Netphen. In Netphen gibt es zu wenig Platz für Geflüchtete. Sozialarbeiter können ihrer normalen Arbeit nicht mehr nachgehen, sondern werden zu Nothelfern.

Erstmals hat die Stadt Netphen einen Zuweisungsstopp für Geflüchtete bei der Bezirksregierung beantragt. Vier Wochen Verschnaufpause wurden der Stadt zugebilligt. Die Frist endet am 21. Juni. Die Zeit wurde genutzt: „Wir arbeiten stetig daran, jede Unterkunft zu prüfen, ob wir noch erweitern können. Deshalb ändern sich auch die Zahlen an freien Plätzen“, sagt Thorsten Vitt, Fachbereichsleiter für Soziales, im Sozialausschuss. Derzeit habe die Stadt noch 15 freie Plätze in ihren Unterkünften, 405 seien belegt, berichtet Thorsten Vitt. „Die Sozialarbeiter kommen an ihr Limit. Nach dem Zuweisungsstopp sollen in der ersten Woche wieder bereits 19 Personen untergebracht werden“, sagt Vitt.

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„Durch die gestiegenen Zuweisungen nach Netphen müssen derzeit viele Tätigkeiten auf dem Gebiet der Arbeit mit geflüchteten Menschen, insbesondere Unterbringung und Betreuung, unter der akuten Prämisse der Notversorgung durchgeführt werden“, heißt es in einer Vorlage für den Sozialausschuss. Der größte Teil an Zuweisungen komme aus der Ukraine oder Syrien, gefolgt von der Türkei und Afghanistan, sagt Vitt im Sozialausschuss. Die Aufnahmeverpflichtung der Stadt beträgt derzeit 118 Personen (Stand: 14.6.2024), zuvor waren es noch 107. Zudem sind noch 92 Personen aufzunehmen, deren Asylantrag anerkannt wurde und die eine Wohnsitzauflage für Netphen über drei Jahre haben (Stand: 16.6.2024).

Flüchtlingssituation in Netphen: Sozialarbeit am Limit

Eine erste Frage kommt von Lothar Kämpfer (SPD): „Netphen liegt bei der Erfüllungsquote bei 80 Prozent. Wie ist es in Nachbarkommunen?“ Thorsten Vitt betont, dass die Nachbarkommunen in der Erfüllungsquote deutlich über Netphen liegen. „Die Stadt Siegen liegt teilweise sogar über 100 Prozent.“ Lothar Kämpfer (SPD) macht sich zudem Sorgen um die Zunahme der Zuweisungszahlen. Die gehen tatsächlich weiter nach oben. „Wenn wieder mehr Leute kommen, müssen wieder mehr verteilt werden“, sagt Kämpfer. Im Sozialausschuss wurde auch über die aktuelle Lage der Sozialarbeit gesprochen. Thorsten Vitt berichtet, dass die Sozialarbeit an ihr Limit kommt. „Gezwungenermaßen durch die enge Belegung. Wir haben eine Belegung, die bis aufs Letzte ausgequetscht ist. Wir machen nicht mehr die Sozialarbeit, die eigentlich von uns erwartet wird. Wir sind eher Nothelfer in Notsituationen.“

„Wir machen nicht mehr die Sozialarbeit, die eigentlich von uns erwartet wird. Wir sind eher Nothelfer in Notsituationen.“

Thorsten Vitt, Fachbereichsleiter für Soziales

Probleme treten zum Beispiel auf, wenn eine Großfamilie mit acht Kindern ankomme, sagt Vitt. „Das ist zuletzt vermehrt vorgekommen. Dann ist die Aufgabe der Sozialarbeit auf einmal komplett anders, als wenn wir sieben Männer zugewiesen bekommen haben.“ Die freien Plätze seien von Hainchen bis Unglinghausen verteilt. „Dann müssen Zimmer geräumt werden und andere zusammenziehen, damit wir Platz für die Familien haben. Dieses Umziehen, von der einen Einrichtung in die andere, macht mit den Bewohnern was“, sagt Vitt.

Unterbringung großer Familien führt zu Problemen

Reinhold Weber (UWG) fragt nach, ob Familien auch in kleinen Einheiten oder nur in großen Häusern untergebracht werden. „Wir haben die Erfahrung gemacht, dass wenn Familien zusammenleben, diese viel besser zu integrieren sind.“ Thorsten Vitt erklärt: „Wir haben die Gegebenheiten nicht, dass wir Familien in kleinen separaten Einheiten unterbringen können.“ In Netphen in der ehemaligen Tagesklinik könne man aber sehen, dass eine Unterbringung von Familien zusammen mit alleinstehenden Männern vermieden werde.

Lothar Kämpfer (SPD) bedankt sich bei den Sozialarbeitern und den Mitarbeitenden des Bauhofes und fragt: „Bleiben unsere Leute denn noch bei der Stange? Das ist ja keine einfache Nummer.“ Thorsten Vitt: „Wir haben ein tolles Team. Die Tage werden aber mehr, an denen die Sozialarbeiter sagen, sie haben keine Lust mehr. Es macht keinen Spaß einem Menschen jeden Tag zu sagen, du darfst den Müll nicht aus dem Fenster schmeißen.“

Zuweisung vieler minderjähriger Kinder bringt Schulen an ihre Grenzen

Marc Seelbach (SPD) fragt, ob die Zuweisung vieler minderjähriger Kinder von den Schulen noch bewältigt werden könne. „Die Schulen werden ja auch der Lage nicht mehr Herr. Ich sehe das bei dem Berufskolleg, das ist nicht mehr zu leisten. Uns platzen die Klassen aus allen Nähten.“ Da kommt die Realität mit der gesetzlichen Schulpflicht zusammen, sagt Thorsten Vitt. „Es wird sich nicht die Frage gestellt, ob die Kinder eingeschult werden können, sondern sie müssen.“ Die Schulen könnten allerdings nicht leisten, sich untereinander abzusprechen, wo Plätze frei werden, sagt Vitt.

„Der Rat verfolgt ja immer noch den Ansatz dezentrale Unterbringungsstrukturen. Unterstreichen sie auch diesen Ansatz, nicht mit zentralen Unterbringungen zu arbeiten?“, fragt Lothar Kämpfer (SPD). „Es ist sinnvoller, Geflüchtete in einem festgebauten Haus unterzubringen, nicht in einem Container oder einer Halle.“ Dadurch allein würden Probleme allerdings nicht gelöst. „Wir setzen natürlich niemanden in ein Haus, der Müll aus dem Fenster schmeißt“, sagt Vitt.

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