Die Künstlerin Renate Hahn entdeckt alte Wehrmachts-Stempel in einem alten Tisch. Im Haus des Gastes hat sie nun einen Vortrag darüber gehalten.
Bad Laasphe. Das Wort „Schreibtischtäter“ kennt man – einen mutmaßlichen Täter-Schreibtisch sieht man indes eher selten. Erst kürzlich stand einer im Laaspher Haus des Gastes – aus dem Besitz von Renate Hahn, Künstlerin aus Bad Laasphe. Als ihr Vater sie fragte, an welchen Möbelstücken aus seinem Eigentum sie Interesse habe, hatte sie den Tisch mit dem dazu passenden Stuhl genannt. So war das Mobiliar bei ihr gelandet. Die Wehrmachts-Stempel unter der Schreibtischplatte und unterm Sitzkissen des Stuhls hatte sie erst sehr viel später gefunden. Ihr erster Reflex sei es da gewesen, beide Möbelstücke sofort zu entsorgen. Stattdessen hatte sie zunächst einmal „Nie wieder“ daneben geschrieben.
Geschichten aus der eigenen Familie
Offen und ohne Scheu erzählte die 75-Jährige jetzt in ihrem Vortrag vor rund 30 Besucherinnen und Besuchern, darunter die stellvertretende Bürgermeisterin Margot Leukel, im Großen Saal davon und gab dabei einen Einblick in die eigene Familiengeschichte – mit einem besonderen Augenmerk auf die Nazi-Jahre. „Ich bin ein Täter-Enkel“, sagte Renate Hahn unverblümt. In Bezug auf ihren Großvater war die Sache eindeutig. Er war in den Hitler-Jahren Bürgermeister von Rathenow geworden, in seiner Amtszeit wurden von dort über 100 Juden deportiert. Die Künstlerin hatte keine guten Erinnerungen an jenen Mann, der „unerbittlich bis zum Tod“ gewesen sei.
Für ihn hatte sie in ihrem dreiviertelstündigen Vortrag nur wenige Sätze. Komplizierter stellte sich die Situation bei ihrem eigenen Vater dar. Dieser hatte seine Verwaltungsrecht-Doktorarbeit bei dem berüchtigten Nazi-Juristen Paul Ritterbusch geschrieben und war ihm an die Hochschule nach Kiel in eine leitende Funktion gefolgt. Die Uni sei in ihrer Juristischen Fakultät eine Kaderschmiede der Nazis gewesen, so Renate Hahn. Anschaulich sprach sie darüber, wie kompliziert es gewesen sei, an die Dissertation ihres Vaters zu kommen, die eigentlich unzugänglich „im Giftschrank in Hamburg“ lag, und wie viel länger es dann noch gedauert habe, bis sie in der Lage gewesen sei, die Doktorarbeit zu lesen.
Der Vater war im Zweiten Weltkrieg als Offizier in Finnland, sei aber nicht in der Partei gewesen. Nach der Niederlage von Nazi-Deutschland sei er offiziell entlastet worden und konnte wieder als Jurist arbeiten. Wie stark seine Verstrickungen letztendlich gewesen sind, das konnte Renate Hahn nicht sagen: Man habe in ihrer Familie über alles sprechen können – Literatur, Philosophie und Politik, nur über den Nationalsozialismus nicht.
Die Künstlerin wusste auch nicht, wie und wann ihr Vater an die Möbel gekommen war. Aber 2016 hatte sie den Stuhl ins slowakische Štúrovo an der Grenze zu Ungarn mitgenommen. Nach längerer Beschäftigung mit dem Ort ritzte sie dort in den Stuhl die Namen deportierter Juden aus der Donau-Stadt und präsentierte diesen bei einer Ausstellung auf einem weißen Podest. Drei Jahre später war Renate Hahn in der Zitadelle in Spandau erneut an einem Bildhauer-Symposium beteiligt. Hier stand der Schreibtisch im Mittelpunkt, mit den Namen von deportierten Nazi-Opfern aus Spandau und mehreren Tonnen Asche.
Ein Performance-Video
Nicht nur die Möbel waren jetzt im Haus des Gastes zu sehen, auch ein knapp neunminütiges Video einer anrührenden Spandauer Performance von Renate Hahn in einem selbstgenähten Rock aus Sackleinen und mit einer Gasmaske aus dem Zweiten Weltkrieg. Doch bei aller Notwendigkeit der Rückschau wollte sie jetzt nicht dabei stehenbleiben, ganz konkret war ihr Erkenntnisgewinn für eine bessere Zukunft. Durch die Lektüre der Dissertation sei ihr noch einmal klar geworden, wie sehr man auf die Sprache, die Ausdrucksweise achten müsse. Außerdem hatte die Frau, die vor zehn Jahren mit dem NRW-Staatspreis ausgezeichnet wurde und sich seit sechs Jahren in der Flüchtlingsarbeit engagiert und dabei manchmal an den Behörden verzweifelt, von ihrem Vater auch diese beiden Gedanken mit auf den Lebensweg bekommen: es gebe bei Gesetzen immer Ermessens-Spielräume und der Ausspruch „Geltendes Recht ist geltendes Recht“ könne immer eine Entschuldigung für Unrecht sein.
Am Ende hob Renate Hahn zu einem engagierten Plädoyer an, sprach sie sich gegen den Hass, die Ausgrenzung, das Schubladen-Denken aus. Auch wenn sie kein Kirchenmitglied mehr sei, wolle sie dazu ermutigen, das Gegenüber als ein Kind Gottes zu betrachten. Sie habe gerade in der Flüchtlingsarbeit gelernt, wie bereichernd das Unbekannte sein könne.
Da die Alte Synagoge in Bad Laasphe zu einem kulturellen Zentrum und einem Ort der Erinnerung an die Wittgensteiner Opfer des Nationalsozialismus werden soll, teilte Renate Hahn dem örtlichen Christlich-Jüdischen Freundkreis mit, dass sie sich freuen würde, wenn Schreibtisch und Stuhl einen Platz in dem Gebäude an der Mauerstraße finden könnten. Außerdem hat der Abend 350 Euro für die Alte Synagoge eingebracht.