Eichen. Bei der Belegschaftsversammlung am Tag nach der Schocknachricht bleiben wichtige Fragen unbeantwortet. Arbeitsminister Karl-Josef Laumann kommt.
Am Tag nach der Schock-Nachricht stehen die Maschinen bei Thyssenkrupp Steel in Eichen und Ferndorf still. Die Belegschaft versammelt sich im Eichener Hamer, um zu erfahren, was aus ihnen und ihren Arbeitsplätzen werden soll. Die Betriebsversammlung ist nicht öffentlich. Durch die geöffneten Fenster dringen Pfiffe von Trillerpfeifen. Mancher Wortbeitrag ist sehr laut. „Die Belegschaft ist aufgebracht“, bestätigt Knut Giesler, Bezirksleiter der IG Metall und stellvertretender Vorsitzender des Aufsichtsrats.
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Gegenüber in der Werkseinfahrt ist der wieder für die Mahnwache aufgebaute Unterstand während der Versammlung verlassen. Die Banner am Zaun wirken aus der Zeit gefallen, werben für das nächste Heimspiel des TuS Ferndorf und den Weihnachtsmarkt in Dreslers Park. Auch das Transparent aus dem Spätsommer, als die Belegschaft gegen den Rauswurf ihres Vorstandes durch Konzernchef Miguel Lopez protestierte, wirkt ein bisschen blass gegenüber dem druckfrischen neuen Banner: „Alarmstufe Rot bei Thyssenkrupp: 1000 Familien im Siegerland bedroht.“
„Keiner weiß, wo es hingehen soll“, sagt ein Arbeiter in einer Versammlungspause. Betriebsratsvorsitzender Helmut Renk, der in diesem Jahr 40-jährige Betriebszugehörigkeit feiern könnte, ist wütend. Die drei anwesenden Vorstände hätten sich nicht in der Lage gezeigt, drängende Fragen zu beantworten: Gibt es betriebsbedingte Kündigungen? In welchem Zeitraum soll die Schließung realisiert werden? „Sie wissen nicht, was sie den Menschen angetan haben“, sagt der Betriebsratsvorsitzende. Dass die beabsichtigte Schließung des Werks in Eichen mit seinen 600 Beschäftigten aber kurz vor Weihnachten kommuniziert werde, das sei „pure Absicht“.
„Das können Sie vergessen, dass wir wie Lämmer zur Schlachtbank gehen.“
Für Helmut Renk ist die Ankündigung des Vorstandes nicht das letzte Wort. „Das können Sie vergessen, dass wir wie Lämmer zur Schlachtbank gehen.“ „Essen“, sagt er und meint die Thyssenkrupp-Zentrale, „will uns loswerden“. Deren Vorhaben sei „beschämend“ und „skandalös“. Mit einer Schließung des Werks in Eichen werde allenfalls ein zweistellige Millionensumme eingespart –ein kleiner Betrag gemessen an den Dimensionen, um die es insgesamt geht. Gerade der Standort Kreuztal, der eben nicht hauptsächlich die kriselnde Autoindustrie beliefert, wäre eine Chance für die Stahl-Weiterverarbeitung. „Mit Angst und Druck kann man kein Unternehmen in die Zukunft führen.“ Bei der großen Demonstration am 11. Dezember in Kreuztal „werden wir den Roten Platz zum Beben bringen“, kündigt er an und fordert, „dass auch die Politik endlich mal aus ihrem Häuschen kommt.“ Und stellt fest: „Wir sind jetzt im Arbeitskampf.“
IG-Metall-Bezirksleiter Knut Giesler, der auch stellvertretender Vorsitzender des Steel-Aufsichtsrates ist, zieht erneut die „roten Linien“: Bevor Standortschließungen und betriebsbedingte Kündigungen nicht ausgeschlossen seien, werde es keine Verhandlungen geben. Im montanmitbestimmten Steel-Aufsichtsrat ist die Arbeitnehmerseite in einer starken Position. „Es wird nur das passieren, was wirklich sinnvoll ist.“ Andree Jorgella, IG-Metall-Bevollmächtigter in Siegen, hat gehört, wie Mitarbeiter fragten, was sie denn ihren Kunden sagen sollten. „Das ist das Schlimmste, keine Antworten zu bekommen“, sagt er. Die Vorstände hatten den Fragesteller auf Gutachten vertröstet, die Anfang nächsten Jahres erwartet werden. „Auch so kann man einen Standort kaputt machen.“
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Auch Andree Jorgella verfolgt das Zittern und Bangen um Kreuztal schon seit einigen Jahren. „Die arbeiten ja profitabel.“ Von den angekündigten Investitionen in die Ausrüstung aber sei „nichts umgesetzt, nichts verbessert“ worden. „Das sieht nach einem langfristigen Plan aus.“ Gerade macht eine Ankündigung von Vorstand Philipp Conze die Runde, die Eichener Produktion ins moderner ausgestattete Ferndorfer Werk zu verlagern. Andree Jorgella ist da vorsichtig: „Sicher sein kann hier niemand mehr.“
Noch am Montagabend hat NRW-Wirtschaftsministerin Mona Neubaur bei Kreuztals Bürgermeister Walter Kiß angerufen, Bestürzung geäußert und Unterstützung angeboten. NRW-Arbeitsminister Karl-Josef Laumann trifft gegen 11.30 Uhr in Eichen ein; er ist direkt von einer Sondersitzung in Düsseldorf aufgebrochen, bei der es um die Krise bei Ford in Köln ging. Die Kreuztaler Belegschaft empfängt ihn auf dem Parkplatz des einstigen „Werksgasthauses“, das sie inzwischen „Eichener Hamer“ nennen. Drinnen ist die Betriebsversammlung unterbrochen, Betriebsratsvorsitzender Helmut Renk hat die drei Vorstände Dennis Grimm, Philipp Conze und Marie Jaroni wieder nach Duisburg entlassen.
„Es ist jetzt Aufgabe des Managements, ein Zukunftskonzept für die Produktion von Stahl in NRW vorzulegen.“
„Kaum zu fassen“ sei die aktuelle Entwicklung, sagt Minister Laumann. Der Standort Eichen sei „noch nie in der Diskussion gewesen, er ist auch nicht in den roten Zahlen. Eine Schließung würde teurer als die Weiterführung.“ Bevor Laumann in den sich wieder füllenden Versammlungssaal geht, macht er klar: „Es ist jetzt Aufgabe des Managements, ein Zukunftskonzept für die Produktion von Stahl in NRW vorzulegen.“ Die Produktion von Stahl sei Grundlage für den starken Maschinenbau im Land, berührt werde der „industrielle Kern Nordrhein-Westfalens“.
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