Hilchenbach. Die Hilchenbacherin Andrea Solms kehrt Pandemie und Beruf den Rücken – und verfasst Verse und Storys.

Andrea Solms erinnert sich. An den Abend, an dem sie die letzte Fähre nach Spiekeroog erwischte. „Dem Lockdown entfliehen, wo immer es geht.“ Als sie ankam auf der ostfriesischen Insel, wo sie in einer winzigen Ferienwohnung Quartier beziehen wollte. Alles war schon zu, bis auf die eine, kleine Kneipe. „Ich habe schon an der Theke angefangen zu schreiben.“ Genau 50 Zeilen, manche nur ein Wort kurz, manche bis zu fünf Wörter lang. „Die letzte Fähre“ nennt sie ihr Gedicht aus einer „Corona-Reise-Sonntagnacht“.

Ihren Gedichten, Songtexten, Erzählungen ist anzusehen, wann sie entstanden sind: Das ist kein Zufall. Bevor die Pandemie kam, hat die Hilchenbacherin etwas anderes gemacht und als Trainerin für Stress- und Zeitmanagement, für Burnout-Prävention, Achtsamkeits- und Entspannungsmethoden sowie Kommunikation gearbeitet. „Mit dem Beginn von Corona hatte ich alle meine Aufträge verloren.“ Also entschied sie sich bewusst, sich wieder auf das Schreiben zu konzentrieren. Das lag nahe, denn bevor sie mit den Trainings um 2008 begann, hat sie als Reporterin fürs Radio gearbeitet und war als Dozentin für Journalismus an der Uni tätig.

Gedrucktes aus früherer Zeit

Jetzt also wieder schreiben: Es gibt schon, aus früherer Zeit, außer mehreren gedruckten Ratgebern zu lernpsychologischen Themen für Kinder und Jugendliche sowie Ratgebern für Lehrer zu den Themen Stressmanagement und Entspannungstraining, zwei Jugendbücher von Andrea Solms. Eins über Liebe und Leid, und einen Inselkrimi, beide spielen auf Spiekeroog – so schließt sich ein Kreis. Ein neues Buch, verrät sie, ist im Rechner schon abgespeichert. „Darüber möchte ich noch nichts sagen.“

Rote Stiefel

„Ich habe mir/ rote Stiefel bestellt/und /statt sie zu tragen/in einen Schrank gestellt/mit Gitter/dann nahm ich etwas/goldenen Glitter/und habe mir vorgestellt/ganz cool zu dir zu sagen lass uns heut Abend tanzen gehen/mein Ritter/betrübt/da das zu CovidZeiten/nicht so gut funktioniert/habe ich sie abfotografiert/und sofort digitalisiert...“ „Manchmal entstehen die Gedichte aus Situationen, die ich auch fotografiere“, erzählt Andrea Solms. Und so gibt es ihn tatsächlich, einen roten Stiefel, der das einzige Objekt in dem Schrank mit der Glastür ist. Abgesehen von zwei leeren Kleiderbügeln. Und zwei geschlossenen Schubladen.

Dann also die kleinen Formen: in vielen Versen die Geschichte von den roten Stiefeln, die bestellt und in den Schrank gestellt werden – das Abenteuer mit ihnen muss geträumt werden, wegen Covid. Der Shutdown Blues, den sich Andrea Solms auch gut vertont vorstellen kann, über einen Herbsttag und (Ab-)Reisende mit Masken. „Melancholisch, nachdenklich“ nennt die Autorin solche Zeilen. Dass sie darin Sisyphus mit einem Rider On A Storm vergleicht, liegt nahe: Schließlich hat sie ihr Philosophiestudium mit einer Arbeit über den antiken Helden abgeschlossen – der, der den Felsbrocken den Berg hinaufschiebt, dem der Brocken kurz vor dem Ziel immer wieder entgleitet, der immer wieder neu ansetzt… Eine traurige Gestalt? „Nicht, wenn man das Absurde akzeptiert“, sagt Andrea Solms. Was manchmal allerdings sehr schwer falle.

Hilchenbach – oder nicht Hilchenbach?

In ihren neuen Texten geht Andrea Solms den Dingen auf den Grund. Schmerz und Leid ebenso wie Liebe und Leidenschaft. Und dazu einladen, sich selbst wiederzufinden. Was durchaus nicht schwer fällt, wie zum Beispiel in „Die Entscheidung“, einer Kurzgeschichte, in der die Erzählerin – „Ich“ könnte natürlich auch ein Erzähler sein – darüber nachdenkt, ob sie rechtzeitig zum Wieder-mal-Lockdown aus dem Exil im Nachbarland nach Hause fahren soll. Wo es auf dem Klo beim Supermarktbäcker keine Handtücher gibt, wo das einzige Café nur noch Klopapier-Lagerraum ist, wo sich die Trinker aus dem Ort am Altkleidercontainer versammeln, wo das Schokocroissant nicht schmeckt.

Man mag in dieser bildreichen Skizze Hilchenbach wiedererkennen oder nicht – „es geht um das Leben an sich“, sagt Andrea Solms. Und darüber darf man durchaus mal lachen, so ernst die Lage auch sein mag. Da spricht der Coach aus dem Berufsleben davor. Irgendwie hängt eben doch alles zusammen.

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