Siegen-Wittgenstein. Öffentliche Diskussion über missbrauchte Schwestern (12 und 18) aus Siegen-Wittgenstein. Warum Jugendamt oder die Mutter nicht im Fokus stehen.
Es gibt Neues im Fall der „elfjährigen Mutter“. Rund um den mutmaßlichen schweren sexuellen Missbrauch zweier Mädchen im Kreis Siegen-Wittgenstein geht eine Welle der Entrüstung durch die Bevölkerung. Das zeigt sich vor allem in sozialen Netzwerken wie Facebook. Neben den inzwischen drei Männern, denen schwerer sexuellen Missbrauchs von Kindern vorgeworfen wird, richtet sich die Kritik auch gegen das Jugendamt des Kreises Siegen-Wittgenstein und die Mutter der beiden heute 12 und 18 Jahre alten mutmaßlichen Opfer. Ein Gespräch mit der Staatsanwaltschaft Siegen, die die Ermittlungen in dem mutmaßlichen Missbrauchsskandal führt, zeigt, wer im Fokus der Ermittlungen in zwei voneinander getrennten Verfahren steht und warum Untersuchungshaft nicht für jeden Beschuldigten beantragt worden ist.
„Die Aufgabe von U-Haft ist nicht die Bestrafung, sondern das Sicherstellen einer Hauptverhandlung.“
Im Juni hatte zunächst der Fall der jüngsten Mutter Deutschlands für Aufsehen gesorgt: Der Stiefvater (37) soll seine damals elfjährige Stieftochter missbraucht und dabei geschwängert haben. Die hatte aber zunächst ausgesagt, sich selbst mit einem benutzten Kondom der Eltern befruchtet zu haben. Die inzwischen zwölfjährige soll ihren Stiefvater inzwischen durch eine Aussage belastet haben. Der Stiefvater sitzt deshalb seit 4. Oktober in Untersuchungshaft. Kurz danach wurde außerdem bekannt, dass es in der Familie einen zweiten Fall mutmaßlichen Missbrauchsfall geben soll. Der leibliche Vater der beiden Mädchen soll die heute erwachsene Schwester der Zwölfjährigen zwischen 2018 und 2021 mehrfach missbraucht haben. In einem Fall wirft ihm die Staatsanwaltschaft sogar gemeinschaftliche Vergewaltigung mit einem nicht zur Familie gehörenden Mittäter (37) vor.
Schwierige Aufklärung
„Die Aufklärung einer Straftat ist nicht immer so einfach, wie sich das die Menschen vorstellen“, sagt Oberstaatsanwalt Patrick Baron von Grotthuss. Er bezieht sich dabei auch auf die Stimmung in den sozialen Netzwerken, in denen harte Strafen für die Tatverdächtigen gefordert werden. Dabei geraten auch das Jugendamt des Kreises Siegen-Wittgenstein und die Mutter der beiden mutmaßlichen Opfer ins Visier von Hasskommentaren. Die immer wieder beispielsweise bei Facebook geäußerte Frage, warum nicht gegen das Jugendamt oder die Mutter ermittelt werde, bringt der Pressesprecher der Staatsanwaltschaft Siegen einfach auf den Punkt: „Es gibt keine belastbaren Anhaltspunkte dafür, dass die Mutter an den Missbrauchstaten beteiligt war oder etwas davon gewusst und diese geduldet hat.“ Im Fall des Jugendamtes, das nach Informationen dieser Zeitung schon seit Jahren mit Familienhelfer in der Familie tätig war, gebe es aktuell ebenfalls keine Hinweise darauf, dass diese etwas von dem mutmaßlichen Missbrauch mitbekommen und geschwiegen hätten.
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Eine weitere in der Öffentlichkeit und den sozialen Medien immer wieder diskutierte Frage ist die nach der Untersuchungshaft. Während der Stiefvater (37), der die damals elfjährige Stieftochter geschwängert haben soll, seit dem 4. Oktober in Untersuchungshaft sitzt, sind der 38-jährige leibliche Vater und der 37-jährige mutmaßliche Mittäter, die die heute 18-Jährige missbraucht haben sollen, noch auf freiem Fuß.
Dass der leibliche Vater oder sein mutmaßlicher Mittäter nicht in U-Haft sitzen, hat aus Sicht von Baron von Grotthuss ebenfalls gute Gründe, auch wenn es bereits eine bei einer Großen Strafkammer des Landgerichts Siegen vorliegende Anklage gibt: „Für eine Anklage reicht ein hinreichender Tatverdacht, also quasi 51 Prozent. Für die U-Haft muss es ein dringender Tatverdacht sein.“ Außerdem brauche es noch Haftgründe. Das könnte zum Beispiel die Fluchtgefahr sein. Allerdings ist der angeklagte leibliche Vater beispielsweise seit Beginn der Ermittlungen nach der Anzeige des schweren sexuellen Missbrauchs im Jahr 2021 nicht geflohen. Weitere mögliche Haftgründe könnte die Wiederholungsgefahr oder Verdunklungsgefahr sein. Letztere wäre dann der Fall, wenn der Beschuldigte Einfluss auf Zeuge nähme oder versuchte, Beweise zu vernichten. All diese Gründe lägen aktuell nicht vor, so der Sprecher der Staatsanwaltschaft.
Anwälte und Jugendamt schweigen
Außerdem macht Baron von Grotthuss mit Blick auf die öffentlichen Kommentare zu dem Fall in den sozialen Medien deutlich, was Untersuchungshaft auf keinen Fall ist: „Die Aufgabe von U-Haft ist nicht die Bestrafung, sondern das Sicherstellen einer Hauptverhandlung“, so der Oberstaatsanwalt. Für eine Bestrafung braucht es den Nachweis der Tatvorwürfe und den Schuldspruch in der Hauptverhandlung. Erst mit einem rechtskräftigen Urteil gibt es eine Bestrafung. In diesem Fall können auch Teile der Untersuchungshaft auf die Haft angerechnet werden.
Das Jugendamt des Kreises Siegen-Wittgenstein äußert sich aktuell nicht zu dem Fall: „Öffentliche Auskünfte zur persönlichen Situation der Familie jetzt und in der Vergangenheit sind dem aber nicht dienlich. Zudem lassen die laufenden staatsanwaltlichen Ermittlungen Äußerungen des Kreises nicht geboten erscheinen“, ließ der Kreis auf Anfrage bereits mehrfach verlauten. Der Anwalt des Stiefvaters betont, dass mit Blick auf die andauernden Ermittlungen keine Gespräche mit der Presse führen werde. Auch der Rechtsanwalt des leiblichen Vaters lehnt aktuell eine Stellungnahme zu den Vorwürfen ab.