine Tourismusregion ist“, sagt Rech. „Mein Lieblingsbeispiel hier ist das Brückengeländer. Das ist ein großartiges Provisorium, was das Technische Hilfswerk in den ersten Wochen aufgebaut hat. Es wäre ein Leichtes, das mal gegen ein schönes Geländer zu tauschen.“
„Für ähnliche Katastrophen sind wir nicht gerüstet“
Die Flut zerstörte auch Teile der Kleinstadt Bad Neuenahr-Ahrweiler. Allein hier starben 69 Menschen. Vieles ist wieder aufgebaut. Die meisten Geschäfte und Restaurants in der Innenstadt haben wieder geöffnet. Doch auch hier sind die Folgen noch immer sichtbar. „Wir haben viele, die mit aller Macht aufgebaut haben und die sagen: jetzt nur noch Blick in die Zukunft, nicht mehr zurück“, sagt Bürgermeister Guido Orthen. „Und dann gibt es diejenigen, die bis heute das Erlebte nicht wirklich verdaut haben. Die bis heute nicht wieder in ihrem alten Zuhause sind, die teilweise mit dem Wiederaufbau noch gar nicht angefangen haben“, berichtet der CDU-Politiker. In den Notunterkünften lebten noch immer mehr als 100 Menschen.
„Dazwischen gibt es alle Gemütslagen und das ist auch tagesformabhängig – auch bei einem selbst“, so Orthen. „Wenn man vor 400 Menschen spricht, wie trifft man den richtigen Ton?“ Ein Viertel der Menschen im Ahrtal sei laut Spezialisten traumatisiert, sagt Orthen, – das sind rund 10.000 Menschen. „Von Normalität will ich noch nicht sprechen, denn die benötigt Verarbeitung. Und die braucht noch Zeit“, so Orthen.
Er gibt zu: „Wir haben uns alle im Herbst 2021 verschätzt. Wir haben geglaubt, es geht schneller.“ Vor allem die Planungsprozesse für den Wiederaufbau brauchten länger als gedacht. „Es gilt, Dinge anders zu machen als vorher. Wir werden die Brücken nicht mehr so bauen, wie sie waren.“
„Wir haben geglaubt, es geht schneller.“
„Wir haben ein Bürokratieproblem“, sagt der Bürgermeister. „Wir haben mit den gleichen Gesetzen zu kämpfen in einem Katastrophengebiet wie die Menschen Berlin, in Flensburg oder in Garmisch. So bekommt man eine Katastrophe nicht angemessen bewältigt, dafür braucht es Sonderrecht.“ Und er fügt hinzu: „Ähnliche Katastrophen werden in dieser Republik wieder kommen und dafür sind wir nicht gerüstet.“