Berlin. Die Situation in Libyen ist auch eine Woche nach den verheerenden Überschwemmungen dramatisch. Noch immer werden Leichen gefunden.
- Libyen befindet nach den schweren Unwettern weiter im Ausnahmezustand
- Mindestens 11.000 Menschen kamen ums Leben, die Zahlen werden Schätzungen zufolge weiter steigen
- Noch immer werden Tausende Menschen vermisst
- Währendessen wächst die Sorge vor Krankheitsausbrüchen
Eine Woche nach den katastrophalen Überschwemmungen in Libyen herrscht in dem Bürgerkriegsland weiter Ausnahmezustand. Internationale Helfer sprechen von einer "katastrophalen humanitären Lage". Die Zahl der Toten erhöhte sich mittlerweile auf mehr als 11.000, nach Angaben des UN-Nothilfebüros (OCHA) kamen allein in der stark zerstörten Hafenstadt Darna rund 11.300 Menschen ums Leben. Weitere 10.100 Menschen würden noch vermisst.
Es sei davon auszugehen, dass die Zahlen noch weiter ansteigen würden, da die Rettungskräfte noch immer nach Überlebenden suchten, hieß es in einem am Samstag (Ortszeit) veröffentlichten Bericht des UN-Nothilfebüros. Abdel-Moneim al Gheithy, Bürgermeister der Stadt Darna im Nordosten Libyens, sagte, er erwarte zwischen 18.000 und 20.000 Tote – allein in seiner Stadt.
In Darna würden noch immer Leichen angespült oder verwesten unter den Trümmern, berichtete der arabische Fernsehsender Al-Dschasira. In der Hafenstadt seien zudem mehr als 30.000 Menschen obdachlos geworden, weitere Tausende in anderen Städten des Landes-Ostens, teilte die Internationalen Organisation für Migration (IOM) auf X, ehemals Twitter, mit.
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Nach schwerem Unwetter: Menschen in Libyen beerdigen ihre Toten
Der Sturm "Daniel" hatte das nordafrikanische Bürgerkriegsland am vergangenen Sonntag erfasst. Nahe der besonders betroffenen Stadt Darna brachen zwei Dämme, ganze Stadtviertel wurden ins Meer gespült. Bis zur Katastrophe hatten in der Hafenstadt rund 100.000 Einwohner gelebt. Inzwischen machten Warnungen die Runde, dass auch ein dritter Staudamm östlich von Bengasi einbrechen könnte. Die Regierung mit Sitz im Osten des faktisch gespaltenen Landes teilte aber mit, dass die Lage an den beiden Dämmen Al-Katra und Wadi Dschasa unter Kontrolle sei.
Drohnenaufnahmen zeigen die dramatische Lage nach der Flutkatastrophe. Ganze Straßenzüge Darnas sind in meterhohem Schlamm versunken. Helfer suchen unter den Erdmassen nach Überlebenden. Die Hilfsorganisation Care Libyen teilte mit, bei einem Wasserstand von bis zu zehn Metern sei das Gebiet um Darna völlig zerstört sowie die Kommunikations- und Stromnetze lahmgelegt worden. Der Bürgermeister in Schahat sprach von rund 20.000 Quadratkilometern überfluteter Gebiete – eine Fläche etwa so groß wie Sachsen-Anhalt. Die betroffenen Regionen wurden zu Katastrophengebieten erklärt.
Zusätzlich erschwert wird die Arbeit der Rettungsteams durch gewaltige logistische Herausforderungen. Die Fluten haben Zufahrtsstraßen nach Darna weggeschwemmt, wichtige Brücken sind unter Schlammmassen begraben. Risiken könnten laut Experten auch Blindgänger und verlassene Munitionslager darstellen. Das Rote Kreuz erklärte, dass es die Gefahr möglicher nicht explodierter Sprengsätze prüfe. Dies sei eine "zusätzliche Herausforderung", sagte ein Sprecher.
Nach Überschwemmungen in Libyen: Angst vor Krankenheiten
Zugleich wächst angesichts der vielen Todesopfer und nicht abfließender Wassermassen die Sorge vor dem Ausbruch von Krankheiten, wie der Magen-Darm-Krankheit Cholera. Bis zum Samstag wurden in Darna etwa 150 Fälle von Durchfallerkrankungen gemeldet.
Das Gesundheitsministerium in der Hauptstadt Tripolis im Westen des Landes warnte laut der Zeitung "Arab News", in Darna gebe es Grundwasser, das mit Leichen, Tierkadavern, Müll und chemischen Substanzen verschmutzt sei. "Wir bitten die Menschen dringend, sich den Brunnen in Darna nicht zu nähern", wurde Gesundheitsminister Ibrahim Al-Arabi zitiert. "Nach einer solchen Katastrophe machen wir uns wirklich Sorgen über Krankheiten, die sich über kontaminiertes Trinkwasser ausbreiten", sagte die Koordinatorin für medizinische Einsätze bei Ärzte ohne Grenzen, Manoelle Carton. Das Ausmaß des Problems sei noch schwer abzuschätzen.
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"Wir hätten die meisten der Opfer vermeiden können"
Was bleibt, ist die Frage nach dem Warum. Beobachter geben den Behörden Mitschuld am Ausmaß der Katastrophe in dem Bürgerkriegsland. Seit dem Sturz von Langzeitmachthaber Muammar al-Gaddafi 2011 ringen zahlreiche Konfliktparteien um Einfluss. Derzeit kämpfen zwei verfeindete Regierungen – eine im Osten, die andere im Westen – um die Macht. Alle diplomatischen Bemühungen, den bis heute andauernden Bürgerkrieg friedlich beizulegen, scheiterten bislang. Infrastrukturmaßnahmen wurden jahrzehntelang verschleppt.
So machen Experten die libyschen Behörden auch für die mangelnde Wartung der Staudämme nahe Darna verantwortlich, die infolge der starken Regenfälle am Wochenende gebrochen waren – mit fatalen Folgen für die Region. Der Generalsekretär der Weltwetterorganisation, Petteri Taalas, sieht die Opferzahlen auch im Fehlen eines funktionierenden Frühwarnsystems begründet. Wenn ein Wetterdienst vor dem herannahenden Unwetter gewarnt hätte, hätten Rettungsdienste Evakuierungen vornehmen können, so Taalas. "Wir hätten die meisten der Opfer vermeiden können."
Experte: "Waren zu sorglos beim Klimawandel"
Die schweren Unwetter in der Mittelmeerregion lassen sich nach Expertenmeinung wahrscheinlich dem Klimawandel zuordnen. In der letzten Woche seien Niederschläge gemessen worden, die es so in Europa noch nie gegeben habe, sagte der Kieler Meteorologe Mojib Latif im Bayerischen Rundfunk. "Ich glaube, wir waren viel, viel zu sorglos, was den Klimawandel angeht." Dies ändere sich gerade.
Innerhalb eines Tages fiel in den betroffenen Regionen Libyens 260-mal so viel Regen wie sonst im Monatsdurchschnitt, berichtet die BBC. "Klimawandel bedeutet nicht einfach nur höhere Temperaturen, sondern bedeutet vor allem extremeres Wetter, mehr Schadenspotenzial und vor allen Dingen auch eine gigantische Herausforderung", sagte Latif. Man könne sich ein Stück weit anpassen, aber es gebe auch Grenzen: "Bei solchen Wassermassen, was wollen sie (in Libyen) da noch tun?" (dpa/bef/csr)