Hilchenbach. Diethard Altrogge verabschiedet sich nach 32 Jahren als Hilchenbacher Forstamtsleiter in den Ruhestand. Ein Spaziergang zu zwei besonderen Orten.

Sein Lieblingswald liegt ein wenig abseits von dem breiten Forstweg, der von der Eisenstraße abzweigt und zur Ederquelle führt. Unscheinbar. Bis Diethard Altrogge zu erzählen beginnt. Wie sie die Parzelle eingezäunt und der Natur überlassen haben. Wie sich zwischen den Fichten zwölf Baumarten ansiedeln konnten. Wie der Förster mit dem Wald spricht, „im übertragenen Sinn“. Wie die Douglasie da vorn einen Lichtschacht entdeckt hat und nach oben schießt. Wie die Tanne da hinten, die kein Licht sieht, stockt und ihre Kraft in die Wurzeln treibt. Die Vögel singen, die Insekten summen.

Hilchenbacher Waldluft

Der Hilchenbacher Forstamtsleiter hat es nicht so mit dem Romantischen. „Natur“, sagt er, „das ist knallharter Existenzkampf.“ Auch da, wo sie nur duftet. Die 5000 Duftstoffe, die aus den Spaltöffnungen der Nadeln kommen, reagieren auf Insekten, signalisieren Durst – „Trocknis“, sagt der Förster. Und, auch das weiß man, sie produzieren Killerviren, beim Menschen gegen Krebs. Deshalb ist es gut, Waldluft einzuatmen. Auch deshalb. Rehe können hier kaum noch Schaden anrichten. Sie kommen kaum noch durch. Und wenn schon: Bis zu 42.000 Bäume wachsen hier auf einem Hektar, in einem gepflanzten Wald wären es höchstens 5000. Die Zäune sind längst weg.

Waldberuf

Diethard Altrogge hört auf. Ende April geht er in Pension. 43 Jahre wird er dann für die Landesforstverwaltung gearbeitet haben, davon allein 32 Jahre in Hilchenbach als Forstamtsleiter. Rekordverdächtig und nur erreicht durch hinhaltenden Widerstand gegen waldferne Beförderungen nach Münster oder Düsseldorf – er blieb mit Frau, Sohn und beiden Töchtern im Fischelbacher Forsthaus.

Dabei sah es für den Spross einer Försterfamilie aus dem Weserbergland am Anfang gar nicht danach aus, dass er einmal in Siegen-Wittgenstein Wurzeln schlagen würde. Er erinnert sich an das Ende seines Praktikums als Revierförster auf Hohenroth. Nichts als Schnee von Oktober bis Mai. „Hier komme ich nie wieder hin“, habe er seinem Chef Hans-Joachim Meyer gesagt. Zehn Jahre später, 1987, wurde er sein Nachfolger. „Ein Riesenglücksfall“, sagt er: ein ungeheurer Waldreichtum,  die Heimat von Uhu und Schwarzstorch, Sperlingskauz und Wildkatze, lauter junge Förster – dann der Hauberg und die spannende Zusammenarbeit mit den Waldvorstehern der 220 Genossenschaften mit insgesamt rund 17.000 Waldbesitzern und als Kontrast den so ganz anderen fürstlichen Fichtenwald in Wittgenstein.

Waldkultur

Seine Abschiedsfeier im Gebrüder-Busch-Theater hat er wegen Corona abgesagt. „Was hab ich’s hier eigentlich gut“, überlegt er, „wir kriegen das hier kaum mit, und unsere Jobs bleiben auch erhalten.“ Doch Diethard Altrogge ist nun einmal auch Stadtmensch: Münster mag er, die Entwicklung von Siegen findet er spannend, und bei Kultur Pur hat er auch schon einmal vor größtem Publikum gezeigt, was Natur und Kultur verbindet, als er ein Konzert der Philharmonie mit Worten begleitet hat. Nein, die Welt hört nicht jenseits des Waldrands auf. „Der Käfer ist nicht böse, er räumt nur auf“, kommentiert Altrogge das Desaster der letzten beiden Jahre.  Und jetzt, das Virus? „Die Globalisierung hält uns den Spiegel vor.“

Waldpolitik

Beliebt gemacht hat er sich bei seinem Einstieg nicht. „Ich war 32 und völlig unbedarft.“ Aber überzeugt davon, dass Quellen nicht eingemauert und Wassergräben nicht verrohrt gehören. An der Ederquelle, im Staatswald, ließ er den Bagger zuerst anrücken. „Man wollte mich des Landes verweisen.“ An die Siegquelle wagte er sich erst Jahrzehnte später, danach an die Lahnquelle, die es vorher gar nicht gab.

Dazwischen, mit rund 80 Mitarbeitern, 22 privaten und drei staatlichen Forstrevieren? Jede Menge Naturschutz, am Ende das erste Wildnisgebiet. Dann die Arbeit für die Genossenschaften, die – so glaubt Altrogge – auch weitergehen wird, wenn der Landesbetrieb mit neuer privater Konkurrenz in Wettbewerb treten muss: „Wenn wir nicht so gut gewesen wären, wären die längst nicht mehr bei uns.“

Schließlich die Waldpädagogik – in Altrogges Amtszeit kam zum Jugendwaldheim auf dem Giller das Waldland Hohenroth dazu, nicht nur als Veranstaltungs- und Ausstellungsort, sondern mit der Werkstatt auch als winterfester Arbeitsplatz, sodass Waldarbeiter nicht mehr auf „Stempelgeld“ vom Arbeitsamt angewiesen sind, wenn das Wetter ihnen das Arbeiten im Freien unmöglich macht. Hohenroth, getragen von einem Verein, ist so ein Thema, für das Pensionär Altrogge sich weiter engagiert. Führungen durch den Wald, sagt er, „machen mir einen Riesenspaß.“

Waldkatastrophen

Die Natur ist nicht romantisch. Waldsterben? Der Begriff war zu Beginn der 1980er Jahre prominent, heute ist er fast vergessen. Der Kampf gegen das Waldsterben war der Beginn von Umweltpolitik, erinnert Diethard Altrogge. Den Bäumen geht es heute aus anderen Gründen schlecht. Sauren Regen gibt es nicht mehr, „die Böden haben sich deutlich verbessert“. Die Stürme: Da waren Vivian und Wiebke 1990, Lothar 1999, vor allem aber Kyrill 2007, der die Waldbauern zum Umdenken brachte: Die Hälfte hat danach nicht mehr mit Fichte allein aufgeforstet, „das hätte ich nie erwartet.“ Und jetzt noch, nach den Dürresommern, das Massensterben der Bäume. „Borkenkäferkalamität“ sagen die Förster dazu.

Waldidyll

Noch ein Abstecher von der Eisenstraße. Ein schmales Waldstück. Dann eine große Wiese, die jetzt, im zeitigen Frühjahr, noch nicht grün ist. Und Teiche, gefüllt mit klarem Wasser. Anfang der 1990er Jahre standen hier noch vom Wild angefressene Fichten. Die wurden gefällt. Und dann haben Pioniere der Bundeswehr aus Erndtebrück gesprengt. 25 Teiche, in deren klarem Wasser und an deren Ufern Lebensraum entstanden ist. Durch die Explosion wurde der Boden sofort verdichtet, die kleinen Seen halten das Wasser.

„Im Frühjahr ist das eine Zauberwelt mit Kröten, Libellen und Fröschen“, erzählt Diethard ­Altrogge, „der Schwarzstorch ist hier, und auch das Wild fühlt sich pudelwohl.“ Zu besichtigen an den verbissenen Birken und Öhrchenweiden. „Seenplatte“ sagen sie heute zu dem etwa vier Hektar großen Staatswaldgebiet. Der einst entwässerte und dann mit Fichten bepflanzte Boden verwandelt sich zurück in ein Moor, in dem Pflanzen zu Torf abgebaut, Wasser gespeichert und CO2 gebunden wird. Auch hier, im FFH-Schutzgebiet, gibt es keinen Zaun und kein Schild, das auf das Betretungsverbot hinweist. Hier kommt so gut wie niemand hin. Niemand, der stört.

Laila war so nett: Die Labradorhündin, die Diethard Altrogge begleitet, ist für ein ganz kurzes Bad ins kalte Wasser gegangen. Sie läuft nicht mehr hinter jedem Stock her, den man ihr hinhält. Das Leben mit dem Förster scheint unaufgeregt zu machen. Was sind schon 43 Jahre im Wald? „Ein Wimpernschlag“, sagt Altrogge. Für den Wald.


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