Dresden. Die Show der Berliner Band Rammstein ist Bühnentheater der Extraklasse. Warum unserem Autor trotzdem ein Schauer über den Rücken läuft.

Es ist mein erstes Mal. Mein erstes Mal bei Rammstein. Und dann gleich in der Feuerzone direkt vor der Bühne. Doch dazu später mehr. Als ich in Dresden am Bahnhof ankomme, steigen gleich mehrere Menschen mit Rammstein-T-Shirts aus. Das gleiche Bild in der Innenstadt: Überall mischen sich Fans der legendären wie umstrittenen Band unter die zahlreichen Besucher und Einheimischen an dem langen Feiertagswochenende. Insgesamt 200.000 Konzertbesucher werden zu den vier (!) Shows in der Elbstadt erwartet. Eine Demo, wie es sie noch zum Deutschland-Auftakt der Tour am vergangenen Mittwoch gegeben hatte oder negative Bekundungen gegenüber den Fans, erlebe ich in Dresden an diesem Samstag nicht. Rammstein bleibt ein Zuschauermagnet, aller Vorwürfe zum Trotz.

Wer mit Fans spricht, erfährt auch, warum. Eine Freundin ist mit Familie und Freunden angereist, alle sind von unterschiedlichen Orten quer durch Deutschland gefahren, um Rammstein auf der „Europe Stadium Tour 2024“ zu sehen. „Wir sind mit fünf Leuten unterwegs – von 15 bis 67“, sagt sie.

Rammstein in Dresden: Fans reisen stundenlang, um Band zu sehen

Ihr Freund ist nach eigenem Bekunden seit Grundschulzeiten Fan, hat sich von seinem Vater von dem Hype um die Band der Neuen Deutschen Härte anstecken lassen. „Das Bühnenbild, die rockige Atmosphäre, das ist genial“, sagt er. Seit vergangenem Jahr schminkt er sich auch zu den Konzerten gemeinsam mit einem Freund. Was sie genau machen, wissen die beiden am Nachmittag noch nicht. „Auf jeden Fall wollen wir düster wirken.“ Schwarze, weiße, anthrazitfarbene und goldene Schminke, Kunstblut und Glitzerspray haben sie dazu mitgebracht.

Fans begrüßen die Band zu Beginn des Auftritts mit der „Pommesgabel“.
Fans begrüßen die Band zu Beginn des Auftritts mit der „Pommesgabel“. © BM | Marc R. Hofmann

Seine Freundin sieht das etwas differenzierter. „Die Show zählt für mich“, sagt sie. Zu Hause höre sie die Musik nicht, die Konzerte seien aber „ein Erlebnis, das gibt es sonst nirgendwo. Alle rasten total aus.“ Die Vorwürfe gegen Till Lindemann lassen sie nicht kalt, einen Grund, nicht zum Konzert zu gehen, sieht sie darin jedoch nicht.

Schwarze Shirts und Tattoos gehören zur Szene

Skeptisch, aber gespannt, mache ich mich am Abend auf den Weg. Groß auf der Karte nachschauen, muss ich nicht. Aus allen Ecken Dresdens strömen Menschen in Rammstein-Hoodies und T-Shirts in Richtung Open-Air-Gelände. Einige tragen Leder, andere Overalls mit Patches der Band, sind geschminkt. Immer wieder sehe ich das Rammstein-Kreuz auf Arme und Oberkörper von Männern tätowiert, aber auch im Ausschnitt von Frauen. Die Verbundenheit mit der Band geht also ganz offensichtlich tief.

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Männergruppen jeden Alters sind dabei, Pärchen, junge Frauen, die Fan-Szene ist jedenfalls durchmischter als gedacht. Einig sind sie sich nur bei der Farbwahl: natürlich schwarz.

Klavierklänge aus der Feuerzone

Als ich mir auf dem riesigen Gelände direkt an der Elbe den Weg in Richtung Feuerzone bahne, eine weitere Überraschung, jedenfalls für den Rammstein-Novizen. Zu hören sind Klavierklänge des französischen Musiker-Duos Abélard. Obwohl schon mehrfach mit der Band unterwegs, gefällt das offenbar nicht allen Gästen. Immer mal wieder sind (leise geäußerte) Unmutsbekundungen zu hören.

Geschafft: Reporter Marc R. Hofmann in der „Feuerzone“ bei Rammstein in Dresden.
Geschafft: Reporter Marc R. Hofmann in der „Feuerzone“ bei Rammstein in Dresden. © BM | Marc R. Hofmann

Ich hingegen erreiche ziemlich entspannt den extra abgesperrten Bereich direkt vor der Bühne, erhalte ich ein mintfarbenes Bändchen mit Flammen darauf. Um die sagenumwobene „Row Zero“ dreht es sich dabei aber nicht. Das Bändchen bekommen alle Besucherinnen und auch Besucher der Feuerzone, um den Bereich während des Konzerts verlassen und wieder betreten zu können. Der Fotografengraben, also der Bereich direkt vor der Bühne, ist von zahlreichen Sicherheitsmitarbeitern geschützt und bleibt – jedenfalls wann immer ich schaue – tabu.

Band erscheint mit einem Blitz

Dann geht es endlich los. Zur hymnenartigen Rammstein-Version von „Music for the Royal Fireworks“ erscheint die Band mit einem Blitz in den bekannt aberwitzigen Kostümen in einem rauchenden Fahrstuhl durch den Turm der riesigen Bühnenkonstruktion hinunter. Als erst elektronischen Klänge, dann Schlagzeug und schließlich der Bass einsetzen „Ramm4“, singt Frontmann Till Lindemann: „Hier kommt die Sonne, das alte Leid. Der Meister singt, ‚Seid Ihr bereit?‘“ Die Fans sind es ganz offensichtlich, die Finger werden zur Pommesgabel abgespreizt und in die Höhe gereckt, dem Gruß der Metal- und Rock-Fans. Lindemann ruft: „Dresden, es beginnt!“

Feuer, Konfetti, gewehrsalvenartig blitzendes Licht: Die Show von Rammstein ist an Special Effects kaum zu überbieten.
Feuer, Konfetti, gewehrsalvenartig blitzendes Licht: Die Show von Rammstein ist an Special Effects kaum zu überbieten. © BM | Marc R. Hofmann

Zu „Links 2 3 4“ marschiert Christian „Flake“ Lorenz in einem golden glitzernden Anzug mit pfauenradartigem Helmbesatz auf einem Laufband vor seinem Keyboard vor und zurück. Die Bässe wummern wie ein Luftzug durch die Menge. „Hab keine Lust, mich anzufassen“, singt Lindemann. Sehr wohl aber „mich auszuzieh‘n“ und noch einige explizite Sachen. Das Publikum singt mit, männlich wie weiblich, jung wie alt. Wiewohl man die ob der wummernden Bässe teilweise gar nicht so viel versteht.

So heiß wird es in der Feuerzone

Es folgt der Refrain: „Mir ist kalt, so kalt.“ Auf die Fans trifft das ob der gebotenen Show ganz offensichtlich nicht zu. Flammen schlagen aus der Bühne, Lindemann zündet Bengalos, die Hitze ist in der Feuerzone deutlich zu spüren und bleibt doch maßvoll.

Puppe“ beginnt melodischer, ein übergroßer Kinderwagen wird auf die Bühne geschoben. Wobei klar ist, dass es nicht lang so einmütig weitergehen würde. Lindemann, silberfarben geschminkt, mit clownhaft nachgezogenem Mund und Augen, fantasiert erst von Medikamenten, dann schreit er, die Musik wird dramatisch: „Und dann reiß‘ ich der Puppe den Kopf ab.“ Plötzlich schlagen Flammen aus dem metallischen Gefährt. „Es geht mir nicht gut“, singt der 61-Jährige mit dämonischer Stimme.

Immer knallt und brennt es irgendwo bei Rammstein

Anschließend werden die Klänge wieder elektronischer, Gitarrist Richard Kruspe wechselt in einem Elvis-artigen Outfit an den Synthesizer, in der jetzt gut „beheizten“ Feuerzone wird an mehreren Stellen gepogt. Wenig später findet sich Keyboarder Flake auf einmal im Hitzeschutzanzug in einem riesigen Kochtopf wieder, Lindemann läuft – oder humpelt eher –, mit Kochmütze bekleidet, Mikro in ein Fleischerbeil gesteckt über die Bühne.

Till Lindemann übt sich als Koch im Flambieren.
Till Lindemann übt sich als Koch im Flambieren. © BM | Marc R. Hofmann

Aus den Lautsprechern dröhnt: „Heute treff‘ ich einen Herrn. Der hat mich zum Fressen gern“ und „Du bist, was Du isst. Und ihr wisst, was es ist“, während Lindemann Flake mit größer werdendem „Besteck“ flambiert. Die Stimmung kocht in der Feuerzone. Und dennoch: Wo Rempler vorkommen, wird sich artig entschuldigt, viele tanzen, ohne dass daraus „eine“ Bewegung wird. Zu einem ekstatischen gemeinschaftlichen „Ausraster“, fehlt ein gutes Stück. Jedenfalls für mein Empfinden.

Band beherrscht auch ruhigere Töne. Zeitweise

Wenig später auch die Band auf eine B-Stage gegenüber Hauptbühne auf, schlägt zusammen mit den Pianistinnen von Abélard wieder etwas ruhigere Töne an, während Tausende Handylichter das Freigelände in ein Lichtermeer tauchen, bevor die Musiker auf Schlauchbooten über die Köpfe der Fans zurück zur Bühne getragen werden, High Fives und Autogramme inklusive.

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„Du riechst so gut, du riechst so gut, ich geh‘ dir hinterher. Du riechst so gut, ich finde dich. So gut, so gut, ich steig‘ dir nach. Du riechst so gut, gleich hab ich dich“, schallt es aus dem Mund von Till Lindemann. Zeilen – egal ob Kunst oder nicht – die mir ein Schauer über den Rücken laufen lassen. Wenig später sattelt der Rammstein-Frontmann die riesige Penis-Kanone, die ob der Vorwürfe übergriffigen Verhaltens im vergangenen Jahr zeitweise aus dem Programm geflogen war, spritzt Schaum über die ersten Reihen der Feuerzone.

Show kommt zum Höhepunkt

Mit diesem „Höhepunkt“ nähert sich das professionell choreografierte Bühnentheater dem Ende. Mehr als zwei Stunden, in denen die Band ihr Publikum in eine Welt entführt, in der als übertrieben empfundene Political Correctness noch eine geisterhafte Erscheinung aus der Zukunft war. Offen thematisiert wird das bei dem Auftritt nicht, von einzelnen Fans mit T-Shirt-Aufschriften wie „I stand with Rammstein“ abgesehen. Show, das können sie, keine Frage. Für mich bleibt trotz des inzwischen eingestellten Ermittlungsverfahrens ein gewisser Beigeschmack.