Berlin. Ein Video sorgt für Empörung, in dem Polizisten Schmerzgriffe gegen ein Mitglied der Letzten Generation einsetzen. War das rechtmäßig?
Das Video löste große Empörung aus: Zu sehen ist eine Klimaaktivistin der Letzten Generation, die vor Schmerzen aufheult, während ihr zwei Polizeibeamte die Arme verdrehen. Am Montag veröffentlichte die Gruppe das 45-sekündige Video auf X (ehemals Twitter) und sorgte damit für eine Grundsatzdiskussion: Darf die Polizei friedliche Straßenblockaden mit Gewalt auflösen? Wann sind sogenannte Schmerzgriffe verhältnismäßig?
"Aufstehen! Ist doch nicht so schwer, oder?", fordert einer der Polizisten die junge Frau in orangefarbener Weste gleich zwei Mal auf. Stattdessen bleibt sie sitzen, wenngleich ihr die Schmerzen im Gesicht anzusehen sind. Eine Frau im Hintergrund mischt sich ein. "Sie müssen den Menschen nicht weh tun", sagt sie. "Stehen Sie doch einfach auf", wiederholt einer der Polizisten. "Ich möchte nicht, dass Sie der Frau weh tun. Lassen Sie sie bitte", mischt sich ein weiterer Mann ein.
Letzte Generation: Das werfen die Klimaaktivisten der der Polizei vor
Die "Letzte Generation" verurteilte auf X die angebliche Polizeigewalt und warf den Beamten vor, der Klimaaktivistin absichtlich Schmerzen zugefügt zu haben. Carla Hinrichs, Sprecherin und Mitglied der Letzten Generation, teilte das Video und kommentierte: "Warum? Hier sollen Polizist:innen über Schmerzen einen Konflikt lösen, den nur die Bundesregierung lösen kann. Wohin führt das?"
Die Berliner Polizei reagierte ebenfalls auf das Video. Demnach hatten die Beamten die Frau vor Anwendung des Schmerzgriffes mehrfach aufgefordert, die Fahrbahn zu verlassen. "Diesen wurde nicht nachgekommen, woraufhin mehrere Androhungen folgten, andernfalls die gezeigten Transporttechniken anzuwenden. Auch während dieser Maßnahme hätte die Person jederzeit selbstständig aufstehen und die Fahrbahn verlassen können", teilte die Polizei via X mit.
Was genau ist ein Schmerzgriff und wann darf er eingesetzt werden? Benjamin Jendro, Sprecher der Gewerkschaft der Polizei, erklärte auf Nachfrage dieser Redaktion, dass es "per se keine Schmerzgriffe gibt". Was es hingegen gebe, seien bestimmte Druck-, Zieh- und Haltetechnicken. Diese Techniken stammen aus dem Kampfsport und verursachen durch körperliche Einwirkung auf schmerzempfindliche Körperstellen Schmerzen. Beispiele dafür sind etwa Arm- oder Handgelenkhebel.
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Wozu Schmerzgriffe eingesetzt werden
Das unmittelbare Ziel der Anwendung dieser Griffe ist der Schmerz selbst. Die Polizei nutzt diese vor allem zur Durchsetzung polizeilicher Maßnahmen. Die Betroffenen sollen durch den Schmerzreiz dazu gebracht werden, die polizeiliche Anweisung zur Handlung oder Bewegung zu befolgen, etwa bei einer Festnahme oder wie in diesem Fall zum Verlassen der Straße.
Wann diese Griffe genau angewendet werden dürfen, ist im "Gesetz über die Anwendung unmittelbaren Zwanges
bei der Ausübung öffentlicher Gewalt durch Vollzugsbeamte des Landes Berlin" geregelt. Darin festgelegt ist, dass die Polizei zur Ausübung ihres Dienstes "unmittelbaren Zwang anwenden" darf, der auch "körperliche Gewalt" bedeuten kann. Eine nähere Eingrenzung liefert das Berliner Gesetz nicht. Offen bleibt auch, was dies für den konkreten Fall bedeutet.
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Wann dürfen Schmerzgriffe eingesetzt werden?
Jendro ergänzt: "Natürlich sollte erst versucht werden, mit anderen Mitteln die Situation zu schlichten. Das macht die Polizei Berlin und versucht es immer erst mit Kommunikation." In diesem Fall war es so, dass die Polizisten mehrfach die Aktivistin aufgefordert haben, aufzustehen und die Straße zu verlassen. Dies ist auch im Video deutlich zu erkennen. "Die Frau hatte mehrfach die Möglichkeit, die Straße einfach zu verlassen", betont Jendro.
Auf die Frage, ob solche Schmerzgriffe in diesem Fall rechtmäßig seien, argumentiert Jendro, dass es sich dabei um eine rechtswidrige Blockade handelt. "Wir reden über eine rechtswidrige Blockade, keine angemeldete Veranstaltung gemäß Versammlungsfreiheitsgesetz. Dementsprechend ist die Polizei verpflichtet, diese aufzulösen", so der GdP-Sprecher. Dabei bezeichnet er diese Blockade als Straftat. Die Polizei sei ihm zufolge verpflichtet, diese rechtswidrige Störung zu räumen – wenn nicht anders möglich auch unter Zwang.
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Schmerzgriffe: Warum die juristische Lage unklar ist
Dabei muss die Polizei immer den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz wahren und das für die Betroffenen mildeste Mittel wählen. Bei den Teilnehmenden einer Sitzblockade, die sich friedlich verhalten und nicht aneinander festklammern oder Widerstand leisten, ist das Wegtragen der Demonstrierenden das mildeste und zugleich effektivste Mittel zur Auflösung der Sitzblockade.
Weiter betont Jendro, dass dieses Video "natürlich auch eine Inszenierung" sei und bewusst mit der Kamera gefilmt wurde. "Polizeiliche Maßnahmen sehen selten schön aus." Dennoch hoffe man natürlich, dass es der Frau gut geht, betont Jendro. Was hingegen nicht gut sei, sei die Selbstjustiz mancher Autofahrer. "Wir appellieren an alle ruhig zu bleiben und sich nicht zu Straftaten hinleiten zu lassen, sondern die Polizei ihre Arbeit machen zu lassen", sagt er.
Bislang ist gerichtlich nicht geklärt, unter welchen Voraussetzungen der Einsatz von Schmerzgriffen durch die Polizei zulässig ist. Erst im Mai hat das Berliner Verwaltungsgericht den Beschwerdeantrag eines Klimaaktivisten der Letzten Generation abgelehnt und der Polizei nicht grundsätzlich die Anwendung des sogenannten Schmerzgriffes untersagt. Klar ist: Die Anwendung von Schmerzgriffen ist ein besonders schwerer Grundrechtseingriff, der nur unter sehr engen Voraussetzungen rechtmäßig ist.