Burbach/Siegen. Automatisiertes System bestellt Installationsklemmen von selbst nach. Angeklagter nutzt das aus. „Exorbitanter Schaden“ vor Siegener Gericht.
Der Angeklagte hat „Wago“-Klemmen bei seinem Arbeitgeber geklaut, reichlich. Insgesamt 10.278 der zigarettenschachtelgroßen Installationsklemmen brachte er laut Anklage zwischen Januar 2017 und April 2018 an sich, verkaufte sie zum Teil auf Ebay. Dafür hat er am Dienstag im Siegener Schöffengericht zwei Jahre Haft bekommen, die allerdings zur Bewährung ausgesetzt wurden.
+++Mehr Nachrichten aus Siegen und dem Siegerland finden Sie hier!+++
„Mir tut alles sehr leid. Und ich will es nie wieder tun“, bekräftigt der 33-Jährige aus dem Westerwald im letzten Wort. Immer wieder schluchzt er. Jahrelang hatte er für ein Burbacher Unternehmen gearbeitet und dort eine Lücke im Sicherheitssystem ausgenutzt. Er habe an Spielsucht gelitten, monatlich immer höhere vier- bis fünfstellige Summen auf Plattformen für Sportwetten gesetzt. Und meistens verloren: „Es ging für mich nur noch darum, wo ich wieder Geld herbekam.“
Staatsanwalt: Solche Schadenshöhen kommen in Siegen nur selten vor
Anfangs sei es noch mit eigenen Mitteln gegangen, irgendwann nicht mehr. Da kamen ihm die Installationsklemmen gerade recht, die im Lager des Unternehmens aus dem normalen System ausgegliedert waren und vom Lieferanten automatisch nachgeschickt wurden, sobald eine Kiste leer war. Was dazu führte, dass „der 10- bis 15-fache Jahresverbrauch in einem Monat anfiel“, rechnet Staatsanwalt Waldemar Gomer vor, der immer wieder von exorbitanten Schadenshöhen spricht, die in Siegen nicht alltäglich seien, „selbst in einem Jahr nur selten vorkommen“.
+++Lesen Sie auch: Unappetitliche Szenen eines Erbstreits vor Gericht+++
Rund 795.000 Euro stehen in der Anklage – der Mindestbetrag, „zugunsten des Angeklagten“. Der habe einen „wilden Ritt auf der Rasierklinge“ vollführt. Am 24. April 2018 wurde die Garage des Angeklagten durchsucht und Teile im Wert von rund 16.000 Euro sichergestellt. Weiteres Material konnte bei zwei größeren Abnehmern gefunden und zurückgeführt werden. Der Firma fiel der Verlust erst auf, als ein Teil gestohlen wurde, dass nicht in das automatisierte System gehörte. Ansonsten hätte das noch eine Weile weitergehen können, sagt ein Mitarbeiter im Zeugenstand. Inzwischen werde sorgfältiger überwacht.
Angeklagter vor Amtsgericht Siegen: Habe meine Familie „tief enttäuscht“
Der Angeklagte hat mittlerweile 370.000 Euro an Schadenswiedergutmachung geleistet, damit eine Klage vor dem Arbeitsgericht vermieden. Die ging Richtung 650.000 Euro. Das Geld stamme von seiner Familie, die er tief enttäuscht habe, sagt der Mann, der davon ausgeht, die nächsten Jahrzehnte abzahlen zu müssen.
+++Mehr aus dem Siegener Gericht: Das große Schweigen: Mann als Dealer angeklagt+++
Er und sein Anwalt verweisen darauf, dass er schon bei der Durchsuchung alles gestanden, er sich beim Arbeitgeber entschuldigt habe. „Ich war froh, dass es vorbei war. Allein hätte ich es nie geschafft“, sagt der Mann, der sofort eine Therapie suchte und auch über Monate daran teilnahm. Immerhin seien seither auch seine zwei Kinder geboren, „das Beste, was passiert ist“, presst er mit brechender Stimme heraus.
Um ein Haar hätte der Angeklagte in Untersuchungshaft gemusst
Der Angeklagte ist nicht vorbestraft, seither nicht wieder aufgefallen. Der Staatsanwalt findet im Nachhinein das erste Geständnis eher lückenhaft, er habe sehr viel Arbeit mit dem Fall und der weiteren Aufklärung gehabt. „Kann es sein, dass Sie völlig den Überblick verloren hatten?“, fragt er. Der Angeklagte bestätigt, alles gestanden zu haben, was ihm damals bewusst gewesen sei.
+++Die Lokalredaktion Siegen ist auch bei Facebook!+++
Gomer beantragt zwei Jahre auf Bewährung und eine Geldbuße. Der Verteidiger möchte eher keine weitere Geldzahlung – möglicherweise kämen noch Forderungen der Abnehmer. Das Schöffengericht entscheidet dennoch auf Zahlung von 2000 Euro an den Verein VAKS, in monatlichen Raten von 100 Euro. Das überfordere den Mann nicht, findet Amtsrichter Matthias Witte, der das Ausmaß der Summe und der Störung des Vertrauensverhältnisses durch den Angeklagten noch einmal deutlich macht. Im Ermittlungsverfahren sei er nur ganz knapp an einer Untersuchungshaft vorbeigeschrammt. Allein sein vernünftiges und reuiges Verhalten sowie seine erneut gesicherte soziale Stellung hätten für ihn gesprochen.