Rom/ Italien. Allein in der Tourismusbranche Italiens fehlen 50.000 Arbeitskräfte. Die Streichung von Bürgergeld soll das Problem jetzt lösen.

Not macht erfinderisch. Seit Monaten sucht Luca Tentoni vergebens nach Bedienungspersonal. Er betreibt ein Bistro im Zentrum der norditalienischen Bergstadt Aosta. Für neues Personal hat er bereits einiges versucht, lobte unter anderem einen 300-Euro-Verzehr-Gutschein für denjenigen aus, der ihm einen Kellner oder eine Kellnerin vermitteln. Alles erfolglos.

„Ich weiß nicht mehr, wie ich Mitarbeiter finden soll. Wir haben unzählige Anzeigen geschaltet, haben aber nur eine Antwort erhalten. Wir bieten einen unbefristeten Vollzeitvertrag an, aber das scheint die Personen nicht zu interessieren“, klagt Luca Tentoni gegenüber der lokalen Zeitung „Gazzetta Matin“. Wegen des Personalmangels musste er seine Öffnungszeiten reduzieren. „Einer meiner Mitarbeiter ist in die Schweiz ausgewandert, wo die Löhne höher sind, ein anderer hat den Job gewechselt. Ich weiß jetzt wirklich nicht mehr, was ich machen soll“, so Tentoni.

Flavio Briatore über Personalmangel: „Jugend will nicht arbeiten“

Auch große Unternehmer wie der Ex-Formel 1-Manager und Ex-Partner von Naomi Campbell und Heidi Klum, Flavio Briatore, kämpfen in „Jet Set“-Lokalen mit dem Problem Personalmangel. Für seine renommierte Gastrokette „Crazy Pizza“, die er an den nobelsten Adressen in Mailand, Rom und Neapel geöffnet hat, findet Briatore keine Mitarbeiter.

„Von 150 Lebensläufen, die wir erhalten, können wir maximal eine Person einstellen. Die Jugend von heute will nicht arbeiten. Die Mentalität hat sich geändert, jeder will mehr Freizeit haben. Jugendliche fragen nicht einmal nach dem Lohn, sie fragen, ob sie samstags und sonntags frei haben. Ich begreife aber nicht, wie sie Freizeit haben können, wenn sie kein Geld verdienen“, meint der 74-jährige Unternehmer in den sozialen Netzwerken.

Flavio Briatore betreibt eine Pizzerien-Kette.
Flavio Briatore betreibt eine Pizzerien-Kette. © crazypizza.com | crazypizza.com

Italien: Allein im Tourismus sind 50.000 Stellen offen

Im italienischen Tourismusgewerbe fehlen Schätzungen des Branchenverbands Assoturismo Confesercenti zufolge mindestens 50.000 Personen. Die Schwierigkeit, Personal aufzutreiben, hat inzwischen die Dimension eines echten Notstands erreicht. So sei es unmöglich, Spitzenbelastungen zu bewältigen. Besonders betroffen seien Gebiete wie die Badeortschaften an der nördlichen Adria, beklagte der Verband.

Einführung von Bürgergeld: Einer der Gründe für fehlende Arbeitskräfte?

Vieles hat sich in Italien in den letzten Jahren geändert. Die Regierung aus der linkspopulistischen Fünf-Sterne-Bewegung und Lega hatte 2018 das sogenannte Bürgergeld eingeführt. Italien bekam erstmals eine echte Sozialhilfe. Das italienische Bürgergeld, „Reddito di cittadinanza“, entsprach dem deutschen Hartz IV. Es war eine Grundsicherung für Bürger und Haushalte mit niedrigstem oder gar keinem Einkommen. Für Italien war das ein Novum.

Für einen Alleinstehenden betrug die Höchstleistung des Bürgergeldes 780 Euro im Monat, pro weiterem Familienmitglied gibt es etwas mehr. Eine vierköpfige Familie bekam etwa 1330 Euro. In einigen Fällen jedoch, beispielsweise in der Landwirtschaft Siziliens, in Bereichen wie Wach- und Empfangsdiensten oder der Gastronomie, können die Löhne tatsächlich unter dem Bürgergeld von 780 Euro liegen, sodass sich das Arbeiten nicht lohnte. Der Grund: In Italien gibt es keinen gesetzlich festgelegten Mindestlohn.

In der Folge wurde Kritik laut, dass Bürgergeld-Empfänger davon abgehalten wurden, sich nach einem bezahlten Job umzusehen. Deshalb beschloss die Regierung von Premierministerin Giorgia Meloni in den vergangenen Monaten, das Bürgergeld zu streichen. Dies sollte arbeitsfähige Menschen wieder auf den Arbeitsmarkt treiben. Vor allem bei weniger qualifizierten und schlechter bezahlten Jobs werden händeringend Arbeitskräfte gesucht – etwa im Tourismus, in der Gastronomie und in der Landwirtschaft.

Italiens Premierministerin Giorgia Meloni hat das Bürgergeld eingestampft.
Italiens Premierministerin Giorgia Meloni hat das Bürgergeld eingestampft. © AFP | TIZIANA FABI

Junge Menschen streben nach Universitätsjobs

Anders sieht es aus, wenn die Qualifikation der Jugend besser ist. „Die meisten Studenten sind sich im Klaren, dass die heutige Welt komplex und herausfordernd ist. Sie wissen, dass sie nicht nur Bildung, sondern auch Fähigkeiten und Kompetenzen benötigen, um im Berufsleben zu punkten, in dem sie sich mit Jugendlichen aus vielen anderen Kulturen und anderen Ländern messen“, meint Francesco Di Ciommo, Prorektor an der römischen Universität Luiss.

96 Prozent der Akademiker der Privatuniversität finden innerhalb eines Jahres nach Studienabschluss eine unbefristete Beschäftigung. Di Ciommo sieht ein, dass viele Studenten aus wohlhabenden Familien kommen und nicht an Opfer gewöhnt sind. Dies sei aber nicht unbedingt negativ zu betrachten.

„Viele junge Menschen legen Wert auf einen Arbeitsplatz, wo das Humankapital verwertet wird, wo man sich wohlfühlt und wo es Wachstumsmöglichkeiten gibt. Sie haben andere Ansprüche als die Generationen vor ihnen, die in der Nachkriegszeit aufgewachsen sind. Sie sind sich im Klaren, dass sie Beruf mit anderen Aspekten des Lebens in Einklang bringen wollen, um ein ausgewogenes und glückliches Leben zu führen“, meint Di Ciommo.