Rom. Seit 1958 führt Anna Possi die „Bar Centrale“. Sie ist damit vermutlich die älteste Barista der Welt. So blieb sie 99 Jahre lang fit.
Eine Bar in Italien ist eine Institution. So auch die „Bar Centrale“ in der 1.500 Seelen-Gemeinde Nebbiuno, einem beschaulichen Dorf in den Hügeln über dem Lago Maggiore. Wer das Lokal betritt, wird von Anna Possi, einer herzlichen, grauhaarigen Frau begrüßt. Und das schon seit 65 Jahren, seit sie ihren Laden am 1. Mai 1958 gemeinsam mit ihrem Mann Renato eröffnete.
Täglich von sieben Uhr morgens bis sieben Uhr abends, im Sommer sogar bis 21 Uhr, serviert Anna Possi ihren Gästen Espresso, Cappuccino, Cola oder ein Glas Wein. „Wir sind an 365 Tagen im Jahr geöffnet“, erzählt Anna. „Ich schließe an keinem einzigen Tag, nicht einmal an Weihnachten oder Neujahr.“ Am 16. November wird die Italienerin 100 Jahre alt. Das macht sie zur ältesten Bürgerin ihrer Gemeinde – und zur wohl ältesten „Barista“ Italiens, wenn nicht der Welt.
Ihre Gäste sind für Anna Possi „ihre Familie“
„Für mich ist es wichtig, dass mein Lokal offen bleibt“, sagt Anna Possi. Denn es sei ein Treffpunkt: „Wer hierherkommt, weiß, dass er ein warmes Getränk, ein freundliches Wort, einen Ratschlag, oder auch nur eine Toilette finden kann.“ Die Arbeit sei ihr eine Freude, keine Last. „Das Dorf ist klein, es gibt nicht viel Verkehr. Im Sommer kommen einige Urlauber. Auch wenn ich nicht so viele Kunden habe, bin ich zufrieden“, erzählt die Gastronomin. Ihre Gäste seien „ihre Familie“: „Ich habe für jeden genug Zeit, um zu plaudern und ihnen zuzuhören.“
Anna Possi stammt aus Vezzo, einem Bergdorf unweit des Lago Maggiore. Ihre Familie betrieb ein Gasthaus und besaß Land und Tiere. Ihr Onkel hatte ein Restaurant in der Stadt Novara. Hier hat Anna 1946 ihren ersten Espresso serviert. Daran erinnert sie sich noch genau. Eigentlich wollten sie und ihr Mann Renato ein Restaurant eröffnen, entschieden sich jedoch dann für eine kleine Bar.
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„Denn eine Bar zu betreiben, ist unkomplizierter: Man braucht weniger Personal und der Aufwand ist geringer“, erzählt die gut gekleidete Frau. Als sie mit nur 49 Jahren Witwe wurde, beschloss die Mutter zweier Kinder, die Bar allein weiterzuführen. Von ihrem Alter lässt sie sich bis heute nicht einschränken: „Ich brauche zwar am Telefon ein Hörgerät, ansonsten bin ich fit.“ Das verdanke sie der Tatsache, dass sie nicht viel esse und ein sehr geregeltes Leben führe: „Ich halte mich streng an meinen Tagesablauf, stehe morgens um 6 Uhr auf und esse immer zur selben Zeit.“
Deswegen wollen Anna Possis Töchter die Bar nicht übernehmen
Die „Bar Centrale“ mag ein Familienbetrieb sein, aber Possis Töchter Cristina und Francesca wollen das Geschäft ihrer Mutter nicht übernehmen. „Ich habe miterlebt, wie viele Opfer die Arbeit in einer Bar erfordert, das wollte ich nicht machen“, erzählt Cristina. Während der Corona-Pandemie habe sie ihre Mutter überreden wollen, die Bar zu verkaufen. „Doch sie hat jeden Interessenten mit einer Ausrede zurückgewiesen und letztendlich haben wir beschlossen, dass die Bar weiter erhalten bleiben soll, denn sie ist das Leben meiner Mutter.“
Letztere genieße im Dorf große Wertschätzung, so Christina: „Wer was über die Vergangenheit wissen will, wendet sich an sie, denn sie erinnert sich an alles. Sie kennt die ganze Geschichte des Dorfes.“ Am 16. November will die Gemeinde eine große Geburtstagsfeier zu Ehren ihrer „Barista“ organisieren, doch Anna Possi ist darüber nicht sehr begeistert: „Ich stehe nicht gern im Rampenlicht, ich bin am liebsten in meiner Bar, ich mag keinen Wirbel um mich herum.“
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Zu ihrem 99. Geburtstag hat Possi vom Handelsverband Confcommercio eine Auszeichnung erhalten. Der Verband bemüht sich nun darum, dass der italienische Staatspräsident Sergio Mattarella Anna Possi den Titel „Ritter der Arbeit“ verleiht, einen Ehrentitel für Personen, die sich im Beruf besonders ausgezeichnet haben.
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Anna Possi ist auch ohne Orden mit ihrem Leben zufrieden. Sie bedauert nur, wenig herumgekommen zu sein. „Ich hätte gern die Welt mit einem Wohnmobil bereist, doch dazu ist es nicht gekommen. Dafür konnte ich aus vielen Ländern in meiner Bar empfangen“, lacht sie.