Berlin. Steigende Preise, Klimawandel, Bevölkerungswachstum: Der Tourismus steht vor großen Problemen. Wie wird sich der Urlaub in Europa verändern?

Wer sich im Sommer in den Metropolen Europas aufhält, merkt vor allem eins: Es ist voll. Die Menschenmassen schieben sich durch die engen Gassen, und man kann froh sein, wenn man zur besten Abendbrotzeit einen Sitzplatz in einem der überteuerten Restaurants bekommt. In vielen Orten Spaniens demonstriert die Bevölkerung bereits gegen den Massentourismus.

Doch wird sich der Urlaub in Zukunft verändern? Werden immer mehr Menschen nach Europa reisen? Wird es Beschränkungen geben? Und wie wirkt sich der Klimawandel auf den Tourismus aus? Das erklärt Prof. Dr. Jürgen Schmude, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Tourismuswissenschaft, im Interview.

Amerikanische Medien warnen die US-Bürger derzeit vor Reisen nach Europa. Der Dollar stehe schlecht, Europa sei überfüllt, die Preise hoch. Wirken sich solche Warnungen auch auf die Besucherströme aus?

Prof. Dr. Jürgen Schmude: Grundsätzlich wird bei uns alles teurer, das können wir nicht bestreiten. Gleichzeitig steigen jedoch die Umsätze in der Tourismusbranche, obwohl die Besucherzahlen aber mehr oder weniger gleichbleibend sind. Demnach steigt also der Umsatz pro Reisendem. Ob die gestiegenen Kosten für weniger Besucher sorgen, würde ich bezweifeln. Das kommt immer auf die Quellmärkte an. Im asiatischen Bereich etwa spielt das Thema Sicherheit eine entscheidende Rolle. Bei Anschlägen wird dann ganz Europa stigmatisiert und gemieden, egal ob das Attentat in Paris oder Istanbul war.

Prof. Dr. Jürgen Schmude ist der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Tourismuswissenschaft und Professor im Ruhestand für Tourismuswirtschaft, Nachhaltigkeit und Corporate Social Responsibility an der Ludwig-Maximilians-Universität in München.
Prof. Dr. Jürgen Schmude ist der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Tourismuswissenschaft und Professor im Ruhestand für Tourismuswirtschaft, Nachhaltigkeit und Corporate Social Responsibility an der Ludwig-Maximilians-Universität in München. © privat | Privat

Werden die Besucherströme in Zukunft dennoch steigen – oder sogar sinken?

Schmude: Grundsätzlich werden immer mehr Menschen nach Europa reisen. Abgesehen von der Delle während der Corona-Pandemie ist das seit über 20 Jahren eine Erfolgsgeschichte, was auch durch Zahlen der Welttourismusorganisation (UNWTO) belegt wird. Das liegt unter anderem daran, dass der Mittelstand in bevölkerungsstarken Quellmärkten wie Indien oder China wächst. Damit wächst auch der Anteil derjenigen, die reisen können und auch wollen.

Werden die Tourismuspreise in Europa dann weiter steigen? 

Schmude: Die gleichen Produkte werden immer teurer. Das liegt daran, dass die Mobilitäts- und Personalkosten deutlich gestiegen sind. Andererseits gibt es momentan einen überlagernden Prozess zu mehr Qualität. Es wird oft postuliert: Bietet mehr Qualitätstourismus an und weniger Quantität. Dennoch wird es immer noch das Massenprodukt Pauschalreise geben, das aber auch teurer wird. Das lässt sich gar nicht verhindern, eben weil die Kosten für die Rahmenbedingungen teurer geworden sind.

Könnte der Klimawandel Einfluss auf die bevorzugten Reiseziele haben? Werden kühlere Länder wie in Skandinavien dann beliebter?

Schmude: Das wurde im letzten Jahr zum ersten Mal intensiv unter dem Stichwort „Coolcation“ diskutiert, also eine Reise in kühlere Destinationen Europas. Zu diesem Zeitpunkt gab es die massiven Waldbrände in Griechenland sowie Wasserknappheit in Spanien und Italien. Das Problem ist, dass Touristen ein relativ kurzes Gedächtnis haben und sich nicht daran erinnern, wie schlimm die Situation im letzten Jahr war, und trotzdem in diese Regionen reisen. Bis sich das in den Köpfen ändert, dauert es und führt auch zu keinen Brüchen im Verhalten. Es gibt zwar eine kleine Gruppe, die in kühlere Regionen reisen wird. Für das Gros gilt das aber nicht.

Aufstand gegen Massentourismus in Spanien

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    Könnten die skandinavischen Länder einen Touristenansturm auffangen? Die günstigen Pauschalreisen findet man ja eher im Süden …

    Schmude: Der Pauschalreisegürtel befindet sich immer noch im Mittelmeerraum. Da sind die Angebote traditionell sehr stark und deutlich günstiger. Man muss sich mal vorstellen, wenn fünf Millionen Menschen statt nach Spanien nach Schweden reisen. So viele Personen könnten gar nicht untergebracht werden.

    Sie haben Probleme wie den Wassermangel in Ländern wie Spanien und Italien bereits angesprochen. Könnte es in Zukunft Restriktionen geben, um Reiseströme zu bremsen? 

    Schmude: Bei dieser Diskussion geht es um den sogenannten Overtourism und wie man ihn am besten steuern könnte. Tatsächlich ist es schwierig, diese Reiseströme zu beeinflussen. Wir werden verschiedene Modelle sehen, die sich aber nicht in jeder Destination gleichermaßen umsetzen lassen. Amsterdam zum Beispiel hat die Bettenkapazität begrenzt. Venedig verlangt eine Tagespauschale, die sich aber auch aufgrund der geografischen Gegebenheiten leicht umsetzen lässt.

    Andere Städte machen in den entsprechenden Quellmärkten auch einfach keine Werbung mehr, um nicht zusätzlich Touristen anzulocken. Eine andere Idee ist das sogenannte Dynamic Pricing, wo variable Preise je nach Tageszeit aktuell angeboten werden. In nachfrageschwachen Zeiten sinken die Preise, in nachfragestarken steigen sie wieder.

    Norwegen lockt mit atemberaubenden Fjorden, tiefen Wäldern und viel freiem Land. Für einen Tourismusansturm wären die skandinavischen Länder aber nicht vorbereitet.
    Norwegen lockt mit atemberaubenden Fjorden, tiefen Wäldern und viel freiem Land. Für einen Tourismusansturm wären die skandinavischen Länder aber nicht vorbereitet. © imago images / robertharding | imago stock&people

    Die Deutschen sind sehr reisefreudig. Werden wir unser Reiseverhalten ändern und zum Beispiel mehr Urlaub im eigenen Land machen?

    Schmude: Wir dürfen nicht vergessen, dass Deutschland die wichtigste Urlaubsdestination der Deutschen ist. 30 Prozent der Haupturlaubsreisen, also der eine große Urlaub im Jahr und nicht die Wochenendtrips und Zweitreisen, finden im eigenen Land statt. Und diese Reiseströme sind seit Jahren stabil und verändern sich nur sehr langsam. Das bedeutet aber auch: Bei zwei Dritteln der Leute geht diese Reise ins Ausland. Selbst während Corona waren es noch mehr als die Hälfte. Und wir haben angelerntes Reiseverhalten, dass wir nur sehr schwerlich verändern.

    Wie steht es mit der Anreise? Werden wir mehr Fokus auf Bahn und Bus setzen, anstatt ins Flugzeug zu steigen?

    Schmude: Das hängt davon ab, wie sich die Mobilitätskosten verändern. Nach Corona gab es die Hoffnung, dass wir alle viel bewusster reisen und nachhaltigere Verkehrsmittel wählen. Im Augenblick sind wir aber alle zum Status quo ante zurückgekehrt und reisen wieder wie zuvor. Für die Zukunft bin ich nicht zu optimistisch, dass es da wirklich zu einem Wandel kommen wird. Revolutionen des Reiseverhaltens werden wir nicht erleben.