Hauptschüler sorgen dafür, dass Heldin neues Denkmal bekommt
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Bad Berleburg. Emotionaler Moment für die Nachfahren: 16 Jahre lang stand etwas Falsches auf dem Stolperstein in Bad Berleburg. Jetzt wurde das geradegerückt.
Für die Angehörigen der Ermordeten war es ein emotionaler Moment: „Worte können die tiefen Gefühle nicht beschreiben, die wir alle heute auf dieser Reise in die Heimat unserer Eltern und Vorfahren empfinden. Bitte entschuldigen Sie uns, wenn Sie in diesem Moment ein paar Tränen sehen“, sagt Alan Gonsenhauser. Der Mann aus Boston ist ein Enkel von Auguste Gonsenhäuser und spricht für die 13 anderen Mitglieder seiner Familie, die an einem historischen Tag aus den USA und Südafrika nach Bad Berleburg gekommen sind. Historisch ist der Tag gleich aus zwei Gründen: wegen seines Datums und wegen der neuesten Forschungsergebnisse zum Schicksal der Frau, die viele Menschen gerettet hat.
„Wir freuen uns, bei dieser Ehre dabei sein zu können, damit diese Menschen und die Ereignisse aus der Vergangenheit nicht vergessen werden.“
Die erste Stolperstenverlegung in Bad Berleburg im Jahr 2008
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„Unsere Großmutter war eine Heldin. Sie half dabei, viele junge jüdische Jugendliche zu retten, damit sie während der schrecklichen Zeit nach England und in andere Länder fliehen konnten. Viele verdanken ihr Leben und das ihrer Familien der Rettung durch unsere Großmutter Auguste“, berichtet Alan Gonsenhauser, der seine Oma nie kennenlernte. Seine Großmutter überlebte den Holocaust nicht. Doch ihr Schicksal war lange falsch dokumentiert. Der Schmallenberger Thomas Kemper, der sich mit dem Schicksal der jüdischen Familien Gonsenhäuser und Bachenheimer intensiv beschäftigt hat, fand das wahre Schicksal der Heldin heraus. Sie ist nicht, wie lange angenommen und auf den 2008 verlegten Stolpersteinen eingraviert, in 1940 nach Theresienstadt deportiert und ermordet worden. Fündig wurde Kemper unter anderem auch im Staatsarchiv des Landes Hessen in Wiesbaden, wo noch Vernehmungsprotokolle liegen, die Auguste Gonsenhäuser unterschreiben musste. Diese Nachforschungen teilte Kemper nicht nur mit der Familie, sondern auch mit der Hauptschullehrerin Ute Bänfer, deren zehnte Klasse sich intensiv mit Schicksal der jüdischen Bevölkerung von Bad Berleburg auseinandergesetzt hat. Und die Zehntklässler regten auch an, die Stolpersteine zu korrigieren und auch zwei weitere zu verlegen.
„Vom frühen Morgen bis in die späten Abendstunden ermordeten SS-Soldaten die rund 1200 Menschen aus dem Zug. Darunter auch unsere Großmutter Auguste, die in den Sanddünen von Kalevi-Liiiva ihr Leben auf grausame Weise verlor.“
Schülerin Alina Koop berichtet über die Nachforschungen der Zehntklässler, die vielen Gespräche mit Thomas Kemper und was das auslöste: „Wir schrieben dann an die Stiftung von Gunter Demnig, um einen neuen Stolperstein verlegen zu dürfen. Wir haben geduldig gewartet. Dann kam die Nachricht, dass der Stein angefertigt wird und wir können ihn heute verlegen. Wir freuen uns, bei dieser Ehre dabei sein zu können, damit diese Menschen und die Ereignisse aus der Vergangenheit nicht vergessen werden.“ Gemeinsam mit dem Chor Singsation und Chorleiter Christoph Haupt sangen sie das „Shalom chaverim“.
Fotos von einem historischen und emotionalen Moment
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Der Tag dafür hätte nicht besser gewählt werden können: Auf den Tag genau vor 82 Jahren, am 24. September 1942, wurde Auguste Gonsenhäuser von der Gestapo gezwungen, in Frankfurt in einen Zug mit unbekanntem Ziel zu steigen. Dieser Zug hielt noch einmal in Berlin, um weitere 1100 jüdische Deutsche aufzunehmen. Von Berlin aus ging die Reise nach Raasiku in Estland. Sechs Tage dauerte die Fahrt. Die für die Ermordung ausgewählten wurden dann mit dem Bus in das nahe gelegene Kalevi-Liiiva gebracht. „Vom frühen Morgen bis in die späten Abendstunden ermordeten SS-Soldaten die rund 1200 Menschen aus dem Zug. Darunter auch unsere Großmutter Auguste, die in den Sanddünen von Kalevi-Liiiva ihr Leben auf grausame Weise verlor. Ein tragisches Ende für unsere Oma, eine Frau voller Selbstlosigkeit und Mut“, berichtet Alan Gonsenhauser.
„Ich hoffe sehr, dass es uns heute gelingt, Ihnen ein Stück Ihrer Heimat zurückzugeben, die Ihre Vorfahren hier verloren haben.“
Kemper dankte er dafür, „dass er die meisten meiner Cousins und Cousinen heute hierher gebracht hat, um uns so viel über unsere jahrhundertealte Familiengeschichte in dieser und anderen deutschen Städten und Gemeinden zu zeigen. Wir werden von hier weggehen und so viel über unsere Familien erfahren, wo sie lebten, wo sie zur Schule gingen, arbeiteten und litten - weit mehr als unsere Eltern jemals über ihr Leben erzählt haben, als sie hier aufwuchsen“, so Gonsenhauser.
Das passt zur Begrüßung durch Bad Berleburgs Bürgermeister Bernd Fuhrmann, der von einem „emotionalen und historisch bedeutsamen Tag für Bad Berleburg“ sprach: „Ich hoffe sehr, dass es uns heute gelingt, Ihnen ein Stück Ihrer Heimat zurückzugeben, die Ihre Vorfahren hier verloren haben.“
Die Nachfahren der Auguste Gonsenhäuser waren sehr glücklich über die Zeremonie. „Es war ein sehr emotionaler Moment“, berichtet Frank Gonsenhauser. Der Südafrikaner war schon bei mehreren Anlässen in Bad Berleburg, weil auch sein Vater auf dem jüdischen Friedhof in Bad Berleburg beigesetzt worden war. Auch 2008 war er mit seinem 2014 verstorbenen Bruder Roy Gonsenhauser bei der ersten Verlegung der Steine für die Familie dabei gewesen. „Es ist immer wieder schön, hierherzukommen“, sagt er.
Sehr gerührt waren aber auch die Zehntklässler der Ludwig-zu-Sayn-Wittgenstein-Schule. Denn sie erhielten ein ganz besonderes Präsent für ihr Engagement. Die Nachfahren hatten Armbänder mit einer besonderen Inschrift versehen lassen: Der Name „Auguste“ in der Handschrift von Auguste Gonsenhäuser ist dort zu lesen. Die Schriftprobe stammt von den Formularen, mit denen die Heldin kurz vor ihrer Deportation noch die Vernehmungsprotokolle der Gestapo in Wiesbaden hatte unterschreiben müssen.
Nicht nur die ihre Familie Gonsenhauser, sondern auch die Jugendlichen werden die Heldin aus Bad Berleburg nicht mehr vergessen.
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