Netphen. Die „Stadtmacher“ kommen: In Netphen beginnt ein Projekt, bei dem Bürger, Vereine und Politik neu lernen, miteinander zu reden.

Die „Stadtmacher“ sind da. „Zusammen leben – gemeinsam gestalten“ ist das Motto. Nicht der x-te Workshop, bei dem mit bunten Klebepunkten und auf Stellwänden farbige Moderationskarten mit Ideen fürs Stadtbild und den nächsten Dorfplatz gepinnt werden. Sondern ein Programm, in dem Werkzeuge erarbeitet werden, wie man überhaupt ans Mitreden kommt. Denn die Hürden, seine Interessen zu platzieren, sind hoch, weiß Benjamin Bäumer.

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So viele protestieren und demonstrieren, kommentieren auf Facebook und Instagram. Vereine und Parteien suchen Nachwuchs. Im Rathaus können Anregungen, Wünsche und Forderungen platziert werden. Man kann sogar selbst mitmachen – im September sind Kommunalwahlen. Hürden? „Es ist schwieriger geworden, den Mut zu fassen, öffentlich zu sprechen“, stellt Benjamin Bäumer dennoch fest. Zu sprechen, betont der Wissenschaftler – nicht: zu beschimpfen oder anzugreifen. Benjamin Bäumer, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Uni, ist Teamleiter des Stadtmacher-Projekts, das vor einigen Tagen gestartet ist.

Voller Saal – nächstes Treffen am 1. Februar

„Wir hatten einen vollen Saal“, berichtet Bäumer über das erste Treffen im Museum Netpherland. Vereine waren vertreten, Geschäftsleute und Unternehmer, Politik und Verwaltung. Die AWO war da, die Jagdhornbläser sind gekommen. Wie findet man neue Mitstreiter, wie knüpft man Kontakte zu möglichen Unterstützern, an welchen Stellen kann man mitreden? Das sind die ersten Fragen, die in den Raum gestellt wurden und die nun in den nächsten Monaten beantwortet werden sollen. Am Samstag, 1. Februar, 16 Uhr, findet das nächste Treffen in Museum statt. Dort werden Themen sortiert und Arbeitsgruppen gebildet. Anfang Juli werden die Ergebnisse präsentiert. In der „Diskurswerkstatt“ kommen die Vorschläge auf den Tisch, wie Teilhabe und Mitgestaltung verbessert werden können.

Benjanim Bäumer ist Projektleiter von

„Ziel ist es, miteinander mehr ins Gespräch zu kommen.“

Benjamin Bäumer, Projektleiter

Frust über große Politik – Menschen wenden sich der eigenen Stadt zu

Benjamin Bäumer spricht von einer „anderen Art der Alltagsbeteiligung“ – einer Mitgestaltung im Vorfeld des Korsetts von Gremien und Geschäftsordnungen. Wer bei den Stadtmachern mitmacht, lernt etwas über die Abläufe von demokratischen Entscheidungen, „sowohl über die Hürden als auch über die Chancen“, sagt Bäumer. „Ziel ist es, miteinander mehr ins Gespräch zu kommen.“ Dass dieser Dialog oft noch nicht geführt werde, „wird als Mangel empfunden“. Denn tatsächlich wächst das Interesse, sich in die Gestaltung der eigenen Stadt einzubringen. Um so mehr, je frustrierender der Politikbetrieb auf Bundes- und Landesebene anmutet. „Wir beobachten in den letzten fünf bis zehn Jahren eine sehr starke Verschiebung des Interesses auf die lokale Ebene.“ Zumal dort jeder und jede schon einmal Experte in eigener Sache ist. Sie können damit rechnen, mit offenen Armen empfangen zu werden. Teilhabe von Bürgerinnen und Bürgern, sagt Benjamin Bäumer, „spielt auch für Stadtverwaltungen zunehmend eine Rolle.“ Wer miteinander spricht, kann auch Konflikte lösen.

Schauplatz: Museum Netpherland

Partner des Stadtmacher-Projekts ist der Museumsverein Netpherland, der die Werkzeuge zur Mitwirkung selbst gut gebrauchen kann. „Wir müssen wieder Geld sammeln“, sagt Nicole Schmallenbach aus dem Vorstand des jungen Vereins, der inzwischen rund 20 Mitglieder hat und vom Heimatverein Netpherland die Trägerschaft für das Museum übernommen hat.

In diesen Tagen wurde der neue Trägervertrag mit der Stadt unterzeichnet. Bei der Übernahme erfolgte die Begehung des Hauses – mit niederschmetterndem Ergebnis: Aus Brandschutzgründen dürfen sich im Untergeschoss nur noch sechs Personen gleichzeitig aufhalten, das Obergeschoss mit dem Großteil der heimatgeschichtlichen Ausstellung wurde komplett gesperrt. Zusätzliche Fluchtwege müssen angelegt werden, aus dem Obergeschoss über einen Ausstieg aus dem Fenster auf eine Brücke zum Hang hinter dem Haus.

Nicole Schmallenbach schätzt die Kosten auf mindestens 100.000 Euro. Erhofft wird ein Zuschuss des Landschaftsverbands. Der fließt aber nur, wenn der Verein selbst einen Eigenanteil aufbringt. „Daran scheitert es im Moment.“

Netphen für Stadtmacher-Projekt „ideal“

Die „Stadtmacher“ sind ein Projekt von „Diskursiv“, der „Akademie für partizipative Kommunikation“, einem von Mitarbeitenden der Universität Siegen gegründeten Verein, in dem sich hauptsächlich Sprach- und Kommunikationsforscher zusammengefunden haben. Das Projekt in Netphen wird von der Hans Sauer Stiftung („Entwicklung von Kompetenzen für verantwortungsbewusstes Denken und Handeln fördern“) ermöglicht. Nach einem Pilotprojekt in Siegen will das Team nun in Netphen mitwirkungswillige Menschen dabei unterstützen, gehört zu werden und sprechen zu lernen. Oder, anders formuliert: „Gemeinsam mit Bürgerinnen und Bürgern zu erforschen, wie man sich politisch beteiligen kann.“. Mit breit gefächertem Ehrenamt und vielfältiger Vereinsszene sei Netphen als Mittelstadt mittlerer Größe für so ein Projekt ideal, findet Benjamin Bäumer.

Schon beim Gendern können sich Gräben auftun

Es wird wohl nicht nur darum gehen, mit der Wahl der richtigen Worte und Ansprechpersonen schnurstracks zur Verwirklichung seines Anliegens zu kommen. Auf dem Weg dorthin liegen Konflikte, auch für die Vermittlung im Streit braucht es die angemessene Sprache. „Da wollen wir Wege suchen“, sagt Benjamin Bäumer, „wenn sich beispielsweise schon beim Gendern Gräben auftun.“ Die Stadtmacher wissen natürlich auch, dass sie gerade im beginnenden Kommunalwahlkampf in die Arena kommen. Da liegt es nahe, dass auch Parteien und Kandidaten sich verstärkt um Werkzeuge bemühen, wie sie mit ihrer Wählerschaft ins Gespräch kommen. Falsche Adresse, betont Benjamin Bäumer: „Genau dafür sind wir nicht da.“

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