Bad Berleburg. Dr. Julia Maria Nonn und Dr. Christian Holzapfel über moderne Behandlungskonzepte in der Klinik Wittgenstein.
Den Patienten auf Augenhöhe begegnen – das ist es, was die Mitarbeiter der Klinik Wittgenstein des Evangelischen Johanneswerks in Bad Berleburg möchten. So auch Dr. med. Julia Maria Nonn, Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie, die bereits am 1. April die Leitung der Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapie sowie der Klinikambulanz übernommen hat. Ihre klinischen Schwerpunkte liegen in der psychiatrischen und psychotherapeutischen Behandlung von Menschen mit Psychosen und Persönlichkeitsstörungen. Damit passen ihre Erfahrungen sehr gut in das bisherige Behandlungsangebot für Menschen mit psychiatrischen und psychosomatischen Erkrankungen.
Die Klinik Wittgenstein ist seit über 70 Jahren mit den zwei Schwerpunkten Psychiatrie und Psychosomatik in Bad Berleburg und darüber hinaus bekannt. Im Interview spricht die 37-Jährige über ihr Studium, die Anfänge in Wittgenstein und darüber, was hinter dem offenen Behandlungskonzept steckt, das bald auch schon in Wittgenstein Einzug hält. Dr. med. Christian Holzapfel, Ärztlicher Direktor der Klinik Wittgenstein, spricht über die Idee dahinter.
Frau Dr. Nonn, bereits in Bonn haben Sie Erfahrungen mit dem offenen Behandlungskonzept gesammelt. Wie kam es dazu?
Dr. Nonn: Bevor ich nach Wittgenstein kam, war ich an der LVR Klinik in Bonn tätig und habe dort unter anderem zwei geschlossene Stationen als Oberärztin betreut. Wir haben uns gefragt: Wie behandelt man Patienten mit einer psychiatrischen Erkrankung in einer akuten Krise bestmöglich? Auf einer Station mit geschlossenen Türen oder auf Augenhöhe mit einem offenem Konzept?
Sie entschieden sich also für das offene Konzept?
Gemeinsam haben wir ein Konzept erarbeitet, um schrittweise die Türen zu öffnen. Das war aber ein langer Prozess. Doch es zeigte sich, dass dies der richtige Weg ist. Und das ist auch das Ziel hier in der Klinik Wittgenstein. Auch hier möchten wir künftig die Pflichtversorgung von akuten Patienten mit einem offenen Behandlungskonzept verwirklichen.
Das heißt, bislang gibt es hier am Standort noch keine Patienten mit einer akut psychiatrischen Erkrankung?
Dr. Holzapfel: Ja, das stimmt. Die Beauftragung des Regierungsbezirkes Arnsberg zur Übernahme der psychiatrischen Pflichtversorgung für den Altkreis Wittgenstein und die Einrichtung eines tagesklinischen Angebotes in Bad Berleburg sind Aufgaben, deren Umsetzung die Klinik Wittgenstein aktuell beschäftigt. Wir möchten damit im Laufe des nächsten Jahres starten. Vorab aber sind noch einige Umbauarbeiten nötig.
Die Entscheidung, akut betroffene Patienten aufzunehmen, gab es aber schon vorher?
Dr. Holzapfel: Ja, ganz konkret seit 2019. Es kann nicht angehen, dass Patienten hier aus Wittgenstein erst nach Siegen fahren müssen, um eine Akutbehandlung zu erhalten. Auch an sich ist die Idee einer offenen Behandlung nichts Neues. Das Konzept gibt es bereits in anderen psychiatrischen Einrichtungen. Wir haben uns zum Beispiel in Herne das Konzept in einer psychiatrischen Klinik angeschaut und es hat uns sehr überzeugt.
Warum das offene Konzept?
Dr. Holzapfel: Uns ist es wichtig, dem Patienten auf Augenhöhe zu begegnen und ihm nicht das Gefühl zu geben, weggesperrt zu werden. Denn das würde nur noch mehr Druck erzeugen. Wir möchten dem Patienten den Druck nehmen, damit er bereit ist, Hilfe anzunehmen. Es gibt zudem Statistiken, die belegen, dass dieses Konzept erfolgreich ist.
Dr. Nonn: Viele Untersuchungen zeigen zudem, dass bei akut psychiatrisch Erkrankten in einem offenen Behandlungssetting weniger Zwangsmaßnahmen erforderlich waren, wenn ein ruhigeres Klima auf der Station herrscht. Das zeigte sich auch in Bonn. Dort hatten wir zum Teil zwei Monate lang keine Zwangsmaßnahme durchführen müssen.
Wir sprechen immer von akut betroffenen Personen – aber welche Krankheitsbilder zählen beispielsweise dazu?
Dazu gehören unter anderem die paranoide Schizophrenie, drogeninduzierte Psychosen und schwere Persönlichkeitsstörungen – aber auch schwere depressive Episoden. Grundsätzlich kann es jedoch bei vielen psychiatrischen Erkrankungsbildern zu akuten Krisensituationen mit Gefährdungsmomenten kommen. Wir möchten diesen Patienten ein individuelles, ganzheitliches Behandlungsangebot machen, wobei wir hierbei vor allem auf unsere langjährigen psychotherapeutischen Erfahrungen zurückgreifen können.
Wie verlief dann die schrittweise Öffnung? Wie kann man sich das vorstellen?
Um es einmal plastisch zu beschreiben: Zu Beginn war es wie auf einer Intensivstation. Die ist ja auch geschlossen, nur mit einem Schalter öffnen sich die Türen. Und so haben wir das anfangs auch gemacht. Der Patient konnte selbst entscheiden, wann er den Schalter betätigt. Doch irgendwann sagten die Kollegen: Lasst es uns, wenn, richtig machen. Wir wollten, dass die Türen immer offen sind. Natürlich hatten wir zu Beginn Bedenken, ob das alles reibungslos klappt. Aber es war die richtige Entscheidung. Wichtig aber ist es, als Team transparent zu arbeiten.
Bedenken, dass es zu Konflikten kommt?
Um Konflikte zu vermeiden, haben wir vorab geschaut, wo sogenannte Hotspots auf den Stationen sind und haben dann Anlaufstellen für Patienten auf der Station verteilt, damit es sich an einem Ort nicht häuft.
Nun sind Sie in Wittgenstein und haben mit gerade einmal 37 Jahren eine Leitung inne – war für Sie schon immer klar, dass Sie zur Psychiatrie gehen werden?
Eigentlich wollte ich immer sportmedizinisch tätig sein oder Orthopädin werden. Doch dann hatte ich einige spannende Vorlesungen im Bereich der Psychiatrie und habe mich so für den Bereich faszinieren lassen – nicht zuletzt durch meinen damaligen Psychiatrieprofessor Herrn Freyberger, der ja auch viele Lehrbücher geschrieben hat. Er hat die Inhalte spannend, aber auch greifbar vermittelt. Später habe ich dann einige Praktika absolviert und mich schließlich für das Fach entschieden.
Nach neun Jahren haben Sie nun die Großstadt verlassen und sind nach Wittgenstein gezogen – wie war das für Sie? Haben Sie sich bereits gut einleben können?
Es ist sehr bergig hier, aber schön. Sowohl in der Klinik als auch außerhalb konnte ich mich bereits sehr gut einleben. Die Menschen hier sind wirklich hilfsbereit. Wenn man etwas braucht, ist einer immer zur Stelle oder aber kennt irgendwen, der helfen kann. Zudem hat die Region hier einen hohen Freizeitwert mit naturnahen Sportmöglichkeiten – sowohl im Sommer als auch im Winter.
War der Umzug hierher eine enorme Umstellung für Sie?
Pandemiebedingt nicht wirklich, da es in den Großstädten während des Lockdowns ja auch viele Einschränkungen gab. Daher habe ich den Wechsel gar nicht so sehr gemerkt.
Was macht die Klinik Wittgenstein für Sie so besonders?
Die Haltung des gesamten Teams. Hier ist man wirklich auf Augenhöhe mit den Patienten. Die Klinik ist ein „Ort heilsamer Begegnung“ und das finde ich sehr passend. Denn wir wollen den Patienten begegnen und sie nicht wegsperren.
Dr. Holzapfel: So ist es. Wegsperren hätte mit Begegnen nichts gemein. Dann könnten wir uns nicht mit dem Patienten auseinandersetzen. Aber genau das möchten wir ja, um ihm gemeinsam als Team helfen zu können.