Wittgenstein.. Ingetraud Lumma engagiert sich ehrenamtlich beim Verein „Atempause Wittgenstein“, um pflegenden Angehörigen eine Auszeit zu verschaffen.
Wenn Ingetraud Lumma von ihrem Vater erzählt, fängt sie oft an zu lachen. „Ich war schon immer ein Papa-Kind“, sagt die 60-Jährige. Vor zehn Jahren wurde bei ihrem Vater Alzheimer diagnostiziert, vor fünf Jahren verstarb er an einem Nierenversagen. Obwohl Alzheimer für die meisten Familienangehörigen eine Schock-Diagnose ist, konnte Ingetraud Lumma verhältnismäßig gelassen mit der Krankheit ihres Vaters umgehen. „Er war sehr umgänglich und hat mir auch immer gesagt: ‘Kind, ich bin so froh, dass du für mich da bist’“, erzählt Lumma.
D
wie Dankbarkeit.
Für ihre Mutter, die 24 Stunden am Tag mit ihrem Vater zusammen war, waren die Alzheimer bedingten Ausfälle mitunter jedoch sehr belastend. „Wir haben uns Hilfe geholt – nicht immer nur für meinen Vater, sondern auch für meine Mutter.“ Sei es die Unterstützung von einem ambulanten Pflegedienst gewesen, das Angebot der Tagespflege oder eine ehrenamtliche Helferin, die ein mal pro Woche vorbeikam, um mit dem Vater zu basteln oder einfach nur zu reden. „Das hat mich wirklich beeindruckt. Als mein Vater schließlich verstorben ist, war für mich klar: Ich möchte gerne etwas zurückgeben“, so Lumma.
A
wie Aufmerksamkeit.
Vor drei Jahren wird sie schließlich auf eine Zeitungsanzeige des Vereins „Atempause Wittgenstein“ aufmerksam. Ein Betreuungs- und Entlastungsdienst, der sowohl pflegende Angehörige als auch Menschen mit Demenz oder auch mit Behinderung unterstützt. „Das war genau das, was ich gesucht habe“, erinnert sich Ingetraud Lumma, die damals auch damit geliebäugelt hat, doch noch mal in den Beruf einzusteigen. Jetzt sei sie aber ganz froh, dass sie sich dagegen entschieden habe und stattdessen etwas Gutes für Menschen leisten könne. Aus Überzeugung.
S
wie Selbstständigkeit fördern.
Es seien nicht die großen Dinge, aber für die Menschen, die sie betreut, bedeuten sie viel. Zusammen kochen, Kreuzworträtsel lösen, Einkaufen gehen, zum Arzt begleiten oder im Advent Plätzchen backen. „Eine Klientin bat mich letztens darum, mit ihr Eier zu färben“, erzählt Lumma und lacht. Die Wahrnehmung von Zeit und Raum ist bei Demenz-Patienten zunehmend gestört, das führt bei Angehörigen oft zu Frust. Statt sich aber darüber aufzuregen, warum der Klient plötzlich etwas nicht mehr kann oder weiß, sollte der Betreuende vielmehr mit Gelassenheit und Humor reagieren. „Man kann es eh nicht ändern“, meint Lumma. Es zu akzeptieren helfe im Umgang viel mehr als es aufklären zu wollen.
E
wie entspannt.
Diese Erfahrung hat sie selbst bei ihrem Vater gemacht. Als die Demenz schon weiter fortgeschritten war, gab es eine Situation, in der er sie nicht mehr als ihre Tochter erkannte. „Ich war damals bei meinen Eltern zu Besuch, mein Vater saß im Sessel im Wohnzimmer. Ich habe mich vor ihm hingekniet, wie schon all die Jahre vorher. Da fragte er mich auf einmal: ‘Und, wer bist du?’“ Als sie sich überrascht mit „Ingetraud“ vorstellte, verneinte der Vater nur; die würde ja ganz anders aussehen. Intuitiv entzerrte Ingetraud Lumma die kritische Situation. „Stimmt, ich bin eine Freundin von der Ingetraud und heiße auch Ingetraud. Aber ich bin auch ganz nett, oder?“ Kein Streit, keine verletzten Gefühle, nur die Akzeptanz, dass es gerade so ist.
I
wie Intimität.
Die Betreuung von Demenzkranken ist auch immer eine Gratwanderung. Wie kann ich unterstützen, ohne gleich zu bevormunden? Es ist eine sehr persönliche und sensible Angelegenheit, wenn Ingetraud Lumma als Helferin in die Familien geht. Natürlich erfährt man da viel. Und es entstehen zum Teil auch enge Beziehungen. „Erst letztens habe ich eine Todesanzeige von einem Herrn in der Zeitung entdeckt, den ich mal betreut habe. Da sind mir schon die Tränen gekommen“, erzählt Lumma. Ob sie auch manchmal an ihre persönliche Belastungsgrenze kommt? „Eigentlich nicht.“ Zurzeit kümmert sie sich um drei Klienten, insgesamt rund zehn Stunden pro Woche. Eine frühere Klientin, die jetzt im Seniorenwohnheim lebt, habe an Depressionen gelitten, sagt Lumma. „Das war schon schwer sie zu motivieren.“
N
wie Nachsicht.
Auch wenn der Umgang mit Demenzkranken kräftezehrend sein kann, erlebt Ingetraud Lumma auch immer wieder witzige und schöne Momente mit ihren Klienten. Wenn Sie Spritzgebäck machen wollen und plötzlich der Fleischwolf fehlt; oder wenn sie „Mensch Ärgere Dich Nicht“ spielen und sich eben doch ärgern. Wenn Ingetraud Lumma davon erzählt, fängt sie an zu lachen. So wie bei den Erinnerungen an ihren Vater.
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