Kreuztal. Thyssenkrupp will seine Stahlsparte verkaufen - die Arbeitnehmer im Siegerland fordern endlich Antworten vom Konzern: „Wir lassen uns nicht verramschen!“
Sie wollen jetzt endlich mal wissen, wie es weitergeht. Der Mutterkonzern will die Stahlsparte verkaufen, zumindest zum großen Teil. Aber was das konkret für sie bedeutet, das sagt ihnen keiner, kritisieren Betriebsrat, Belegschaft und Industriegewerkschaft IG Metall. Nun wollen sie Druck machen: Thyssenkrupp Steel (TKS) brauche jetzt endlich Klarheit: „Wie viel Geld gibt der Mutterkonzern uns für die Eigenständigkeit?“ fragt der Kreuztaler Betriebsratsvorsitzende Helmut-Rudi Renk.
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„Wir lassen uns nicht verramschen“, ruft Renk bei der Mahnwache am Mittwoch, 10. Juli, vor dem Werk in Eichen. Die Arbeitnehmervertreter haben martialische Bilder inszeniert: Roter Rauch und rote Bengalos, gereckte Fäuste und eine „Flamme der Solidarität“; als Symbol, dass man sich nicht auseinanderziehen lasse. Die Fackel wandert bis Ende des Monats durch alle elf TKS-Standorte, bis zur Konzernzentrale in Essen. Wo entschieden wird über die Zukunft des Stahls, für die die Spartengeschäftsführung ein Geschäftsmodell vorgelegt habe, über das der Mutterkonzern sich aber in Schweigen hülle. Den ganzen Juli über werde es jede Woche Mahnwachen geben, an allen Standorten, von Rasselstein über Hohenlimburg bis Duisburg. Im Siegerland montags und mittwochs, immer im Wechsel zwischen Eichen und Ferndorf.
Thyssenkrupp-Standort Siegerland in Kreuztal kann 1,6 Millionen Tonnen verarbeiten
Zwei Millionen Tonnen weniger sollen produziert werden, so viel wisse man, sagt Helmut-Rudi Renk - die Konsequenzen seien indes völlig unklar. Denn die Verflechtungen und Abhängigkeiten der Anlagen und Aggregate sind schon innerhalb des Konzerns groß und komplex, dazu kommen weitere Unternehmen, Abnehmer, Zulieferer. Im Grunde selbst der Bäcker um die Ecke. Zwei Millionen Tonnen weniger, das hat Auswirkungen auf die Auslastung. Der Standort Siegerland, sagt der Betriebsratsvorsitzende, kann 1,6 Millionen Tonnen verarbeiten, „wir sind ein guter Ergebnisbeiträger - wenn wir ausgelastet sind“. Das Material aus Eichen und Ferndorf geht an die Automobilindustrie, wird für „Weiße Ware“, also Küchengroßgeräte, eingesetzt, für Ständerwerke von Freiflächen-Photovoltaik. Alles mit hohen Margen, gerade Solarenergie: ein Zukunftsmarkt, sagt Renk.
Daran hängen tausende Arbeitsplätze. Konzernweit sowieso, im Siegerland 1000 direkt, weitere sind eng mit Werken und Produkten verknüpft. „Wenn der Standort zugemacht wird, haben 5000 Menschen in der Region ein Problem.“ Erlebt hat Renk in 40 Jahren schon einiges mit Thyssenkrupp, die 25-Millionen-Investition in neue Maschinen für Solarmodul-Ständerwerke vor wenigen Wochen seien beileibe keine Bestandsgarantie. „Wir hatten hier mal 3000 Beschäftigte“, sagt er, in der Vergangenheit wurden unter anderem Glüherei und Kaltwalzwerk geschlossen, man sei eben entsprechend misstrauisch, besorgt. Die aktuelle Investition „sieht gut aus, aber wir sind nicht sicher“.
Stahl-Transformation bei Thyssenkrupp auch im Siegerland: Schwierige Wettbewerbsbedingungen
Sie haben nichts gegen die Eigenständigkeit und gegen Investoren - Thyssenkrupp will 20 Prozent der Stahlsparte an den tschechischen Milliardär Kretinsky (EPCG) verkaufen, mit Option auf 50 Prozent. Was das konkret für Standorte und Beschäftigte bedeutet, weiß auch die IG Metall nicht. „Dieser nebulöse Zustand ist für alle nicht schön“, sagt der Siegener Gewerkschaftssekretär Peter Richter. Zumal Thyssenkrupp-Vorstandschef Miguel López „rüde“ mit den Arbeitnehmervertretern umgehe, die im Aufsichtsrat die Hälfte der Mitglieder stellen. Das sei in der Form neu, bestätigt Helmut-Rudi Renk, selbst Aufsichtsratsmitglied: In der Vergangenheit habe man immer konstruktiv an Kompromissen gearbeitet, diesen neuen Umgang kenne man so nicht. „Wir müssen doch sowieso am Ende reden - dann sollte man das jetzt vernünftig und ehrlich tun.“
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Grundsätzlich geht es bei TKS um eine künftig eigenständige Stahl-Einheit, die sich selbst finanzieren muss. Das muss mit Geld hinterlegt sein - für Pensionsrückstellungen, für notwendige Investitionen. „Bei einem grünen Hochofen redet man schnell mal über zwei Milliarden Euro“, weiß Gewerkschafter Richter. Die nachhaltige Transformation der Stahlsparte und gleichzeitig die Beschäftigungssicherung unter den aktuell herrschenden Rahmenbedingungen mit schon im europäischen Kontext wenig wettbewerbsfähigen Energiepreisen zukunftsfähig hinzubekommen - nicht einfach, da arbeite man doch besser zusammen. „Transformation geht nicht gegen 100.000 Beschäftigte“, bekräftigt auch Betriebsrat Renk. Am Ende gehe es ums Geld. Bei allen Problemen und Umstrukturierungen der Vergangenheit: So eine Auseinandersetzung um die Zukunft wie diese, sagt er, habe es in den letzten 20 Jahren nicht mehr gegeben.
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