Siegen. Es läuft auf Gefängnis hinaus im Siegener „Enrochat“-Prozess – darf der Angeklagte vor seiner Haftstrafe noch einmal zurück zu seiner Familie?
Am 8. Februar soll das Urteil im Siegener „Encrochat“-Verfahren fallen, um 14 Uhr. Bis dahin wird die Kammer über die Anträge beraten, die am Dienstag, 1. Februar, in den Schlussvorträgen gestellt wurden. Staatsanwältin Tabea Schneider fordert siebeneinhalb Jahre Haft für die umfangreichen Drogengeschäfte des Angeklagten. Die Verteidiger kommen auf sechs Jahre. Beide Seiten plädieren für einen Drogenentzug.
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2020 und 2021 kaufte der Angeklagte (28) für die bemerkenswerte Summe von 768.820 Euro Drogen in den Niederlanden. Überwiegend Marihuana. Die Staatsanwältin rechnet mehr als 100.000 Euro Gewinn dazu, zieht einige Tausender Bargeld wieder ab, die eingezogen werden sollen. Überwiegend geht sie von Beihilfe zu Handel und Einfuhr aus, dazu Besitz und auch eigenes Handeln. Aufgrund der ausgewerteten Chats sieht sie teils auch eine stärkere Einflussnahme des Siegeners; rechnet außerdem negativ an, dass er sich den Status der Beihilfe praktisch erkauft habe – weil er „hoch konspirativ“ unterwegs gewesen sei, nicht nur durch das besonders sicher verschlüsselte „Encrochat“-Mobiltelefon. Er habe eben lieber ein paar Euro mehr bezahlt und die Ware über die Grenze bringen lassen, als sich dem Risiko auszusetzen. Was für Tabea Schneider aber „ebenso verwerflich“ ist.
Anwalt: Siegener wollte Schlussstrich unter seine Drogenvergangenheit ziehen
Die Anklägerin ist nicht in allen Fällen von der Einlassung des Angeklagten überzeugt, kann ihm aber auch nicht viel mehr nachweisen. Dennoch wertet sie seine Aussagen als Teilgeständnis und betont, dass niemand die Taten kurz vor einer geplanten Legalisierung des Drogenkonsums verharmlosen solle. Diese Art Handlung bleibe strafbar.
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Das sehen die Verteidiger genauso, vieles aber auch anders. Für Andreas Trode hat sich der Mandant ausführlich mit der Vergangenheit beschäftigt und die Wahrheit auf den Tisch gelegt, um damit abzuschließen. Nach wie vor sei nicht entschieden, ob die Chatprotokolle aus dem größeren Encrochat-Komplex überhaupt rechtlich verwendbar seien. Gerade aktuell gebe es wieder neue Ansätze, die Problematik auszuhebeln. Er habe das dem Mandanten gesagt und zum Schweigen geraten, der aber wolle für sich und seine Familie einen Schlussstrich ziehen: „Er wollte keine taktischen Spielchen!“ Das Geständnis sei sehr umfassend, gewinne so weitere Dimensionen und besonderen Wert. Zwischen August und Oktober 2021 hat der junge Mann in der Haft einen Rückfall-Prophylaxe-Kurs belegt, will von den Drogen weg, neue Wege gehen.
Eltern der Freundin wollen mit Geld helfen – Verteidiger sieht keine Fluchtgefahr
Besonderen Wert legt Anwalt Trode auf das Thema Haftbefehl. Die Staatsanwältin will den Mann im Gefängnis lassen. Der Verteidiger geht von sechs Jahren aus – es gebe aber Fälle mit höherer Straferwartung, wo die Angeklagte gegen Auflagen auf freien Fuß gesetzt wurden. Der Mann habe eine Familie, einen kleinen Sohn, der deutsch spreche, seine Freunde hier habe, fest verwurzelt sei. Das wolle der Mandant auf keinen Fall aufs Spiel setzen, seinem Sohn vielmehr die Situation behutsam erklären.
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Trode bietet 10- bis 20.000 Euro an, die garantiert nicht aus Drogengeldern stamme. Vielmehr hätten sich die Eltern der Freundin, eine Handwerkerfamilie, bereiterklärt, aus ihren Ersparnissen beizusteuern. Das spreche gegen Fluchtgefahr. Zudem könne er eine neue Wohnung suchen, die derzeitige sei viel zu groß. Geld sei nicht mehr da, wenn der Staat alles einziehe.
Freundin und Schwester im Siegener Landgericht sichtlich mitgenommen
Sein Kollege Leis erinnert noch daran, dass der Mandant auf jeden Fall in die Drogenentziehung gebe, deren erfolgreiches Absolvieren eine Halbstrafe zwingend erforderlich mache. Dann blieben noch drei Jahre, minus sechs Monate Untersuchungshaft, dann stünden noch vier Monate Vorbereitungshaft und zwei Jahre in der Einrichtung bevor. Warum sollte der Angeklagte da fliehen wollen.
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Die Freundin schluchzt hörbar, die Schwester ist auch angegriffen. Der Angeklagte selbst würde gern alles rückgängig machen, entschuldigt sich und weiß, „dass meine Familie wegen mir mitbestraft ist“. Er wolle die Verantwortung für seine Taten übernehmen.