Eichen. Belegschaft von Thyssenkrupp Steel in Kreuztal reagiert auf Rauswurf „ihres“ Vorstandes und Rücktritte der Aufsichtsräte: „Bedrohlicher als je zuvor“

Rund 100 Mitarbeiter von Thyssen Krupp Steel in Kreuztal versammeln sich vor dem Werkstor in Eichen. Sie haben Angst. Seit Donnerstagabend, 29. August, mehr denn je. Der Betriebsrat bietet Informationsgespräche an, damit niemand bis zur Betriebsversammlung in der nächsten Woche warten muss. Das Wesentliche sagt Helmut Renk, der Betriebsratsvorsitzende im Siegerland, ganz zum Schluss: „Eure Sorgen kann ich euch nicht nehmen.“ Das kann auch Kreuztals Bürgermeister Walter Kiß nicht: „Ich bringe euch Solidarität“, sagt er, „mehr habe ich nicht in den Händen.“

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Seit Donnerstagabend ist die Thyssen Krupp Steel AG so gut wie führungslos: drei Vorstände haben hingeworfen, einer Reihe von Aufsichtsratsmitgliedern sind gefolgt, unter ihnen auch der Kreuztaler Detlef Wetzel, einst Bundesvorsitzender der Gewerkschaft und vorher lange der Spitzenmann der IG Metall in Siegen. „Die Lage“, sagt Helmut Renk, „ist bedrohlicher als je zuvor.“

Thyssenkrupp in Kreuztal: Abbau der Stahlproduktion bedroht den Standort

Es geht um Geld, das Geld, das die Thyssen Krupp AG ihrer Stahltochter auf den Weg in die Selbstständigkeit mitgibt. Gegner Nummer eins auch der Kreuztaler Belegschaft ist Konzernchef Miguel Lopez, der den Businessplan seiner Stahlvorstände in der Luft zerrissen hat. Mit der darin vorgesehenen Reduzierung der Stahlproduktion von elf auf 9,5 Millionen Tonnen hätte die Weiterverarbeitung in Kreuztal leben können, sagt stellvertretender Betriebsratsvorsitzender Taylan Ronaesin, „damit wäre kein Standort von der Schließung bedroht gewesen.“

Infostand für Belegschaft von Thyssenkrupp Steel
Taylan Ronaesin © WP | Steffen Schwab

„Damit wäre kein Standort von der Schließung bedroht gewesen.“

Taylan Ronaesin, Betriebsrat

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Wenn es aber mehr wird, geraten die Außenstandorte in Gefahr, fürchtet der Belegschaftsvertreter. Denn verzinken und beschichten können sie auch in Duisburg und Dortmund. „Man kann einen Hochofen nicht mit 50 Prozent wirtschaftlich betreiben.“ Soll heißen: Dann ist alles platt. Dass dann die gerade mit großem Aufwand verkündete Investition in die Standorte Ferndorf und Eichen versenkt ist, wird in den Augen der Belegschaftsvertreter keine Rolle spielen. Was sind schon 20 Millionen Euro gegen dreieinhalb oder vier Milliarden, um die es zwischen Thyssenkrupp und Thyssenkrupp Steel geht?

„ Die Lage ist bedrohlicher als je zuvor.“

Helmut Renk, Betriebsrat

„Er hat einen Vorstand in der Öffentlichkeit kaputt gemacht“, sagt Helmut Renk über Konzernchef Lopez, „ich habe noch nie einen Vorstand gesehen, der alles kaputt redet. Eigentlich gehört der sofort rausgeschmissen.“ Helmut Renk, seit 1984 im Unternehmen, als es noch Hoesch hieß, seit 1998 im Betriebsrat, hat schon viele Krisen in Eichen und Ferndorf erlebt. Wenn er in den Angriffsmodus umschaltet, hat er viele Erfahrungen vor Augen: „Wir lassen uns von so einem nicht an die Wand drücken. Wir werden kämpfen.“

Thyssenkrupp: Vom Aus in Kreuztal wären rund 20.000 Menschen betroffen

Es sind ja nicht nur die 950, die noch in den Kreuztaler Werken arbeiten – vor den Krisen seit den 1980ern waren es mal über 3000. Michael Klimas, seit 36 Jahren im Unternehmen und ebenfalls Betriebsrat, rechnet so: „An jedem Stahlarbeitsplatz hängen vier bis fünf andere Arbeitsplätze.“ Zum Beispiel bei Zulieferern und Spediteuren. Und wenn hinter jedem Betroffenen eine Familie steht, vervielfacht sich die Zahl noch einmal. „Das sind dann eben mal 20.000 Menschen, wo die Existenz ins Bodenlose fällt.“ Michael Klimas gehört zu denen, die schon viel Bangen um ihren Arbeitsplatz erlebt haben: „Mit schlechten Nachrichten leben wir schon immer“, sagt er, „aber so etwas hatten wir noch nie.“ Denn bisher hatten die Sozialpartner immer Lösungen gefunden. „Jetzt wird die Mitbestimmung mit Füßen getreten.“ Arbeitsplätze abzubauen, indem Kollegen etwas früher in Rente gehen, das werde nicht mehr funktionieren: „Die meisten sind zu jung.“

„Die haben schon damals gesagt, das wird nicht lange halten. Am Ende wurde aber dann doch wieder alles gut.“

Nikolai Jaufmann, Industriemechaniker
Infostand für Belegschaft von Thyssenkrupp Steel
Michael Klimas (rechts) und Nikolai Jaufmann haben schon viele Krisen an den Kreuztaler Standorten erlebt. © WP | Steffen Schwab

So wie Nikolai Jaufmann, der am 1. August seit 19 Jahren im Unternehmen ist. „Direkt nach meiner Ausbildung gab es Kurzarbeit.“ Der Industriemechaniker hat sich nicht schrecken lassen. „Die haben schon damals gesagt, das wird nicht lange halten. Am Ende wurde aber dann doch wieder alles gut.“ Hätte Nikolai Jaufmann zwischendurch wechseln können? Warum sollte er, fragt er zurück. „Man verdient gut, die Arbeit ist in Ordnung, das Team ist super.“ Nicht zu übersehen: Die Arbeitsplätze bei Thyssenkrupp Steel sind hochspezialisiert, erklärt Jaufmann, der die S 32 in Eichen leitet, seit seine Spaltanlage in Ferndorf abgebaut wurde.

Stahl-Belegschaft von Thyssenkrupp vermisst in Kreuztal Unterstützung durch Abgeordnete

Betriebsratsvorsitzender Helmut Renk, der selbst auch dem Steel-Aufsichtsrat angehört, erklärt die nächsten Schritte. Man wartet nun auf ein Gutachten zum Business-Plan des abgesetzten Vorstands, in der Hoffnung, dass dessen Marschrichtung bestätigt wird. Auch wenn das wohl nichts mehr ändert. Die Stahl-Belegschaft wird lauter auf die Gefahr aufmerksam machen, die der ganzen Region droht: Vielleicht, so Renk, wird es bald einen Demonstrationszug zum Roten Platz in der Stadtmitte geben. Auch die örtlichen Landes- und Bundespolitiker seien gefordert: „Von denen hätte ich mir schon viel mehr erwartet.“ Denn eigentlich steht noch viel mehr auf dem Spiel: das Ende der gesamten deutschen Stahlindustrie, die „totale Abhängigkeit“ von chinesischen Importen.

Infostand für Belegschaft von Thyssenkrupp Steel
Bürgermeister Walter Kiß versichert Helmut Renk (rechts) der Solidarität der Kreuztaler: "Mehr habe ich nicht." © WP | Steffen Schwab

Die Kreuztaler Parteien machen ihren Vertretern in Düsseldorf und Berlin gerade Beine, berichtet Bürgermeister Walter Kiß. Und der Rat werde demnächst, was er schon so oft getan hat, eine Resolution verabschieden. Die Jüngsten sind an diesem Mittag übrigens nicht dabei. Sie absolvieren gerade ihre Einführungswoche in die Berufsausbildung. Für ein Berufsleben bei Thyssenkrupp Steel.

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