Netphen. Atze aus Essen-Kray ist ein gutmütiger Pferde-Opa: Besitzerin Sandra Costantini schenkt Familien mit wenig Geld Zeit mit dem Tier. Einfach so, weil sie‘s gern macht.
Atze hebt den Schweif und pupst in Leas Richtung. Die 12-Jährige kichert laut. Atze ist 27, ein Haflinger-Wallach, und kommt aus Essen-Kray. Klar, bei dem Namen. Anders als Atze Schröder hat das Pferd aber keine Locken, sondern eine blonde Mähne - genau die gleiche Farbe wie Leas Haare. Das Mädchen mit der blau-rosa Brille und dem schüchternen Lächeln umarmt den gutmütigen Pferde-Opa immer wieder, ob sie ihm das Fell striegelt, beim Aufsatteln hilft oder später endlich auf ihm reiten darf. Mama Steffi Bell schaut gerührt zu, mit wie viel Freude ihre Tochter Atzes Besitzerin Sandra Costantini zur Hand geht.
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Costantini und Atze kennen sich schon lange. Sie kommt auch aus Essen, hatte dort eine Reitbeteiligung - Atze. Sie zog ins Siegerland und bekam irgendwann mit, dass Atze verkauft werden sollte. Sie holte ihn zu sich, er lebt jetzt in einem Offenstall auf dem Hof Brachbach von Manfred und Axel Spies, oberhalb von Netphen. Ein Pferd braucht Pflege, jeden Tag. Sandra Costantini liebt die Zeit mit Atze - und sie weiß, wie sehr viele Kinder Pferde auch lieben. Und dass viele sich das nicht leisten können. Also verschenkt sie Zeit mit ihrem Pferd. Einfach so. Sie beobachtet, wie Lea sich an den großen Hals des Tiers schmiegt. „Das ist für mich alles“, sagt Costantini. „Das ist für mich genauso schön wie für sie.“
Netphenerin bietet via Social Media Pferde-Zeit auf dem Hof Brachbach an
Via Social Media hatte Sandra Costantini Pferde-Zeit angeboten und Steffi Bell hatte sie daraufhin angeschrieben. Lea liebt Tiere und Pferde ganz besonders, erzählt ihre Mutter. Eine große Überraschung sollte es werden - sie würden einen Ausflug machen, hatte sie ihrer Tochter nur erzählt. Wohin, verriet sie nicht. Lea hätte die ganze Nacht kein Auge zugemacht, wenn sie gewusst hätte, dass es auf den Pferdehof geht. Die Familie lebt in Weidenau, Sandra Costantini holt Kinder und Eltern sogar ab, wenn sie Pferde-Zeit verschenkt. Aber an diesem Tag machte ihr Auto Probleme. Also sprang Bauer Spies ein. Trotz immens gestiegener Betriebskosten, überbordender Bürokratie, Regulierungswut und immer schwierigerer Rahmenbedingungen für die Landwirtschaft: Wenn jemand ein Herz für Pferde hat, so wie die Bauern, dann machen sie das möglich. Ehrensache.
Lea ist entwicklungsverzögert, hat Pflegestufe 2, erzählt ihre Mama. Die 12-Jährige ist anfangs scheu und zurückhaltend und taut immer mehr auf, während Sandra Costantini ihr alles erklärt: Richtig füttern, wie sie die Kletten und den Staub aus Fell, Schweif und Mähne bürstet, wie Atze richtig gesattelt wird, wie das mit dem Halfter funktioniert. Lea kennt sich schon aus, nicht nur weil sie „Bibi und Tina“ liebt. Sie ist schon auch mal geritten, bei Kindergeburtstagen oder Ausflügen mit der Schule. Aber ein eigenes Pferd oder auch nur eine Beteiligung - schwierig.
„Das ist für mich genauso schön wie für die Kinder.“
Umso dankbarer ist Steffi Bell, dass Sandra Costantini den ganzen Aufwand auf sich nimmt, damit Lea reiten gehen kann. Sie habe das, damals noch in Essen, im TV gesehen; wie Pferdebesitzer Kinder einfach damit glücklich machen, dass sie Zeit mit den Tieren verbringen, bei den täglichen Handgriffen unterstützen dürfen. Ein Pferd zu haben, das ist nicht nur Reitspaß, sondern jede Menge Verantwortung, Arbeit, Pflege. Und das geht auch nicht mit jedem Pferd - Atze ist gutmütig und zutraulich, hat keine Scheu vor Fremden. Wenn er das nicht wäre, würde Sandra Costantini keine Kinder auf ihn setzen. Natürlich muss es zeitlich passen, aber das ist eigentlich kein Hindernis - viele Eltern hätten sich zwar gemeldet, erzählt Sandra Costantini, aber viele trauen sich dann doch nicht. Weil sie sich schämen. Müssen sie nicht, wirklich nicht, betont die gelernte Kinderpflegerin: Sie macht das gern. Echt jetzt.
Hof Brachbach in Netphen: Endlich darf Lea aufsitzen - Pferd Atze trabt los
Lea ist inzwischen in ihre knallroten Gummistiefel geschlüpft, hat den Helm mit Blümchenmuster aufgesetzt, zusammen haben sie Atze vom Stall auf den Reitplatz geführt. Endlich darf sie aufsitzen. Die 12-Jährige wird immer selbstsicherer und fröhlicher. Sandra Costantini gibt das Kommando, angelehnt an die reitende kleine Hexe Bibi Blocksberg und ihren fliegenden Besen: „Ene mene eins zwei drei, flieg los Kartoffelbrei!“ Atze fällt gehorsam in lockeren Trab, Lea juchzt und grinst immer breiter. Irgendwann traut sie sich sogar, freihändig zu reiten. In der nächsten Runde klatscht sie ihre Mutter ab, die am Gatter wartet.
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Irgendwann wird es dunkel und Pferde-Opa Atze müde. Mit 27 Jahren ist er nicht mehr blutjung. Lea darf noch zurück zum Stall reiten. „Die Überraschung“, sagt sie zur ihrer Mama, „hast Du Dir richtig gut ausgesucht.“
Nicht nur dieses Kind, diese Mama. Mehrere Eltern und Großeltern berichten von überglücklichen Kindern, die riesig Spaß mit Atze und all den anderen Tieren auf dem Hof Brachbach hatten. Alle waren unendlich dankbar - und dürfen natürlich auch nochmal wiederkommen. So ein schöner Tag und dann ohne Wiederholung? Das brächte Sandra Costantini nicht übers Herz.