Siegen. Mit um- und ausgebauten UAZ-452 „Buchanka“ geht ein Paar aus Siegen auf Weltreise, nach anderthalb Jahren Vorbereitung. Sie stranden in Thailand.
Hugo hat noch den roten Sand Malaysias in den Scharnieren. Seit ein paar Monaten ist das russische Weltreisemobil wieder in Siegen. Rada Sereseanu und Henning Oelmann waren von Siegen aufgebrochen, mit Hugo (siehe Infobox) um die Welt zu reisen. In Thailand erwischte sie die Corona-Krise, sie mussten abbrechen. Die Geschichte eines Autos und zweier Siegener, die wirklich was erlebt haben.
Die Idee für eine Weltreise nach Südostasien von Siegen aus
22 Jahre hatte Henning Oelmann als Koch gearbeitet. „300 Stunden im Monat – ich musste raus“, sagt der 40-Jährige. Seiner Freundin Rada Sereseanu ging es genauso. Ins Auto steigen und losfahren, gucken, wie weit sie kommen. Ziel: Von Siegen nach Singapur.
„Wir haben massiv gespart“, sagt Oelmann – sie kündigten die Wohnung, zogen in eine WG, ernährten sich von Dosenbier und Toast, bis das Budget für anderthalb Jahre reichen würde: 50 Euro am Tag für Benzin, Visa, Essen, Reparaturen, alles. Sie mussten sich damit auseinandersetzen, was es mit ihnen und ihrer Beziehung macht, so lange auf wenigen Quadratmetern zusammenzuleben. Und wenn sie als Paar scheitern.
Der Buchanka: Der Bulli der russischen Weiten – extrem einfach und robust
Der UAZ-452 wird in Russland „Buchanka“ genannt, was so viel heißt wie „Kastenbrot“ – die Ähnlichkeit ist durchaus gegeben. Seit 1965 wird der Kleintransporter unverändert in Uljanowsk gebaut. „Hugo“, der UAZ-452 von Rada Sereseanu und Henning Oelmann, hat allerdings einen moderneren Motor, der die Euro-6-Norm erfüllt. Konstruiert wurde der Wagen als „Alltagsfahrzeug“ für Gegenden wie Sibirien oder die Mongolei – dort gibt es nur sehr wenig Straßeninfrastruktur, der Auftrag war damals, einen geländegängigen Personentransporter für schweres Gelände zu bauen, erklärt Oelmann. Weil es in diesen Gegenden, wo der Buchanka bis heute im Einsatz ist, sehr kalt wird, wird ein Wolgamotor (Benziner) eingebaut – Diesel würde einfrieren. Der UAZ-452 hat für Zündung und Türen verschiedene Schlüssel – wer den Wagen in Sibirien abstellt, lässt den Motor laufen. Dort wird es so kalt, dass man ihn kaum wieder ans Laufen bekäme.
Die Technik ist unverwüstlich. Das Getriebe voller Späne – „die Russen würden sagen, es ist gerade eingefahren“, lacht Henning Oelmann über die „russian tolerance“. Alles ist so einfach und robust wie möglich, auch wer keine Ahnung vom Schrauben hat, kann reparieren – für die beiden Siegener auf Weltreise enorm wichtig – wer mitten im Nirgendwo liegenbleibt, kann im Zweifel keine Hilfe holen.Die Wat-Tiefe des Buchanka beträgt einen halben Meter, der Böschungswinkel 30 Grad – Werte eines Landrover Defender, eine Instanz des Offroadfahrens. Dazu kommen Starrachsen, Blattfedern Spurverbreiterung und große Spezialreifen bei kurzem Radstand. Mit 70 Litern im Tank schafft der UAZ-452 450 Kilometer bei 80 Stundenkilometern im fünften Gang, bei elf Litern Verbrauch – als Idealwerte. Vollbeladen und mit Allrad sind es schnell 25 Liter.
Die Vorbereitung bis der Buchanka weltreisetauglich ist
Der Traum von der Weltreise brauchte anderthalb Jahre Planung. Zuerst das Fahrzeug: Weltreisetauglich bei begrenztem Budget. Die üblichen geländegängigen Camper viel zu teuer. Sie stießen irgendwann auf den UAZ-452 , einfach und robust, ein Neuwagen mit Garantie – bezahlbar. „Eine gute Basis“, sagt Oelmann. Es brauchte: Dachgepäckträger, Innenausbau. Stoßstange mit Winde – bei Unfällen hat der UAZ-452 keine Knautschzone, die Beine des Fahrers sind direkt hinterm Blech. Sie müssen schlafen, essen, wohnen, auf jede Eventualität vorbereitet sein: Was passiert, wenn mitten im Nirgendwo etwas kaputt geht? Tanks für 60 Liter Trinkwasser, 65-Liter-Kühlschrank, 300 Watt Solaranlage, die auch bei schlechtem Wetter Strom für alle Verbraucher liefert, zentnerschwere Zusatzbatterien, ein Wasserfilter, der sogar Viren herausfiltert. „Besser als die US-Armee“, grinst Oelmann. „Wir sind autark, abgesehen von Benzin und Essen.“
Proviant: Konserven, Trockenfutter, Nudeln, Reis, alles endlos lagerbar. Winterklamotten für den Himalaya, ein Luftkompressor für platte Reifen, ein Klappstuhl mit Klobrille als Not-Toilette. Wagenheber, Klappspaten, sechs USB-Anschlüsse innen, Ventilatoren für schwülwarme Nächte. „Wir haben ein Jahr lang Youtubevideos geguckt, ein einziges Studium“, sagt Oelmann. Erfahrung hatten sie keine. Jetzt können sie mit Hugo in der Wildnis überleben.
Die Reise: Der UAZ-452 kommt erstmal zu spät in Siegen an
Los ging es mit Verzug: Der UAZ-452 „Buchanka“ kam drei Monate zu spät. Zeit, die für Aus- und Umbauten fehlte. Sie wollten die Südroute fahren: Landweg bis Iran, verschiffen nach Dubai, weiter nach Indien und Südostasien. Die Nordroute – Russland, Mongolei, China – hätte in den sibirischen Winter geführt. Im Eilverfahren schraubten und schreinerten Sereseanu und Oelmann sechs Wochen, was zu machen war – und mussten umschwenken auf Plan B: Das Auto nach Asien verschiffen lassen, hinfliegen und zurückfahren. Trotzdem wenig Zeit. Der Container war gebucht, Wohnung und Jobs gekündigt, es gab kein Zurück mehr. Das Auto landete im September 2019 in Malaysia, Sereseanu und Oelmann in Singapur. Per Nachtbus reisten sie zum Containerhafen, mussten Hugo erst noch fertigbauen, jemanden finden zum Dachgepäckträger schweißen, die Bordelektrik zu Ende verlegen.
Und dann ging es endlich los. Von Malaysia nach Thailand, Kambodscha, Süd- und Nordvietnam, zurück nach Thailand, um über Myanmar Nepal, Tibet, China, die Mongolei zu bereisen. Die Blattfedern verbogen sich auf einer Seite und sie klemmten Klötze zwischen Achse und Federn, der undichte Tank wurde mit Harz ausgegossen, der geplatzte Servo-Schlauch mit der Leitung eines japanischen Trucks geflickt. „Wir konnten manchmal nur im ersten Gang die Berge hoch“, erzählt Oelmann. 25.000 Kilometer fuhren sie in acht Monaten. Hugo ist ein Geländemonster, kommt fast überall durch.
Der Abbruch: An der Grenze Thailand-Malaysia ist für die beiden Siegener Schluss
Dann schlug Corona zu. „Wir waren die ersten, vor denen die Grenze zuging“, erzählt Henning Oelmann. Verfahrene Lage: Für jedes Land hatten sie Visa beantragt, die nur begrenzt gelten, dann muss man wieder weg sein. Sie verlängerten die Visa für Thailand, „in Europa explodierten die Infektionszahlen, in Südostasien war es zu dieser Zeit noch vergleichsweise ruhig“, erinnert sich Oelmann. Sie wollten in Thailand ausharren, aber das Auswärtige Amt appellierte, sofort zurückzukehren. Es gab noch Flüge, aber keine Rückholaktion. Was tun mit Hugo?
Und dann gingen die Coronazahlen auch in Thailand hoch, vor allem in Bangkok. Die Stadt drohte, geschlossen zu werden. „Wir mussten von der Grenze zu Myanmar nach Bangkok fahren und da jemanden finden, der das Auto nach Europa verschifft.“ In einer Nacht brausten die beiden hin, machten Hugo am Hafen verschiffungsfähig, bevor Bangkok dicht gemacht wurde. „Wir haben das alles geschafft und das Auto bei einer Firma abgegeben – aber ohne irgendwas Schriftliches“, berichtet Oelmann. Sie mieteten ein Apartment, lebten aus dem Rucksack in der Hoffnung, irgendwie das Land verlassen zu können – Flüge sollten tausende Euro kosten. Geld, das sie nicht hatten. Und es war alles andere als sicher, dass die Flieger abheben. Bevor die verlängerten Visa erneut abgelaufen wären, gab es doch eine Rückholaktion. Heim nach Deutschland.
Zurück in Siegen haben die Weltreisenden erst einmal nichts mehr
Wieder in Siegen hatten die beiden nichts mehr, keine Wohnung, keinen Job, mitten im Lockdown. „Wir verbrachten die Quarantäne nach der Wiedereinreise bei meinen Eltern in der Einliegerwohnung“, erzählt Oelmann, ein Freund gewährte den beiden danach Asyl in seiner WG. Geplant war die Weltreise bis April 2021. Andere Weltreisende ließen ihr Auto in Asien, andere versuchten dazubleiben, „letztlich haben aber wohl alle abgebrochen“, vermutet Oelmann. „Es war die richtige Entscheidung, sofort zu reagieren und das Auto mitzunehmen.“
Aber es schmerzt auch. Sie hatten gerade Routine in diesem freien, unsicheren, gefährlichen Leben. „Es fühlte sich für uns noch nicht fertig an“, sagt Oelmann. Es dauert Monate, sich an dieses Vagabundenleben zu gewöhnen, den Stress und die Angst zu vergessen und zu wissen: Wir kommen klar, ob wir nun rechts oder links fahren. Sie waren angekommen in der großen Freiheit. Das kann ihnen niemand mehr nehmen. Sie arbeiten sich zurück ins bürgerliche Dasein, haben wieder Jobs, ziehen bald in eine neue Wohnung. Und Hugo ist noch da. Sie können ihn beladen und sofort losfahren, egal wohin. Sie wissen, dass sie klarkommen werden.
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