Rom. Das starke Erdbeben in Neapel hat große Missstände bei den Fluchtwegen offenbart. Im Notfall könnte das zu einer Katastrophe führen.
Das schwere Erdbeben, das im Mai die Region um Neapel erschütterte, hat tiefe Spuren hinterlassen. Während in der Bevölkerung die Sorge vor einem Ausbruch der Phlegräischen Felder wächst, lässt die Stadt die Statik hunderter Gebäude überprüfen. Dutzende Familien können auch Tage später noch nicht in ihre einsturzgefährdeten Häuser zurückkehren. Auch Urlauber sind verunsichert.
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Die italienischen Behörden arbeiten derweil an einem großangelegten Evakuierungsplan, sollte es zu einem noch stärkeren Beben kommen. Es geht um praktikable Lösungen für Notfallszenarien, aber auch um die Überprüfung von Fluchtwegen – denn längst nicht alle sind nutzbar.
Supervulkan: Evakuierung stellt Italiens Regierung vor Probleme
Hauptproblem ist die dichte Besiedlung der Gegend mit rund 600.000 Menschen. In dem hügeligen Gebiet um die Campi Flegrei mit seinen engen und kurvenreichen Straßen ist die Evakuierung der Bevölkerung eine gewaltige Herausforderung. Mindestens drei der im aktuellen Evakuierungsplan vorgesehenen Fluchtwege müssen erst noch gebaut, fertiggestellt oder gar verbreitert werden.
Ein Beispiel ist die Stadt Pozzuoli, mit 81.000 Einwohnern eine der größten Gemeinden im Vulkangebiet: Die drei Zufahrten zur großen Umgehungsstraße Via Campana, die für die Evakuierung der Stadt von größter Bedeutung ist, hätten bereits vor drei Jahren fertiggestellt werden sollen. Doch die Arbeiten wurden aus bürokratischen Gründen eingestellt. Auch die Reparaturen nach dem großen Beben am 20. Mai laufen schleppend: In Pozzuoli bildete sich unter einer Straße ein größeres Loch im Pflaster, das dort noch immer klafft, wie Anwohner bemängeln.
Name | Campi Flegrei (Phlegräische Felder) |
Lage | Westlich von Neapel, Italien |
Typ | Supervulkanische Caldera |
Bedeutende Eruptionen | Campanian Ignimbrite (vor 39.000 Jahren), Neapolitan Yellow Tuff (vor 15.000 Jahren) |
Größe | 13 km breit |
Historische Bedeutung | Zwei massive Eruptionen führten zum Kollaps der Caldera |
Das Beben hat außerdem bewiesen, dass das bestehende Straßennetz dem Ansturm bei einer großen Krisensituation nicht gewachsen wäre: Zahllose Menschen versuchten, die Gegen in ihren Autos zu verlassen. Bilder von dem heillosen Verkehrschaos, das folgte, gingen durch die sozialen Medien. Evakuierungsübungen wurden in der Region seit Jahren nicht mehr durchgeführt. Kritiker bemängeln, dass Gelder aus dem von der EU finanzierten Wiederaufbauplan für die Zeit nach der Corona-Pandemie – 200 Milliarden Euro – nicht für den Bau von Fluchtwegen in der Gegend der Phlegräischen Felder genutzt werden.
Sorge um Tourismus: „Buchungen liefen bisher sehr gut“
Im akutesten Fall könnte auch der Schiffsverkehr als Fluchtweg in die Planungen miteinbezogen werden. Die Evakuierung würde vom Hafen Pozzuoli erfolgen. Allerdings bereitet hier der „Bradyseismus“ Probleme, das anhaltende Heben und Sinken des Bodens durch unterirdische Magmabewegungen. Inzwischen hat sich der Meeresboden im Hafenbecken so weit angehoben, dass Fähren zunehmen Schwierigkeiten haben, den Kai zu erreichen, ohne aufzulaufen. Die Hafenbehörde hatte daher schon des Öfteren eine Vertiefung gefordert.
Sorgen bereitet auch die Gemeinde Bacoli, in der es an größeren Straßen fehlt. Die Zufahrtsrouten zu der Kleinstadt mit ihren 25.000 Einwohnern sind häufig vom Verkehr schwer belastet. „Erdbeben in diesem stark vulkanischen Gebiet sind keine Neuigkeit“, sagte der Bürgermeister Bacolis, Gerardo Della Ragione, unserer Redaktion. „Wir haben das Recht, hier zu leben, wo wir geboren wurden.“ Dennoch sieht das Stadtoberhaupt Grund zum Handeln: Die Sicherheit der Gebäude müsse gestärkt werden.
Della Ragione macht sich auch um den Tourismus Sorgen, eine wichtige Einnahmequelle in der Region. „Nachdem es im vergangenen Oktober zu einem schwereren Erdstoß gekommen war, haben viele Ausländer ihren Aufenthalt hier storniert“, so der Bürgermeister. „Wir hoffen, dass dies jetzt nicht auch der Fall sein wird, denn die Buchungen für die Sommersaison liefen bisher sehr gut.“
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Urlauber könnten unbekümmert kommen, betont Della Ragione. „Die Wissenschaftler sagen, dass die Beben einen Monat oder ein Jahr andauern können, sie könnten aber schon morgen wieder abklingen: Wir müssen auf jede Situation vorbereitet sein“, so das Stadtoberhaupt. Im Falle eines Erdbebens erhalten Touristen Hilfe und Informationen vom örtlichen Zivilschutz. Letzterer organisiert im Notfall auch Versammlungspunkte und Notunterkünfte.
Diese Maßnahmen sind zeitnah geplant
Eine Karte mit Gebäuden, die einem erhöhten Erdbebenrisiko ausgesetzten sind, gibt es derzeit nicht. Italiens Regierung feilt jedoch an einem Plan für die Anpassung der Gebäude im Vulkangebiet an die modernsten antiseismischen Standards. Dafür sind 500 Millionen Euro notwendig. Vorrang habe die Stabilisierung von Schulen und öffentlichen Gebäuden, erklärte Zivilschutzminister Nello Musumeci jüngst nach einem Ministertreffen in Rom. Die Regierung erwäge außerdem ein Bauverbot im Gebiet der Phlegräischen Felder.
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Auch Unterstützungsmaßnahmen für Familien, die die Gegend verlassen wollen, werden bereits diskutiert. Derzeit herrscht dort Alarmstufe Gelb. Gefahrenstufe Orange hätte zur Folge, dass die Überwachung verstärkt und die Bevölkerung über die Evakuierungspläne, Fluchtwege und Verhaltensvorschriften informiert werden müsste. Die Evakuierung würde aber erst bei Alarmstufe Rot erfolgen. Eine Karte mit allen Zonen und Versammlungsgebieten findet sich auf der Website des italienischen Zivilschutzes.