Siegen. Luiza Licina-Bode aus Bad Laasphe punktet als „Arbeiterkind“, Gewerkschafterin und Juristin. Der andere Wittgensteiner bleibt zweiter Sieger.

82 Frauen und Männer im großen Gläsersaal, kurz nach 18 Uhr: Die Delegierten der SPD-Ortsvereine in Siegen-Wittgenstein sollen darüber befinden, wer für sie in den Bundestagswahlkampf zieht. Unter, wie man seit langem so schön sagt, unter Corona-Bedingungen: mit Abstand und Maske, und möglichst zügig. Gut anderthalb Stunden später hat die Zählkommission ihre Arbeit getan, Steffen Löhr tritt ans Rednerpult: Luiza Licina-Bode macht’s. Sie hat 44 Stimmen bekommen - das ist die absolute Mehrheit, so dass kein zweiter Wahlgang nötig wird.

Kulisse

Ganz hinten im Saal hat der Ehrenvorsitzende des SPD-Unterbezirks Platz genommen: Willi Brase, der in diesem Jahr 70 wird, war bis 2017 im Bundestag. Vielleicht erinnert er sich an die Versammlung vor vier Jahren: Nicht erst Ende Februar, sondern schon im November war sein Nachfolger bestimmt worden. Damals, lange vor Corona, waren nicht nur die paar Delegierten zusammengekommen, über 300 Stimmen wurden an jenem Samstagvormittag abgegeben: die Mehrzahl, auch im ersten Wahlgang, auch gegen zwei Mitbewerber, für Heiko Becker. Von ihm, der vor gut einem Jahr aus gesundheitlichen Gründen Abschied aus der Politik nahm, spricht an diesem Freitagabend niemand mehr. Sein Platz vorn im Präsidium ist immer noch leer.

Es ist nicht so, dass sie nichts zu feiern hätten. Zwei Bürgermeister und eine Bürgermeisterin sind im Saal, allesamt junge Leute der Partei: vorn Hannes Gieseler aus Wilnsdorf, zugleich stellvertretender Unterbezirksvorsitzender, im Saal Henning Gronau aus Erndtebrück und Nicole Reschle aus Freudenberg. Walter Kiß aus Kreuztal würde als Senior dieses Quartett voll machen, wenn er da wäre. Man könnte feiern, aber die Zeit - zehn Minuten pro Kandidat oder Kandidatin sind vorgesehen, eine Minute pro Frage.

Kandidaten

Peter Müller aus Kreuztal macht den Anfang. Der 58-Jährige ist erst als Letzter ins Rennen gegangen, als die beiden anderen sich längst warmgelaufen hatten. Er berichtet von seinem Anfängen als Juso, wie sie damals für die atomwaffenfreie Zone und für Abrüstung gekämpft hatten. Heute ist er AfA-Vorsitzender, also an der Spitze der Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen: „Die Arbeit für soziale Gerechtigkeit ist mir besonders wichtig“, sagt der Gewerkschafter und zählt die Firmen in der Region auf, in denen Arbeitnehmer gerade um ihre Jobs bangen – die Finger einer Hand reichen dafür nicht aus. „Schenkt mir euer Vertrauen“, ruft er. Das tun zum Schluss nur sechs Delegierte, wahrscheinlich die aus dem eigenen Stadtverband.

Hannes Gieseler, stellvertretender Unterbezirksvorsitzender,  gratuliert Luiza Licina-Bode. Ein Parteiamt in Siegen strebt sie nicht an.
Hannes Gieseler, stellvertretender Unterbezirksvorsitzender, gratuliert Luiza Licina-Bode. Ein Parteiamt in Siegen strebt sie nicht an. © WP | Steffen Schwab

Als Zweite ist Luiza Licina-Bode, die spätere Siegerin, dran. Sie tritt vorn auf die Bühne, geht gar nicht erst ans Rednerpult, spricht ziemlich frei und macht Tempo. Die 48-jährige Juristin („Ich bin ein Arbeiterkind“) und Ehefrau eines Industriemechanikers erzählt, wie sie in Bad Laasphe Kommunalpolitik gemacht hat, Rechtsanwältin mit eigener Kanzlei war, zum Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, dem BAMF, wechselte und hauptamtliche Personalrätin wurde. „Arbeitnehmerthemen sind meine Themen“, sagt sie, markiert in Schlagworten Themen für die Region und skizziert, wie sicher sie sich heute auf der Bühne von Bundeskriminalamt und Verfassungsschutz, BAMF und Technischem Hilfswerk bewegt. „Ich werbe um Ihre Stimme und Ihr Vertrauen.“ Nur mit dem Genossen-Du fremdelt sie gelegentlich noch - was sich bei der Bekanntgabe des offensichtlich auch für sie überraschenden Ergebnisses wieder legt, als sie den Blumenstrauß aus dem Händen von Hannes Gieseler entgegennimmt: „Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll.“

Ihn hatten viele für den Favoriten für diese Kandidatur gehalten: Karl-Ludwig Völkel ist der Profi am Rednerpult, die „lieben Genossinnen und Genossen“ gehen dem früheren Erndtebrücker Bürgermeister locker von den Lippen, und Wahlkampf-Rhetorik kann er auch. Wozu die Attacke auf den politischen Gegner gehört: Der amtierende CDU-Abgeordnete, sagt er, „hätte nicht den Handschlag für die Route 57 gerührt“. Und das große Umarmen der eigenen Leute: Ohne Willi Brase, dessen Platz in Berlin er einnehmen will, hätte die Straße nach Wittgenstein gar nicht den vorderen Platz in der Bundes-Planung bekommen. „Der Wahlkreis ist zu holen, mit euch zusammen schaffe ich das.“ Der 73-Jährige dreht noch einmal richtig auf, fühlt sich fit. Er ist im Rat, im Kreistag, im Regionalrat, und er führt den AWO-Kreisverband. Er sei zwar noch gar nicht nominiert, trotzdem nehme er „sehr viel Zustimmung bei den Bürgerinnen und Bürgern“ wahr. Sollte das eine subtile Mahnung an die Delegierten sein, so verfehlt sie ihr Ziel. Mit 33 Stimmen geht er als zweiter Sieger vom Platz.

Konsequenzen

Vor dem Wahlgang eine kleine Fragerunde. Nur vier Delegierte, davon drei aus Kreuztal, gehen überhaupt ans Mikrofon. Gefragt wird unter anderem auch nach einem Wahlkampfkonzept in Zeiten der Pandemie – „mittlerweile kann jeder mit Zoom umgehen“, sagt Luiza Licina-Bode überzeugt, während die beiden Männer die Hoffnung auf analoge Begegnungen zumindest im Spätsommer hegen. Die andere Frage ist tückisch, zumindest für die spätere Siegerin. Ob sie denn auch bei einer Niederlage dem Unterbezirk zur Verfügung stehe? „Da kann ich leider gar nichts anbieten“, sagt die Berufspendlerin zwischen Berlin und Nürnberg. „Ich stehe zur Verfügung“, sagt dagegen Karl-Ludwig Völkel. Das wird Hannes Gieseler („Es wird Zeit, dass wir wieder einen Mann oder eine Frau in Berlin sitzen haben“) gern gehört haben. Denn der SPD-Unterbezirk sucht noch immer einen Vorsitzenden.

Hans-Dieter Moritz ist auch als Delegierter da, der frühere Landtagsabgeordnete aus Neunkirchen. Ob er wohl darüber nachdenkt, wer in vier Jahren hier steht? Auf jeden Fall der Nach-Nach-Nachfolger des Unterbezirksgeschäftsführers, der der heute 81-Jährige immerhin 20 Jahre lang bis 1985 war. Denn für Michael Weidig ist diese Nominierungskonferenz eine der letzten Amtshandlungen. Nach sieben Jahren als Geschäftsführer in Siegen und Olpe quittiert der 30-Jährige den Dienst bei der SPD, macht seinen Sport zum Beruf und heuert bei einer Kletteragentur in Franken an. Keine Politik. Nur Liebe zu seiner Verlobten, der er nachzieht.

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