Wittgenstein. Vätern nach der Geburt des Kindes mehr Zeit bei der Familie geben: Die Vamed Rehaklinik ist dafür - bei Ejot überwiegen aktuell die Sorgen.
Die Zeit nach der Geburt ist für viele Eltern eine sehr herausfordernde Zeit. Um auch Vätern künftig mehr Zeit mit der Familie zur Verfügung stellen zu können, haben 35 Unternehmen aus den unterschiedlichen Branchen einen offenen Brief an die Bundesregierung unterzeichnet. Ihr Apell: „Bringen Sie die angekündigte Familienstartzeit endlich auf den Weg!“ Auch die Funke Mediengruppe und die Vamed Rehaklinik Bad Berleburg gehört zu den Unterzeichnern. Werden weitere Institutionen und Unternehmen folgen?
Der zweiwöchige, vergütete Vaterschaftsurlaub nach der Geburt eines Kindes sei im Koalitionsvertrag vereinbart und bereits für 2024 angekündigt. Passiert ist bislang jedoch nichts. Bisher können Väter nach der Geburt des Kindes nur zu Hause bleiben, wenn sie regulär Urlaub nehmen oder aber Elternzeit beantragen. Dass die Familienstartzeit immer noch auf sich warten lässt, trifft auf großes Unverständnis - auch bei der Vamed Rehaklinik in Bad Berleburg. „Uns ist die Einführung der Familienstartzeit wichtig, da uns unsere Mitarbeiter am Herzen liegen und wir ihnen Zeit und Raum für diesen einzigartigen Zeitabschnitt geben möchten“, wird Florian König, Geschäftsführer der Vamed Rehaklinik, in einer nun veröffentlichten Pressemitteilung zitiert. „Wir unterstützen den Offenen Brief, da wir wissen, wie wichtig die Kennenlernzeit in einer neuen Familienkonstellation ist.“
Mehrkosten für Unternehmen
Die insgesamt 35 Unterstützer aus der Zivilgesellschaft und Wirtschaft begründen ihre Forderung im offenen Brief wie folgt: „Die bezahlte Freistellung stärkt die Bindung des zweiten Elternteils zum neugeborenen Kind und unterstützt eine aktive Rolle der Väter bei der Betreuung und Erziehung ihrer Kinder von Anfang an. Wir befürworten diese Maßnahme daher als wichtigen Impuls für eine partnerschaftliche Aufteilung von Erwerbs- und Sorgearbeit in der frühen Phase der Familiengründung.“
„Wir unterstützen den Offenen Brief, da wir wissen, wie wichtig die Kennenlernzeit in einer neuen Familienkonstellation ist.“
Wie die Deutsche Handwerkszeitung dazu vor Kurzem berichtete, lehne der Arbeitgeberverband BDA dagegen „jegliche Mehrbelastung für Unternehmen ab“. Dass eine solche Regelung zu Mehrkosten bei den Unternehmen führt, weiß auch Andreas Wolf, Pressesprecher des Wittgensteiner Industrieunternehmens Ejot. „Grundsätzlich ist die Familienstartzeit ,Nice to have‘ und wird im Falle eines Gesetzesbeschlusses auch von uns umgesetzt. Am Ende des Tages wird das aber zu Mehrkosten in den Unternehmen führen, die auch erwirtschaftet werden müssen, was derzeit schwierig ist“, so Wolf. Denn: „Die meisten Unternehmen in Deutschland befinden sich seit ca. vier Jahren in einem permanenten Krisenmodus, angefangen mit der Corona-Pandemie bis hin zu den bekannten wirtschaftlichen Auswirkungen des Krieges in der Ukraine. Die Wirtschaft in Deutschland stagniert bei nahezu null Wachstum. Die Arbeits- und Strukturkosten sind aber erheblich angestiegen, was Auswirkungen auf die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Unternehmen hat. Hier müsste politisch gegengesteuert werden, anstatt die Unternehmen mit weiteren Kosten und überbordender Bürokratie zu belasten.“
Familienunterstützende Maßnahmen bei Ejot
Ejot selbst hat in den vergangenen Jahren mehrere Maßnahmen ins Leben gerufen, um Familie und Beruf unter einen Hut zu bekommen. „Neben den staatlichen Förderprogrammen für Familien bietet Ejot seit Jahren darüberhinausgehende Leistungen für junge Familien. Grundlage dafür ist das Programm ,Beruf und Familie‘ mit einer strategisch angelegten familien- und lebensphasenbewussten Personalpolitik“, berichtet Andreas Wolf. Dafür wurde das Wittgensteiner Unternehmen erstmals 2011 mit dem Zertifikat zum Audit „berufundfamilie“ der gemeinnützigen Hertie-Stiftung ausgezeichnet. Mittlerweile sei die fünfte Zertifizierung mit externen Überprüfungen erfolgreich absolviert. „Dazu zählen unter anderem die seit 2011 stattfindende einwöchige Kinderfreizeit in den Sommerferien (mit Ausnahme im Corona-Jahr 2020), eine kostenlose und anonyme Service-Hotline für Mitarbeitende in Problemsituationen, Flexibilität bei Arbeitsorganisation, Arbeitszeitgestaltung und Arbeitsortnutzung bis hin zur Unterstützung von Führungskräften durch ausgebildete Businesspartner bei der strategischen Personalplanung.“
„Grundsätzlich ist die Familienstartzeit ,Nice to have‘ und wird im Falle eines Gesetzesbeschlusses auch von uns umgesetzt. Am Ende des Tages wird das aber zu Mehrkosten in den Unternehmen führen, die auch erwirtschaftet werden müssen.“
Wie Wolf erklärt, existiert darüber hinaus „das tarifliche Zusatzgeld, das die Tarifpartner der Metall- und Elektroindustrie im Jahr 2018 vereinbart haben. Beschäftigte, die Kinder betreuen, Angehörige pflegen oder in Schicht arbeiten, können ihr tarifliches Zusatzgeld auch in acht freie Tage tauschen. Je nach Tarifvertrag und Branche stehen Beschäftigten bei der Geburt eines Kindes bereits ein bis drei freie Tage zu.“
Die Redaktion hatte weitere Institutionen und Firmen zum offenen Brief angefragt. Einige Antworten stehen noch aus.