Berlin. Die Awaren waren ein gefürchtetes Kriegervolk. Eine DNA-Analyse Hunderter Skelette offenbart faszinierende Erkenntnisse zu ihrem Leben.
Die Awaren waren ein mächtiges Reitervolk, das Zentral- und Osteuropa über Jahrhunderte dominierte. Mit ihren überlegenen Reflexbögen und Reitkünsten waren die Nachfahren der Hunnen in der Schlacht gefürchtet. Doch welches Familienleben die Awaren führten, war bisher größtenteils nur durch Berichte ihrer Feinde bekannt. Forscher haben nun die DNA von Hunderten Toten aus Friedhöfen der Awaren ausgewertet – und sind zu erstaunlichen Ergebnissen gekommen.
Die Awaren stammen ursprünglich aus dem östlichen Zentralasien. Während ihrer Herrschaft in Europa vom 6. bis ins 9. Jahrhundert n. Chr. hinterließen sie unzählige archäologische Überreste. Österreich, die Slowakei, Slowenien, Ungarn und Rumänien waren Awaren-Land. Bis heute konnten Archäologen hier rund 100.000 Gräber der Kultur freilegen.
Mehr als genug DNA-Material, damit ein Forschungsteam unter der Leitung des deutschen Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie eine neue Sicht auf die Familienstrukturen der Awaren werfen konnte. Eine entsprechende Studie wurde im Fachjournal „Nature“ veröffentlicht.
DNA-Analysen: Forscher erstellten Stammbäume über neun Generationen
Durch die DNA-Analysen konnten die Wissenschaftler die Verwandtschaftsbeziehungen von insgesamt 427 untersuchten Individuen bis in die sechste bis zehnte Generation nachverfolgen. Obwohl auf vier Friedhöfe verteilt, hatten 300 von ihnen mindestens einen weiteren nahen Verwandten auf dem selben Friedhof liegen.
Ein Umstand, der den Forschern erlaubte, weitreichende Stammbäume der Bestatteten zu erstellen. Der längste Stammbaum, den die Forscher rekonstruieren konnten, umfasst ganze neun Generationen und dokumentiert 250 Jahre der Familie.
Demnach lebten die Awaren eine strenge väterliche, sogenannte patrilineare Erbschaftsfolge in ihrer Gesellschaft. Doch auch Frauen hatten eine wichtige gesellschaftliche Funktion inne. Mit ihrer Heirat in eine andere Awaren-Gemeinschaft festigten sie den sozialen Zusammenhalt des gesamten Volkes. Die historischen Berichte der Feinde der Awaren, hauptsächlich Byzantiner und Franken, ließen Frauen aus ihren Beschreibung der Awaren außen vor. Von ihrem Leben war vor der Studie so gut wie nichts bekannt.
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Awaren: Führte das Reitervolk ein polygames Sexleben?
Auch scheinen die Awaren mehrere Sexualpartner gehabt zu haben. Darauf lassen die DNA-Befunde schließen. Dabei besonders kurios: männliche Verwandte, beispielsweise Brüder, Väter oder Söhne, hatten häufig Nachwuchs mit der selben Frau. „Diese Praktiken und die Abwesenheit genetischer Blutsverwandtschaft deuten darauf hin, dass die Gesellschaft eine detaillierte Vorstellung davon hatte, wer ihre Vorfahren und wer über Generationen hinweg deren biologische Verwandten gewesen waren“, sagte Guido Alberto Gnecchi-Ruscone, Hauptautor der Studie.
Doch nicht nur die Awaren, auch ihre Friedhöfe veränderten sich über die Zeit. So seien laut der Studie politische Veränderungen der Awaren-Gesellschaft auch an den Friedhöfen ablesbar. Verschiedene Stammbäume lösten sich ab, was sich in den genetischen Informationen der Bestatteten widerspiegelt.
Für die Studie verknüpfte das Forschungsteam die Erkenntnisse ihrer DNA-Analysen mit archäologischen, anthropologischen und historischen Quellen. Forscher mehrerer Disziplinen waren an dem Projekt beteiligt, das Teil des wissenschaftlichen Großprojekts HistoGenes ist. HistoGenes untersucht die Geschichte der Bevölkerung des östlichen Zentraleuropas von 400 bis 900 n. Chr.
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