Berlin. Ein 25-Jähriger, der eine Frau vergewaltigt haben soll, wurde kurz vor der Tat bei einem Angriff überwältigt. Dennoch kein Haftbefehl.

Der Fall eines 25-jährigen Syrers, der eine 23-jährige Frau am Samstagabend in einem Wohnheim für Geflüchtete in Berlin-Lichterfelde (Bezirk Steglitz-Zehlendorf) vergewaltigt haben soll, hat für die Berliner Generalstaatsanwaltschaft ein politisches Nachspiel. Am Mittwoch wird die Angelegenheit nach Informationen der „Berliner Morgenpost“ Thema im Rechtsausschuss des Abgeordnetenhauses sein. Einige Ausschussmitglieder fordern zudem von Generalstaatsanwältin Margarete Koppers, Rede und Antwort zu stehen über die Hintergründe.

Besonders brisant: Der mutmaßliche Täter soll bereits am Freitag eine 78-Jährige aus heiterem Himmel und ohne erkennbaren Grund in deren Wohnung in Moabit angegriffen und gewürgt haben. Die Polizei konnte ihn festnehmen – doch festgehalten wurde er nicht. Eine Bereitschaftsstaatsanwältin hatte in seinem Fall keinen dringenden Tatverdacht ausgemacht.

Deshalb konnte gegen den Verdächtigen auch kein Haftbefehl erlassen werden. Er wurde keinem Haftrichter vorgeführt, sondern kam frei. Nach dem mutmaßlichen Missbrauch vom Samstag ist er nun auf der Flucht. Nach dem Mann wird wegen gefährlicher Körperverletzung und Vergewaltigung gefahndet.

Haftbefehlentscheidungen immer Einzelfallentscheidungen

Der Vorfall sorgte am Wochenende für Entsetzen und für eine breite Diskussion in den sozialen Netzwerken. Vielfach wurde der Berliner Justiz auf Plattformen wie X falsche Rücksichtnahme und falsch verstandene politische Korrektheit unterstellt, weil es sich bei dem mutmaßlichen Täter um einen syrischen Flüchtling handele.

Ganz so weit will der Rechtsexperte der Berliner CDU, Alexander Herrmann, nicht gehen. „Wie überall in der Justiz gilt auch hier die Unschuldsvermutung“, sagt er. „Auch wenn sich die Entscheidung der Staatsanwältin im Nachhinein klar als falsch herausgestellt hat, kann sie zu dem Zeitpunkt trotzdem rechtmäßig gewesen sein.“ Jede Entscheidung über einen Haftbefehl sei nun einmal eine Einzelfallentscheidung. Dabei spielten Faktoren wie der persönliche Eindruck, psychische Auffälligkeiten und Vorstrafen eine Rolle.

Verfahren müssen in Zukunft optimiert werden

Problematisch werde es dann, wenn trotz Hinweisen etwa auf einepsychische Störung doch zugunsten des Verdächtigen entschieden wurde, so Herrmann, worauf es beim vorliegenden Fall zumindest Hinweise gebe: „Deswegen ist es jetzt umso wichtiger, die Hintergründe dieser Fehlentscheidung transparent aufzuklären, um sie wirklich nachvollziehen und bewerten zu können. Hier erwarte ich von Frau Koppers Ehrlichkeit und gegebenenfalls auch Konsequenzen für die verantwortliche Staatsanwältin.“

Dadurch könnten auch Lehren für die Zukunft gezogen werden, so Rechtsexperte Herrmann weiter, indem von nun an beispielsweise Verfahren optimiert oder weitere Quellen zur Beurteilung von Verdächtigen herangezogen würden.

Fester Wohnsitz schützt oft vor Haftbefehl

Ähnlich sieht es die Berliner Polizeigewerkschaft GdP. Es sei desaströs, wenn jemand ein derart schweres Sexualverbrechen begeht und man nach vorheriger Gewalttat keine Gefahr für die Bevölkerung gesehen hat, sagt GdP-Sprecher Benjamin Jendro: „Leider hat auch die Staatsanwaltschaft keine Glaskugel, aber wir hoffen, dass man aus diesem grauenhaften Ausgang lernt und auch Prozesse wie Entscheidungen am Telefon noch einmal hinterfragt.“

Zur Wahrheit gehöre allerdings leider auch, dass Verdächtige selbst bei einer gefährlichen Körperverletzung vor Ort entlassen werden, wenn sie einen festen Wohnsitz angeben können. „Nur wenn das Würgen zum fraglichen Zeitpunkt als versuchtes Tötungsdelikt bewertet wurde, muss man sich fragen, warum ein Haftbefehl nicht wenigstens beantragt wurde“, so Jendro.

Verfehlungen werden intern geprüft

Die Berliner Staatsanwaltschaft verteidigte am Montag derweil das Vorgehen ihrer Mitarbeiterin. „Untersuchungshaftbefehle setzen immer sowohl einen dringenden Tatverdacht als auch einen Haftgrund voraus“, heißt es in einer Mitteilung. Nach Bewertung der Bereitschaftsstaatsanwältin hätten weder für die Begehung weiterer Straftaten noch für eine Flucht des Beschuldigten aus der einmaligen Tat heraus Anhaltspunkte vorgelegen.

Aber: „Ob und inwiefern vor diesem Hintergrund Versäumnisse seitens der Staatsanwaltschaft vorliegen, kann derzeit noch nicht abschließend beurteilt werden, wird aber selbstverständlich intern geprüft“, sagt der Sprecher der Staatsanwaltschaft, Sebastian Büchner.