Freudenberg. Wenig Geld, wenig Personal: Steht das System Kita vor dem Kollaps? Eine Einrichtungsleiterin sagt: Die Entwicklung der Kinder ist gefährdet.
Unter dem gelben Sonnensegel liegen Schaufel und Eimer im Sand. Die Kinder des Evangelischen Familienzentrum Sternenzelt in Freudenberg sitzen im Sand, spielen an der Wasseranlage oder verstecken sich in den Holzhäusern. 50 Kinder sind heute da, alle draußen, kaum zu überhören. Temperaturen oberhalb der 20-Grad-Marke. Dass die Kinder hier auf dem Spielplatz spielen können, verdanken sie dem Förderverein des Familienzentrums. „Dank der Spenden der Eltern konnten wir diesen tollen Platz ermöglichen“, sagt Kitaleiterin Nina Gieseler (36). „Doch eine solche Unterstützung haben nur die wenigsten Kitas.“
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In den Kitas in Siegen-Wittgenstein rumort es, erzählt Nina Gieseler. Sie war letztes Jahr noch als Erzieherin in einer Kita in Geisweid. „Dort sah die Situation ganz anders aus als hier in Freudenberg. Wir mussten in die Notbetreuung gehen. Viele Kolleginnen sind wegen eines Burnouts oder Depressionen ausgefallen.“ Ein Brandbrief sollte helfen. Nina Gieseler wandte sich an den Träger, die Evangelischen Kitas im Kirchenkreis Siegen (Ekiks). Geändert habe das allerdings nichts. „Wir mussten die Öffnungszeiten kürzen.“
Siegen-Wittgenstein: Kaum Fördermittel für Gebäude - Kitas verlieren Zulassung
Nina Gieseler und ihr 16-köpfiges Team setzen sich für Veränderungen ein. So waren sie vor kurzem am Marktplatz in Freudenberg. Ziel der Aktion: Auf die finanziellen Situation und den Personalmangel der Kitas aufmerksam machen. „Die Lage vieler Kitas sind wirklich katastrophal. Die Fördermittel werden alle ins Personal gesteckt, dafür bleiben dann Renovierungsarbeiten an den Gebäuden auf der Strecke. Die Gebäude verlieren ihre Zulassung.“
Verantwortlich für den Zustand macht Nina Gieseler die Landesregierung. „Die Regierung hat verpasst, den richtigen Weg einzuschlagen. Die Kitas sind unterfinanziert.“ Personalkosten seien durch Tariferhöhungen und den Inflationsausgleich gestiegen und beanspruchen das Budget stark. „Zeitgleich ist der Zuschuss durch das Land und teilweise durch die Kommunen nicht ausreichend hoch, damit wir die gestiegenen Kosten auffangen können.“ Nina Gieseler wünscht sich weitere Fördermittel. „Eine pädagogische Arbeit, die die einzelnen Entwicklungsbereiche der Kinder berücksichtigt, ist derzeit nicht umsetzbar, sagt Gieseler. „Das kann massive negative Auswirkungen auf die weitere Entwicklung der Kinder haben. Es wird an der falschen Stelle gespart.“
Kitaleitungen haben bürokratischen Mehraufwand in Siegen-Wittgenstein
Das Telefon von Nina Gieseler klingelt im Minutentakt. „Das waren schon 13 Anrufe in 30 Minuten“, sagt sie. Eltern wollen ihre Kinder an- oder abmelden. So läuft das täglich. Nicht nur Nina Gieseler muss flexibel sein, auch die Eltern. Eine 45-Stunden-Betreuung, für die Eltern zahlen, ist in vielen Kitas nicht möglich, sagt Gieseler. „Oft bekommen die Eltern nur eine 35-Stunden-Betreuung pro Woche, zahlen aber für 45 Stunden.“ Der Differenzbetrag werde nicht zurückgezahlt, sagt Gieseler. Gründe für die Situation sei nicht nur Corona, wie viele denken. „Die Lage war vorher auch schon schlecht. Eigentlich seitdem das KiBiz-Gesetz beschlossen wurde. Viele neue Regelungen sind ein enormer bürokratischer Aufwand.“
Ein Arbeitstag von Nina Gieseler geht um 7 Uhr los und endet um 16 Uhr. „In meinem Feierabend schalte ich aber nicht ab. Ich überlege weiter, wie ich meine Kollegen und die Familien entlasten kann.“ Häufige Erkrankungen, auch Erschöpfungssyndrome oder Überlastung machen den Arbeitsalltag nicht leicht, sagt Gieseler. „Wenn Eltern ihre Kinder krank in die Kita bringen, werden meine Mitarbeitenden krank. Das ist ein Kreislauf.“ Die Büroarbeit bleibe dann auch mal liegen, weil Nina Gieseler in den Gruppen die Betreuung übernehmen muss. „Oft sehen Eltern oder Außenstehende nicht, was wir leisten.“
Kitas in Siegen-Wittgenstein: Große Verunsicherung bei allen Beteiligten
Seit vergangenem Jahr leitet Nina Gieseler die Einrichtung in Freundenberg. Die Situation sei belastend. Für alle. „Es herrscht Verunsicherung bei allen Beteiligten. Der Personalmangel ist Stress für die Erzieherinnen und Erzieher, für die Eltern und für die Kinder.“ Wenn die Kinder immer neue Bezugspersonen zugewiesen bekommen, weil die Erzieherinnen ausfallen, könne eine Bindung zwischen Erzieherin und Kind nicht wachsen, sagt Gieseler.
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Das neu aufgelegte „Alltagshelferprogramm“ für Kindertageseinrichtungen in NRW, dessen Förderzeitraum noch bis zum 2026 gilt, soll helfen. Das Familienzentrum in Freudenberg kann Fördermittel beantragen, um zusätzliche Hilfskräfte zu bekommen. Eine Alltagshelferin arbeite in der Freudenberger Einrichtung, sagt Gieseler. „Bei uns hat das sehr gut funktioniert.“
Kitas in Siegen und Umgebung: Überlastungen führen zu Frust
Jeder Mitarbeiter könne eine Überlastungsanzeige schreiben, wenn das Gefühl aufkommt, dass die Arbeit nicht mehr zu schaffen ist. Dann werde gemeinsam mit dem Träger – in diesem Falle der Evangelische Kirchenkreis – eruiert, ob man Stunden reduzieren könne, sagt die 36-Jährige. „Wir haben auch ein Wiedereingliederungsmanagement nach einer Erkrankung.“ Viele Erzieher seien schon über 25 Jahre in Kitas beschäftigt. Die Ausbildung, wie Nina Gieseler sie absolviert hat, machen noch die wenigsten, erzählt sie. „Die meisten gehen studieren. Es kommen sehr wenige Bewerbungen rein.“ Die Ausbildung sollte niederschwelliger sein, findet sie. Bisher ist noch ein Fachabitur erforderlich. „Das Ausbildungssystem muss sich ändern. In der Ausbildung sind die Azubis nur zwei Mal die Woche in der Kita, sonst in der Schule.“
So überlastet wie andere Kitas fühlt sich die Freudenberger Leiterin nicht. Sie möchte aber nicht für sich selbst, sondern für alle Kitas sprechen. Den Frust kann Nina Gieseler verstehen. Sie versteht auch die Eltern, die Mitarbeitenden, die Träger. „Ich sehe das Problem nicht bei den Kommunen, sondern im System.“ Immer werde den Eltern eine flexible Stundenbuchung zugesichert. Flexibel sei aber schlecht zu planen, wenn Personal für die von den Eltern gebuchte Stundenzahl fehlt, an der sich aber der Personalschlüssel orientiert.
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„Meine Mitarbeitende gehen an ihr Limit. Sie machen mehr als sie können. Verschieben ihre Zeiten, damit die Kinder, die gleiche Bezugsperson haben. Hier muss sich etwas ändern.“ Nina Gieseler wippt auf ihrem Stuhl hin und her. Das erste Mal nimmt sie das Telefon in die Hand. Am Telefon: Eine Mutter, die ihr Kind anmelden möchte. Nina Gieseler schreibt den Namen auf, dreht sich dann wieder um und sagt: „Kinder müssen dem Land mehr wert sein. Wir können unserem Bildungsauftrag nicht nachkommen.“