Menden. . Weil die Stadt genau 90 Meter der Gertrud-Bäumer-Straße ausbauen will, soll Familie Kempfer rund 70 000 Euro zahlen. Als Anliegerbeitrag.

Wenn die Kempfers auf die Straße vor ihrem Haus blicken, sehen sie Risse und Splitt: ein Teergebirge ohne Gehweg und Laternen. Das Ehepaar von der Gertrud-Bäumer-Straße könnte also froh sein darüber, dass die Stadt Menden das 90 Meter kurze Stück zwischen Bismarck- und Hedwig-Dransfeld-Straße endausbauen will. Doch statt Freude kommt bei Kempfers Verzweiflung auf. Denn sie sollen fast 70 000 Euro für die Maßnahme bezahlen. Als Anliegerbeitrag.

Für den Konstrukteur Wolfgang Kempfer, der in wenigen Jahren in Rente geht, bedeutet der dafür aufzunehmende Kredit gravierende Einschnitte, wie er sagt. Zum Beispiel, dass er den Kindern nicht mehr die Ausbildungen finanzieren könne, die sie sich wünschen. „Da legst du dich jahrzehntelang krumm, dann kommt sowas aus heiterem Himmel, und du bist völlig wehrlos.“ Wolfgang Kempfer versteht die Welt nicht mehr.

Vor sechs Jahren kreuzte das bisher nicht ausgebaute Endstück der Gertrud-Bäumer-Straße erstmals in Sanierungsplänen der Stadt auf, für 90 000 Euro. Die Kempfers lasen das in der WP, setzten sich hin und rechneten für sich eine Summe aus, die ungefähr der Hälfte der heutigen entsprach. „Da haben wir angefangen, darauf zu sparen.“

Maßnahme wurde immer teurer

Doch die Maßnahme verteuerte sich immer weiter, bald waren es 220 000 Euro, und damit stieg auch der Anliegerbeitrag. Wenn sich morgen der Bauausschuss damit befasst, stehen rund 300 000 Euro zu Buche, für Fahrbahn, Stützmauer, Gehweg, Laternen, Entwässerung und taktile Elemente für Sehbehinderte. Obendrein erklärte man dem Paar, dass noch bis zu 20 Prozent obendrauf kommen können, wenn die Angebote ausführender Firmen vorliegen. Hochkonjunktur.

Ganz so herzlos, wie das klingt, war die Stadt nicht, sagt Kempfer. Ein Mitarbeiter der Bauverwaltung habe alles versucht, um Kosten zu drücken. „Müssen auf 100 Metern vier Laternen hin, wo jahrzehntelang gar keine war? Muss der taktile Übergang auf unserer Seite liegen? Hat nicht die Stadt die Bismarckstraße einst so hoch angeschüttet, dass jetzt eine Stützmauer her soll, die wir bezahlen?“

All das und noch mehr haben sie mit ihren Nachbarn aufgeführt – in der Bürger-Info im August 2017. Alles wurde vom Ingenieurbüro geprüft, und alles wurde verworfen: „Gegen den Gehweg haben wir sogar alle abgestimmt. Jetzt kommt er trotzdem. Es gebe eben Richtlinien, hieß es“, berichtet Kempfer.

Viel Frust – und ein Ratschlag

Beim Fototermin draußen steht eine Nachbarin im Fenster: „Gut, dass die Zeitung das schreibt“, ruft sie. Als sie von den mittlerweile 70 000 Euro hört, schüttelt sie entsetzt den Kopf: „Dafür kann man die Straße ja vergolden!“

Die Nachbarn sind mitfühlend, selber hatten sie aber Glück. Ihre Eltern oder Vorbesitzer haben in den letzten Jahrzehnten Ablösen bezahlt, die bei ein paar tausend Mark lagen. Kempfers Vater nicht. „Von uns haben sie im Rathaus nichts gefunden, leider.“

Frank Wagenbach, Bau-Fachbereichsleiter im Rathaus, betont, dass es der Verwaltung um bürgernahe Lösungen geht. Man habe auch im Fall des Kempfers viele Optionen geprüft, letztlich aber die Vorschriften einhalten müssen, auch beim Gehsteig. Der städtische Ingenieur Jürgen Grade ergänzt, dass das auch für die Laternen gelte, die heute alle 30 Meter aufzustellen seien. Und wegen des einseitigen Gehwegs komme man auch um den taktilen Übergang nicht herum.

In den nächsten Jahren will die Stadt noch mehr als 100 Straßen endausbauen. Den vielen Anliegern, die das angeht, rät Renate Kempfer: „Fragen Sie nach, ob Ihre Straße dabei ist. Dann lassen Sie Ihren Anliegerbeitrag schätzen. Den verdoppeln Sie und fangen an zu sparen.“