Erndtebrück. Auf den Erndtebrücker Pfarrer Jaime Jung (44) kommen in der nächsten Zeit neue Aufgaben zu. Welche, das verrät er hier im Interview

Auf Jaime Jung, Pfarrer in Erndtebrück, kommen nun neue Aufgaben zu, während seine Pfarrkollegin Simone Conrad von Birkelbach als Superintendentin ins Bad Berleburger „Haus der Kirche“ an der Schloßstraße wechselt. Was sich der 44-Jährige für die nächste Zeit vorgenommen hat, verrät er im Interview mit unserer Redaktion.

Als Synodalvikar entlasten sie seit Anfang Oktober in der Birkelbacher Kirchengemeinde nun auch die neue Superintendentin Simone Conrad. Was ändert sich denn da jetzt für Sie im Alltag als Pfarrer?


Jaime Jung: Ich freue mich, dass ich meine Tätigkeit als Synodalvikar in der evangelischen Kirchengemeinde Erndtebrück weiterführen darf, wie es schon in den letzten zwei Jahren gewesen ist. Ab dem 1. November 2020 bin ich dann aber auch offiziell Vakanzverwalter in der evangelischen Kirchengemeinde Birkelbach, wo Pfarrerin Simone Conrad bis vor ihrer Einführung als neue Superintendentin tätig war. Praktisch heißt es für mich dann, Aufgaben in beiden Kirchengemeinden zu übernehmen, viele Termine zu koordinieren und dabei die nötige Balance zu finden, um allen gerecht zu werden, auch mir selbst.

Da sind Sie dann also doppelt unterwegs, oder?

Einige Aspekte des Gemeindelebens werde ich dann doppelt aus der Nähe erleben, wie die Sitzungen der beiden Presbyterien, das Treffen der Frauenhilfegruppen und der Kinder. Andere Aufgaben werde ich zum ersten Mal in Deutschland übernehmen, wie die Konfirmandengruppe in Birkelbach – in Brasilien habe ich das aber schon sechs Jahre lang gemacht. Sicher ist, dass mein rotes Auto viel öfter in beiden Gemeinden unterwegs und zu sehen sein wird.

Im kommenden Jahr wird nach dem Abschied von Stefan Berk eine halbe Pfarrstelle in Erndtebrück ausgeschrieben. Werden Sie sich da bewerben?

Pfarrer Stefan Berk hat es mir als Superintendent ermöglicht, dass ich nach Wittgenstein kommen konnte – dafür bin ich ihm und dem Kirchenkreis sehr dankbar. Die Kirchengemeinde in Erndtebrück hat mich mit offenen Armen empfangen. Die Zusammenarbeit mit meiner Kollegin Pfarrerin Kerstin Grünert klappt sehr gut. Da ab Anfang Februar 2021 eine halbe Pfarrstelle in Erndtebrück frei sein wird, habe ich vor, mich dafür zu bewerben, ja. Nach zwei Jahren konnte ich das Gemeindeleben schon ziemlich gut kennenlernen, erleben und begleiten, und das gefällt mir sehr. Es kommt hinzu, dass man in Wittgenstein diese wunderschöne Natur vor der Tür hat. Da kann ich nur von guten Perspektiven reden.

Der Video-Dreh mit Kerstin Grünert Ende März in der evangelischen Kirche Erndtebrück für eine kurze YouTube-Andacht mitten in der Corona-Krise – was war das für ein Gefühl?


Das war ein unvergessliches Gefühl: Mitten in der Passionszeit wurde alles extrem ruhig im Gemeindeleben, so gut wie alle Veranstaltungen wurden ja abgesagt. Da haben wir uns kurzfristig entschieden, etwas gegen diesen Stillstand zu unternehmen, um der Gemeinde zumindest auf diese Weise durch die kurzen Video-Andachten etwas anzubieten.

Und das war’s dann?

Natürlich waren die Videos nicht alles – wir haben auch Briefe und Karten verschickt oder Telefonate geführt. Es verlangt Zeit, Vorbereitung und unbedingt viel Mut und Herz, um vor der Kamera zu stehen und eine Botschaft in die Welt zu senden. Wie die Botschaft wen erreicht, das hat man dann nicht mehr unter Kontrolle. Wir haben viele positive Rückmeldungen bekommen – auch deswegen machen wir es bis heute noch weiter. Jetzt sogar mutiger und technisch geübter.

Rückblende, Sommer 2019: Sie organisieren gemeinsam mit zwei Pfarrer-Kollegen in Wittgenstein einen Trialog, um mit Protestanten aus Ländern dreier verschiedener Kontinente – USA/Amerika, Tansania/Afrika und Wittgenstein/Europa – das damalige Kirchentags-Leitmotiv „Was für ein Vertrauen“ durchzubuchstabieren und zu bedenken. Wie wichtig sind solche internationalen Begegnungen aus Ihrer Sicht? Welche Impulse geben sie unserer Region?


Solche Begegnungen machen immer wieder deutlich, dass wir vieles voneinander lernen können, als Völker unterschiedlicher Herkunft und Kulturen und besonders auch als Christen und Christinnen. Trialog war eine Art Wortspiel, das deutlich machen wollte: Jugendliche aus diesen drei Kontinenten wollen sich auf Augenhöhe unterhalten und begegnen, über das Leben und den Glauben anderer erfahren, mit Respekt, Neugier und Offenheit. Das bleibt als Botschaft für unser allgemeines Verhalten als Gotteskinder.

Hat das nicht schon Tradition?

Der Wittgensteiner Kirchenkreis schaut schon längst über die heimischen Berge und pflegt jahrzehntelange Partnerschaften mit Kirchen aus den USA und aus Tansania. Durch diese Begegnungen erweitern sich die Horizonte aller Beteiligten und jedem wird klar: Ich bin in der Lage, etwas zu geben und ich kann aus dieser Begegnung auch was für mein Leben mitnehmen.

Was geben Ihnen die Gottesdienste oder Aktionen für Kinder, die Sie oft zelebrieren oder mitorganisieren? Sie sind ja jetzt auch Kirchenkreis-Beauftragter für diese Kindergottesdienste...


Ich habe neben Theologie auch Lehramt studiert. Schon gleich nach meiner Konfirmation, mit 14 Jahren, habe ich im Kindergottesdienst-Team mitgewirkt. Ich bin ein leidenschaftlicher Geschichtenerzähler, bastele gerne und habe manchmal auch verrückte Ideen. Das alles sehe ich als Bereicherung für meinen Beruf als Pfarrer – besonders, wenn ich mit Kindern zu tun habe. Ich sehe das Arbeiten mit und für Kinder als etwas Besonderes, als ein Privileg sogar, und komme immer bereichert aus den Begegnungen im Kindergottesdienst, in den Kindergärten oder ab und zu in der Schule. Es ist immer schön, wenn ein Kind über eine biblische Geschichte staunt, nachdenkt, Fragen dazu stellt.

Wie wichtig ist das aus Ihrer Sicht?

Ich bin davon überzeugt, dass der Glaube Nahrung und Begleitung braucht, um zu wachsen und zu reifen – auch und besonders bei Kindern. Daher ist es zum Beispiel wichtig, dass sie Bibelgeschichten hören oder diese selber lesen, dass sie singen und beten lernen – nicht nur in der Kirche, sondern auch zuhause, motiviert von Eltern, Großeltern, Paten und Patinnen. Es gibt viele Angebote für Kinder in den Kirchengemeinden – jetzt wegen Corona sind sie leider eingeschränkt. Ein Traum von mir wäre, dass die Familien diese Angebote öfters wahrnehmen würden

Sie arbeiten im Wittgensteiner Notfallseelsorge-Team mit. Warum? Und wie findet man zur Mitarbeit dort?


Als Pfarrer gehört zu meinen Aufgaben und zu meiner Berufung, den Menschen auch in schwierigen Situationen zur Seite zu stehen. Die Seelsorge in Extremsituationen – wie bei Unfällen, beim Überbringen von Todesnachrichten – gehörte zu meiner Pfarrer-Ausbildung, auch wenn nicht ausführlich. Daher möchte ich so bald wie möglich noch eine Fortbildung in diesem Bereich absolvieren. Im Notfallseelsorge-Team kann ich aber schon jetzt in einem Netz von Kollegen und Kolleginnen mitwirken, das seit langer Zeit gut funktioniert, um Menschen in schweren Momenten zu begleiten. Da unser Team in Wittgenstein nicht sehr zahlreich ist, halte ich es für wichtig, dass man sich hier gegenseitig unterstützt und entlastet.

Im katholischen Pastoralverbund Wittgenstein vollzieht sich derzeit auch ein personeller Wechsel, wenn Pfarrer Bernhard Lerch seine verantwortungsvolle Stelle für eine gesamte Region aufgibt. Wie wirkt das auf Sie?


Wenn eine Person wie Pfarrer Lerch geht, der so lange eine einflussreiche Rolle als Geistlicher der Katholiken in der Region hatte, ist es immer ein großer Verlust. Ich hoffe sehr, dass sich jemand finden lässt, der genau so wie Bernhard Lerch ein Herz für die Menschen in Wittgenstein hat. Andererseits wurde mir bei meinem Abschied in Brasilien gesagt: Kirchenmenschen kommen und gehen, die Kirchengemeinde bleibt. Das verstehe ich so, dass unser Vertrauen auf Gott so groß sein soll, dass es uns als Gemeinden auch über Zeiten der Vakanzen und der Unsicherheit trägt

Wie halten Sie es eigentlich mit der Ökumene? Müsste man da in Wittgenstein mehr tun?

Ich komme ursprünglich aus der brasilianischen Evangelischen Lutherischen Kirche – IECLB, die sehr offen ist, was die Ökumene betrifft. Ich bin also von Hause aus durch die Zusammenarbeit mit anderen Konfessionen geprägt und möchte diese Offenheit auch weiterhin hier in Wittgenstein erleben. Es mag klischeehaft klingen, aber man sagt es nie oft genug: Ökumene ist nur dort möglich, wo man zum Dialog bereit ist, wo man voneinander lernen will und sich gegenseitig respektiert – was uns unterscheidet, darf nicht mehr Gewicht bekommen als das, was uns verbindet.


Ich kann natürlich nicht für ganz Wittgenstein sprechen, nur aus meiner Erfahrung in Erndtebrück berichten: Dort wird die ökumenische Zusammenarbeit stets angestrebt und man erlebt immer wieder diese schönen Zeichen, die für mich wie Hoffnungsstrahlen für die Ökumene sind: die gemeinsamen Weltgebetstage der Frauen und der Kinder, der Lebendige Adventskalender, der Kreuzweg.

Wie erleben Sie das?

Für mich persönlich war und ist die Zusammenarbeit mit Barbara Marburger, Gemeindereferentin im Katholischen Pastoralverbund Wittgenstein, ganz schön. Gemeinsam bieten wir sogenannte Kontaktstunden in der Erndtebrücker Grundschule an. Zurzeit findet das wegen Corona leider nicht statt, aber sobald wie möglich wieder. Da laden wir evangelische und katholische Kinder ein, einmal im Monat zusammenzukommen, um mit uns gemeinsam zu singen, eine Geschichte zu hören, zu basteln. Auch Kinder aus konfessionslosen Familien und anderen Religionen haben schon daran teilgenommen – immer freiwillig. Das ist für mich lebendige Ökumene, die sich an der Basis entwickelt und wachsen kann.

„Fit im Glauben werden“ – so haben Sie im April 2019 mal ein „Angedacht“ für unsere Zeitung überschrieben. An wen wendet sich dabei Ihr Appell?


Wie ich damals geschrieben habe: Der Mensch ist ja nicht nur eine wunderbare Zusammensetzung von Knochen, Muskeln, Haut – alles in perfekter Harmonie, sondern ein ganzheitliches Wesen, das denkt, fühlt und anderen Menschen begegnet. Leider wird eher nach Ansehen und nach dem besten Aussehen gestrebt und oft bleiben die Sachen des Glaubens dann liegen. Ich halte es für wichtig, dass man ein Gleichgewicht zwischen körperlichem und geistlichem Fit-Sein findet. Mit „geistlich fit bleiben“ meine ich, mehr als den klaren Verstand in diesen unsicheren Zeiten zu bewahren, sondern auch Zeit für die Begegnung mit Gott finden, sei es in der Kirche, zuhause oder in der Natur. Und natürlich gehört in der Folge ein achtungsvoller und möglichst harmonischer Umgang mit den Mitmenschen dazu.

Ihre Heimat ist Brasilien. Ganz ehrlich: Haben Sie da eigentlich oft Heimweh?

Natürlich! Nicht oft, aber immer wieder. Heimweh gehört übrigens zu meinen deutschen Lieblingswörtern. Aber ich empfinde es als etwas Positives. Es ist doch so, dass man nur das vermisst, was schön ist oder war. Aus Brasilien fehlt mir am meisten meine Familie – meine Geschwister und die ganze Großfamilie. Ebenso die engsten Freunde und Freundinnen. Ich bin im Leben schon etwa 20 Mal umgezogen – auch innerhalb Brasiliens – zum Studieren und zum Arbeiten, auch weit weg von meinem Heimatdorf. Irgendwann gewöhnt man sich daran und hat für sich klar, dass man das Wichtigste ja bei sich trägt, im Herzen.

Ist die Kontaktaufnahme zur Familie nicht heute auch ein bisschen leichter?


Ja, natürlich. Heutzutage macht das Internet sowieso alles einfacher – und der Kontakt zu den Liebsten kann jeden Tag erfolgen. Ich komme aus dem Hinterland Südbrasiliens, wo das Wetter nicht so unterschiedlich zu unserem hier ist – auch wenn der Winter nur halb so streng und halb so lang ist. Komisch ist es nur, und das passiert mir immer wieder, wenn ich hier, mitten im Sommer, Weihnachten vermisse, da es in Brasilien immer in den Sommer fällt.