Erndtebrück. „Late To The Party“ heißt das neue Album von „No Guidance“ aus Wittgenstein. Neben dem Release können sie einen absoluten Meilenstein feiern.

In Kanada unter Vertrag

No Guidance gründeten sich 2019, das erste Album „Fireworks for Arsonists“ folgte 2021. Die Bandmitglieder sind in Schameder, Feudingen und Erndtebrück zuhause. Am 20. September erschien ihr aktuelles Album „Late To The Party“ bei Thousand Island, einer Plattenfirma in Montreal, Kanada. Den melodischen Punkrock spielen Pascal Saßmannshausen (Gesang), Lukas Brachmann (Gitarre, Gesang), Herrmann Schneider (Gitarre), Niklas Brachmann (Schlagzeug) und Tarek Metwaly (Bass).  Merchandise sowie das neue Album können auf der Musik-Plattform Bandcamp als CD oder auf Vinyl in verschiedenen Designs erworben werden. Dort sowie auf Facebook, Spotify und Instagram ist die Band präsent.

Dass Punk nicht totzukriegen ist, weiß man seit den Achtzigern. Je nach Generation und Weltgeschehen ändern sich Tempo, Themen und Mode. „No Guidance“ aus Wittgenstein wissen genau deshalb selbst nicht genau, in welche Schublade ihr Punkrock gehört – mit Kalkül. Die Rezensionen ihres neu erschienenen Albums „Late To The Party“ schwanken zwischen melodisch und schnell, zwischen Tech- und Skatepunk. Inhaltlich ist das Album umso klarer, voller gesellschaftlicher Kritik und politischer Haltung. Im Interview erzählen Gitarrist Lukas Brachmann und Bassist Tarek Metwaly vom Schaffensprozess, Asbest im Proberaum und warum jeder einen unangenehmen Onkel auf Familienfeiern kennt. 

No Guidance feiern den Release ihres neuen Albums
No Guidance feiern den Release ihres neuen Albums "Late to the party".  © WP | No Guidance

Das neue Album heißt „Late To The Party“ – ihre Band „No Guidance“ kommt also zu spät zu einer Party. Ist das noch Punk?

Brachmann: Ich würde behaupten, dass gerade Zuspätkommen Punk ist (lacht). Bei der Platte hat das aber einen anderen Hintergrund. „Late To The Party“ bedeutet in dem Kontext, dass man wieder mal mit allem zu spät ist, was man an guten Dingen vorhatte. Exemplarisch ist da der Umgang der Bundesrepublik mit der Umsetzung erneuerbarer Energien oder sogenannter Flüchtlingskrisen. Man ist eben immer einen Schritt zu spät, um das ordentlich zu regeln. Folglich ufern Dinge aus und führen zu Problemen auf vielen Ebenen. Dann muss man mit den Konsequenzen leben.

Das klingt nicht nur nach einem Fingerzeig auf andere, sondern auch nach einem Tritt in den eigenen Hintern.

Metwaly: Ja, vielleicht, jedoch nicht im negativen Sinne, sondern auch als hoffnungsvolle und humorvolle Variante, immerhin noch auf der Party zu erscheinen. Besser also spät als nie. 

Logischerweise kommen bei diesem Ansatz die „großen“ Themen in den 13 Songs nicht zu kurz. War dieser Kern für euch von vornherein klar?

Brachmann: Ja, dabei war uns aber wichtig, die Themen aus einer sehr persönlichen Sicht anzugehen. Es geht um Dinge, die wir selbst erlebt haben. Der Song „Ok, Boomer“ ist dafür vielleicht das beste Beispiel. Jeder hat irgendwo diesen einen Onkel, der bei einem Geburtstag am Küchentisch sitzt und gegen Grüne und Migranten wettert. „Adequate Salary Blues“ hingegen umschreibt die Ausbeutung von Arbeitnehmern. Bei solchen Sachen wollten wir aber nicht oberflächlich auf Themen herum prügeln, von denen wir keine Ahnung haben, sondern eigene Erfahrungen erzählen.

Gab es beim Zusammenstellen der Songs und Texte Unstimmigkeiten? Viele Köche vermiesen bekanntlich schnell den Brei. 

Brachmann: Das muss Tarek beantworten, weil ich immer recht habe. (lacht) Nein, ich kann mich gut an den Song „Constitution“ erinnern, den ich geschrieben habe und dann von den anderen vehement überstimmt wurde. Deshalb ist er nun ganz anders. Genau von so etwas lebt aber ja eine Band.

Metwaly: Hinzu kommt, dass Pascal die Texte als Sänger ernst nimmt und er sich viele Gedanken macht. Deshalb herrscht ihm gegenüber auch ein Grundvertrauen. Zudem lassen sich Resonanzen ja heutzutage messen. Als wir „Constitution“ als Single veröffentlichten, war die Stadt, in der das Lied am meisten gehört wurde, San Antonio in Texas. Dass ein Song, in dem es um Unterdrückung und Gewalt als Mittel zum Zweck geht, in direkter Nähe zur mexikanischen Grenze wirkt, ist schon ziemlich cool.

Apropos Resonanz. Wie fällt die bislang aus?

Brachmann: In den ersten Tagen haben uns extrem viele Leute über die sozialen Medien geschrieben, unsere Beiträge wurden sehr oft geteilt. Zudem flatterten dann einige Rezensionen von Seiten rein, zu denen es vorher keinen Kontakt gab. Richtig geflasht waren wir, als unser Album auf „Punk Rock Radar“ eine halbe Stunde seziert und diskutiert wurde. Da wurde unsere Musik als aggressiv und melancholisch zugleich beschrieben. Als ich das hörte, habe ich gedacht: Genau das ist es, wie wir versuchen Musik zu machen! 

No Guidance aus Wittgenstein haben „grünes Licht“ für einen Auftritt beim renommierten „Punkrock Holiday Festival“ in Slowenien bekommen.
No Guidance aus Wittgenstein haben „grünes Licht“ für einen Auftritt beim renommierten „Punkrock Holiday Festival“ in Slowenien bekommen. © WP | No Guidance

Am Samstag, 5. Oktober, präsentiert ihr im Siegener „Vortex“ euer Album das erste Mal live. Was erwartet ihr?

Brachmann: Viel Freude, geiler Abend, tolle Leute und gute Stimmung. Das haben wir aber im Vortex eigentlich immer, oder Tarek?

Metwaly: Ja, wir haben dieses Jahr ja bereits im Vortex gespielt und der Laden war proppenvoll. Da war ordentlich Feuer in der Luft und hat mega Bock gemacht!

Dem nicht genug, bekamt ihr nun „grünes Licht“ für einen Auftritt beim renommierten „Punkrock Holiday Festival“ in Slowenien. Was löst das bei euch aus?

Brachmann: Ich bin mir ziemlich sicher, dass Pascal bei der Nachricht auf der Arbeit vom Stuhl gefallen ist. Bei mir hingegen war es so, dass ich mit dem Auto unterwegs war und erstmal rechts ran fahren musste, um eine viertel Stunde lang in Sprachnachrichten zu schreien. Das war wie eine Explosion. Als ich meine Frau angerufen habe und ihr das mitteilte, hatte ich eine weinerliche Stimme.

Metwaly: Ich bin ja noch nicht so lange bei der Band dabei, aber Punk Rock Holiday spielte schon eine Rolle, als ich das erste Mal zur Bandprobe kam. Da war es natürlich noch völlig theoretisch und nur ein Traum, der die Band länger begleitet hat.

Brachmann: Mehr noch! Die Band wurde unter anderem nur gegründet, um irgendwann einmal auf dem Punk Rock Holiday zu spielen.

Metwaly: Ja, Mist! Dann brauchen wir ja jetzt neue Ziele. Nicht, dass das alles war!

Da hängt natürlich auch die Frage der Mentalität an. Merkt ihr in bestimmten Momenten beim Proben, dass ihr Wittgensteiner seid?

Brachmann: Nun ja, musikalisch gesehen: Welche Möglichkeiten hat man? Ich hatte in der Erndtebrücker Musikschule seit der Kindheit Unterricht. Viel mehr fällt mir nicht ein. Die wenigen Möglichkeiten merkt man schon, wenn man in städtische Regionen schaut, wo viel mehr Menschen ganz unterschiedliche Einflüsse einbringen und einige Bands technischer und filigraner klingen. Bei uns merkt man da vielleicht eher die Einfachheit vom Lande. (lacht) Der Song passt doch – also warum hier noch futteln und da noch was wurschteln! 

Metwaly: Das Prinzip hat sich früher auch die Wittgensteiner Band Projekt Mutante auf die Fahnen geschrieben, in der ich gespielt habe. (lacht) Vielleicht hat sie ja einen kleinen Schmetterlings-Effekt hinterlassen.

Trotz klarer Linie ist No Guidance schwer einzuordnen. In den Songs gibt es melodische, aber auch härtere Passagen, der Gesang ist weich bis rau. Ist es Fluch oder Segen, schwer greifbar zu sein?

Brachmann: Mir fällt da die Band Ignite als Beispiel ein. Da klingt kein Song gleich, doch weiß jeder nach ein paar Sekunden Reinhören, dass sie es sind. Darum geht es uns auch irgendwie. Ich bin erleichtert, dass jeder von uns die eigenen Ideen einfließen lassen kann. ‚Es muss jetzt aber so und nur so sein‘ gibt es bei uns nicht, das beschert dir am Ende des Tages auch viel mehr Möglichkeiten.

Metwaly: Es geht ja immer um ein menschliches und philosophisches Dilemma. Entscheide ich mich im Leben eher für Vielseitigkeit und Flexibilität, muss mir dafür den Vorwurf gefallen lassen, keine klare Ausrichtung zu haben oder eben genau andersherum. Beide Wege haben ihre Vor- und Nachteile. Wenn ich mich entscheiden müsste, würde ich immer Veränderung und Diversität wählen.

Veränderung ist das Stichwort. Welche Entwicklungen und Ziele strebt No Guidance nach dem aktuellen Album an?

Metwaly: Ich wünsche mir erstmal nur, dass das Dach unseres Proberaums wieder geschlossen ist. (lacht)

Brachmann: Geschlossen ist es ja, Tarek!

Metwaly: Aber voller Asbest!

Brachmann: Ok, also abgesehen davon würden wir gerne die Welle weiterreiten, vermehrt auch mal in anderen Ländern auftreten und dabei einfach weiter zusammen Spaß zu haben.