London. Prinz Harry klagt gegen die britischen Klatschmedien. Was er der Presse vorwirft - und welche Rolle die Königsfamilie seiner Ansicht nach spielt.
Um 9.36 Ortszeit klicken vor dem High Court in London die Kameras. Ein schwarzer SUV hält vor der Absperrung, Prinz Harry begrüßt seinen Anwalt David Sherborne mit einem Rückenklopfer. Ein schmales Lächeln später ist er auch schon hinter den Glastüren des Gerichtsgebäudes verschwunden. Es ist ein historischer Moment, den das Großangebot an Journalisten an diesem Dienstagmorgen in London einfängt: Zum ersten Mal seit 130 Jahren steht ein Mitglied der Royal Family im Zeugenstand, muss sich einem Kreuzverhör stellen.
Prinz Harry ist einer von über 100 Prominenten, die Journalisten der Mirror Group Newspapers (MGN) vorwerfen, sie über Jahre hinweg mit teils illegalen Methoden bespitzelt zu haben. Im Zentrum der zivilen Sammelklage steht die Verlagsleitung, allen voran Verleger Piers Morgan, die von den Machenschaften ihrer Mitarbeiter gewusst, sie sogar gedeckt haben soll.
Für Beobachter des Prozesses war am Dienstagmorgen klar: Prinz Harry wird sich im Kreuzverhör durch MGN-Anwalt Andrew Green zu Details der Berichterstattung äußern müssen, die vor allem die Royal Family lieber in den Zeitungsarchiven hätte ruhen lassen. Harry hat seine Familie - oder die "Institution", wie sie nennt - schon oft genug öffentlich kritisiert. Selten aber mit solch deutlichen Worten wie bei seiner Aussage vor Gericht: „Die Demokratie scheitert, wenn ihre Presse es versäumt, die Regierung zu kontrollieren, und sich stattdessen dafür entscheidet, mit ihr ins Bett zu gehen, damit sie den Status quo sichert.“
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Harry im Zeugenstand: Journalisten sollen ihn abgehört haben
„Würden Sie sagen, dass Sie eine langjährige Feindseligkeit gegenüber der Presse hegen?“, lautete eine der ersten Fragen, mit denen der Verteidiger den Prinzen im Zeugenstand konfrontierte. Die Antwort – Ja – dürfte nicht überraschen. Schon in der Vergangenheit hatte Harry widerholt die britischen Boulevardmedien für den tragischen Unfalltod seiner Mutter Diana verantwortlich gemacht. Nun liegen Gericht liegen 33 Zeitungsartikel vor, die belegen sollen, dass die Journalisten von „Daily Mirror“, „Sunday Mirror“ und „People“ mit zweifelhaften Methoden an Details aus Harrys Privatleben kamen. „Ich stand die meiste Zeit meines Lebens unter Beobachtung der Presse“, so Prinz Harry. „Jeder einzelne dieser Artikel spielte eine wichtige – eine zerstörerische – Rolle in meinem Erwachsenwerden.“
Aber kann Harry beweisen, dass die Presse etwas über ihn schrieb, dass sie gar nicht hätte wissen können? Der 38-Jährige berichtet von technischen Problemen mit seinen Voicemails, von neuen Nachrichten, die verschwanden oder schon abgehört worden waren – für ihn der klare Beweis dafür, dass sein Telefon von MGN abgehört wurde. Und dann wären da noch die rund 290 Zahlungen, die MGN über die Jahre an private Ermittler geleistet haben soll.
Die Gegenseite tut die Anschuldigungen als „märchenhaft“ ab. Harry sei nie Ziel von Abhörattacken gewesen, was Verteidiger Andrew Green an gleich mehreren Texten demonstriert. Egal ob es um Harrys verletzten Daumen oder einen Kletterausflug mit seinem Bruder William gehe: Die verarbeiteten Informationen seien zum Zeitpunkt der Veröffentlichung schon längst in anderen Titeln erschienen. Andere Infos – zum Beispiel, in welcher Bar Harry seinen Geburtstag feiern würde – hätten die Journalisten von Tippgebern erhalten. Prinz Harry reagiert ironisch: „Wenn sie das sagen“. Es sei nicht seine Aufgabe, sondern Aufgabe der Autoren, offenzulegen, woher die Informationen aus ihren Artikeln stammten.
Prinz Harry: Presse zwang ihm eine Rolle auf
Noch im Verhör stellt Andrew Green dem Prinzen eine „weitreichende Entschuldigung“ in Aussicht, sollte das Gericht dem Verlag illegale Methoden nachweisen können. Damit dürfte sich Harry, der noch drei weitere Prozesse gegen Zeitungsverlage anstrengt, kaum zufriedengeben. In einer 47-seitigen Stellungnahme spricht der 38-Jährige über sein Verhältnis zur britischen Presse. Schon als Teenager hätten die Medien keine Gelegenheit ausgelassen, sein Privatleben breitzutreten und ihn als „Betrüger“, „minderjähriger Säufer“ oder dergleichen darzustellen: „Sie bringen dich dazu, die Rolle zu spielen, die ihnen am meisten zusagt und so viele Zeitungen verkauft wie möglich.“
Der ständige Druck habe in ihm eine tiefsitzende Paranoia ausgelöst, so Harry: „Ich glaubte, niemandem trauen zu können – was für mich, vor allem in jungen Jahren, ein furchtbares Gefühl war.“ Die Beobachtung durch die Presse belaste seine Beziehungen bis heute. Viele seien daran zerbrochen, darunter die Beziehung zu der Unternehmerin Chelsy Davy, mit der der Royal sechs Jahre lang verbandelt war. Die Drangsalierung durch die Presse habe ihn und seine Ehefrau Meghan Markle dazu gebracht, nach Kalifornien auszuwandern: „Wir waren auch sehr besorgt um die Sicherheit unseres Sohnes.“
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Prinz Harry schon am Montag erwartet – Richter irritiert
Ursprünglich war Prinz Harry schon am Montag in London erwartet worden. Doch zu der Zeit, als man ihn ins Kreuzverhör nehmen wollte, schlief er wohl gerade noch seinen Jetlag aus. Der Grund für Harrys Nichterscheinen: Töchterchen Lilibets zweiter Geburtstag, den die Familie am Sonntag in Los Angeles gefeiert hatte. Richter Fancourt zeigte sich „a little surprised“, wie der „Guardian“ zitierte. Hatte das Gericht doch alle Zeugen gebeten, sich einen Tag im Voraus für ihre Anhörungen bereitzuhalten.
Die „Mail“ bezeichnete den Grund für Harrys Nichterscheinen am Montag vorm Royal Court als „schwache Ausrede“. Prinz Harry sei „der Realität entrückt“, ihm gehe es nicht um Fakten, sondern Befindlichkeiten. Der britische Nachrichtensender Sky News sprach am Dienstag von einem Rachefeldzug gegen die Presse, bezeichnete Harrys Statement als „50 Seiten voller Wut, Groll und Kindheitstraumata“. „Aber das ist seine Sicht, es sind keine Beweise“, so der Sender.
Die Adelsexpertin Pauline Maclaran von der Londoner Universität Royal Holloway gab der BBC eine andere Einschätzung: „Viele junge Leute sehen in Harry eine heldenhafte Figur, die gegen das Establishment kämpft.“ Die Königsfamilie schweigt traditionell zur Presse, zeigt sich möglichst unparteiisch - gegen diese Haltung lehnt sich Harry auf. Das Verfahren, so Maclaran, könnte seine Beliebtheit bei denen, die die Royal Family kritisch sehen, steigern.
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Ein Mitglied der Royal Family vor Gericht? Das hat es zuletzt vor 130 Jahren gegeben. In einem Verfahren um Betrug beim Kartenspiel trat der Prince of Wales und spätere König Edward VII. in den Zeugenstand und stellte sich einem Kreuzverhör. Auf „Dirty Bertie“, wie britische Medien Erdward VII. tauften, folgt nun dessen Urururenkel Prinz Harry. Der Prozess gegen MGN hatte am 10. Mai begonnen und soll bis Ende Juni beendet sein. Das Urteil wird erst später im Jahr erwartet. Erhalten Harry und die anderen Prominenten Recht, dürfte ihnen das Gericht Schadenersatz zuerkennen. (mit dpa)