Nantucket/Berlin. Seit 200 Jahren gelten Grauwale im Atlantik als ausgestorben. Eine Sichtung vor der Küste von Massachusetts lässt Forscher staunen.
- Wissenschaftler haben vor der Küste von Massachusetts einen Grauwal entdeckt
- Die Tiere gelten im Atlantik seit 200 Jahren als ausgestorben
- Das könnte der Grund sein, warum das Tier nun gesichtet wurde
Diese Sichtung hätte sogar den legendären fiktiven Kapitän Ahab aus Herman Melvilles Roman „Moby Dick“ in Verzücken versetzt. Als Melville im Jahr 1851 den wohl bedeutendsten Roman der amerikanischen Literaturgeschichte veröffentlichte, in dem Ahab und die Besatzung der Pequod einen weißen Wal jagen, galten Grauwale bereits seit Jahrzehnten als ausgestorben. Die Riesen der Meere waren so stark bejagt worden, dass im Atlantik kein einziges Exemplar mehr übrig blieb. Heute kommen Grauwale nur noch im Nordpazifik vor. Meeresforscher schätzen ihre Population auf wenige Tausend Exemplare.
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Umso spektakulärer erscheint nun die Sichtung eines Grauwals am 1. März durch Wissenschaftler des New England Aquarium 30 Meilen (etwa 48 Kilometer) vor der Küste von Massachusetts. „Ich wollte nicht laut sagen, was es war, weil es mir verrückt vorkam“, sagte Orla O`Brien vom Anderson Cabot Center for Ocean Life am New England Aquarium in einem Statement. Ein Team vom Wissenschaftlern habe das Areal überflogen, als der mächtige Grauwal auf einmal auftauchte.
Das Tier schien zu fressen, erinnert sich O`Brien. Wieder an Land habe man die Aufnahmen des Tieres sofort überprüft – und festgestellt: Es handelt sich um einen Grauwal. O‘ Briens Kollegin Kate Laemmle zeigte sich nach der Entdeckung des Grauwals überrascht und hocherfreut: „Mein Gehirn versucht zu verarbeiten, was ich gesehen habe, denn dieses Tier war etwas, was es in diesen Gewässern eigentlich nicht geben durfte.“
Grauwal könnte über Nordwestpassage in den Atlantik gelangt sein
Dass es sich bei der Sichtung tatsächlich um einen Grauwal gehandelt hat, scheint keinem Zweifel zu unterliegen. Die Tiere sind durch ihre grau-weiße Färbung, die breite Schwanzflosse (Fluke) und die fehlende Rückenfinne leicht von anderen Walarten zu unterscheiden. Die Säuger sind zwischen 13 und 15 Metern lang und erreichen ein Gewicht von bis zu 40 Tonnen. Unter Walfängern war der Grauwal seinerzeit auch als „Teufelsfisch“ gefürchtet, weil er sich in extremer Weise zur Wehr setzte, wenn ihm Harpunen in den Körper getrieben worden.
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Die Meeresforscher glauben herausgefunden zu haben, warum sie wieder einen Grauwal im Atlantik sichten konnten. Schuld sei wohl der Klimawandel. Das Tier könnte über die Nordwestpassage vom Pazifik in den Atlantik gekommen sein. Der 5780 Kilometer lange Seeweg nördlich des amerikanischen Kontinents war in den vergangenen Sommern eisfrei, was laut Klimaexperten auch auf steigende Temperaturen zurückzuführen sei. Dieser Umstand könnte auch die Sichtung eines Grauwals im Dezember 2023 vor der Küste Floridas erklären. Die Forscher des New England Aquarium glauben, dass dieses Tier dasselbe gewesen sein könnte, das sie nun weiter nördlich vor Massachusetts gesichtet haben.
Für die Wissenschaftler sind die Sichtungen aber nicht nur Grund zur Freude. „Sie zeigen, wie schnell Meeresbewohner auf Klimaveränderungen reagieren“, sagt Orla O‘Brien. Experten rechen allerdings nicht damit, dass der Grauwal in absehbarer Zeit wieder im Atlantik heimisch werden könnte. Joshua Stewart von der Oregon State University glaubt, dass es Jahrzehnte, wenn nicht Jahrhunderte dauern würde, bis sich eine nennenswerte Population an Grauwalen im Atlantik entwickelt.