Siegen. Der prominente Verteidiger hat vor der Siegener Jugendkammer Mitleid mit dem Angeklagten: Er bietet sich seinem Mandanten als „Ersatzvater“ an.
„Mann, Mann, Mann. In welcher Welt leben wir“, schüttelt Verteidiger Dr. Ulrich Endres den Kopf. Die Aussage des Vaters seines Mandanten lasse es ihm „kalt den Rücken hinunterlaufen“, fügt er an. Später macht er in Richtung des Angeklagten ein bemerkenswertes Angebot: „Ich stelle mich ihm als Ersatzvater zur Verfügung!“ Da ist das Verfahren wegen gefährlicher Körperverletzung bereits mit einer Einstellung zu Ende gegangen.
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Es sei ein Sachverhalt, der in jeder Hinsicht aus dem Rahmen falle, sagt die Vorsitzende der Jugendkammer des Landgerichts, Sabine Metz-Horst. Der Angeklagte, ein 22-jähriger Rechtswissenschaftsstudent aus Kreuztal, hat seinem Vater ein Messer in den Rücken gestochen, als der gerade dabei war, seine durch eine Fußverletzung behinderte Ehefrau zu bedrängen und zu verprügeln. Auch der Angeklagte selbst bekam Schläge ab, wurde vor und nach dem Stich vom Vater angegangen. Bis der einen Schwindelanfall erlitt.
Spannungen zwischen den Eltern
Der Vorwurf ging zunächst Richtung „Versuchter Totschlag!". Das sei aber bereits im Vorfeld ausgeschlossen worden, ist von Pflichtverteidiger Daniel Nierenz zu erfahren, der jeden Schritt des Verfahrens mit dem bekannten Anwalt aus Frankfurt abstimmt. Dr. Endres ist allerdings klarer Wortführer der Verteidigung. Im Vorfeld der Tat am 7. April 2020 hatte es Spannungen zwischen den Eheleuten gegeben. Die Mutter war nach einer Fußverletzung nur bedingt beweglich, hatte sich mühsam durch die Hochzeit ihrer Tochter gekämpft und sei nun nicht bereit gewesen, den Vater ihres Mannes für längere Zeit zu beherbergen und zu bedienen. Der Mann habe sich jedoch durchgesetzt und zugleich versprochen, im Haushalt zu helfen. Als er das nicht tat („Ich habe etwas Salat geschnitten.“) servierte ihm die Mutter an jenem Abend keine Suppe.
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Es kam zu Streit mit der blutigen Folge. Danach habe der Angeklagte bei der Versorgung des Vaters geholfen, im Anschluss gegen den Willen der gesamten Familie Polizei und Krankenwagen gerufen. Er gab sich auch als Täter zu erkennen, obwohl die Mutter darauf bestand, sich selbst zu bezichtigen. „Er wollte nur seinen Anwalt sprechen, in meiner Person“, schiebt Dr. Ulrich Endres nach.
Vater ist spielsüchtig und verliert die Kontrolle
Der Angeklagte wohnt wieder bei den Eltern, will damit ähnliche Übergriffe des Vaters verhindern. Dabei gehe von seinem Mandanten aber garantiert nicht die Gefahr eines erneuten Übergriffes aus, versichert Dr. Endres. Der sei ein ganz harmloser junger Mann. Der Vater hat zuvor die Verantwortung komplett übernommen. „Ich war schuld, weil ich die Kontrolle verloren hatte“, sagt er im Zeugenstand. Warum, wisse er nicht, „sonst hätte ich es ja nicht gemacht“. Aber es sei immer wieder vorgekommen über die Jahre, dass er seine Frau beschimpft und geschlagen habe. Alle drei Kinder hätten sich immer schützend vor die Mutter gestellt. Er sei spielsüchtig, könne sich nicht beherrschen. Er habe sie „geklatscht, mit der Hand, mit der Faust“, und ihr auch auf den kranken Fuß getreten. Nach ein paar Tagen hat er sich selbst aus dem Krankenhaus entlassen und ist „montags wieder Arbeiten gegangen“. Das sind die Aussagen, die Dr. Endres so betroffen machen.
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Verfahren wird eingestellt
Auch Staatsanwalt Fabian Glöckner wird an dieser Stelle nachdenklich und regt die Einstellung des Verfahrens an. Unter den gehörten Umständen müsse über Notwehr nachgedacht werden. Jedenfalls halte er den Erziehungsgedanken der Jugendstrafe durch die erlittene Untersuchungshaft mehr als erfüllt.
Nachdem die Verteidigung auf eine Entschädigung für die Haft verzichtet hat, stellt die Kammer das Verfahren ein. Auf das Studium wird es keine negativen Folgen haben. Die Vorsitzende empfiehlt dem jungen Mann aber, für sich und seine Familie Hilfe zu suchen. Daraufhin macht Dr. Endres sein Angebot und fordert auch direkt den Vater zu einem Gespräch. „Draußen, auf dem Flur!“
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