Siegen-Wittgenstein. Grippeschutzimpfung ist jetzt für alle gut, sagt Dr. Christoph Grabe, Leiter des Gesundheitsamtes Siegen-Wittgenstein, im Interview

Dr. Christoph Grabe, Leiter des Gesundheitsamtes des Kreises Siegen-Wittgenstein, rät zur Grippeschutz-Impfung für alle, gerade auch für Kinder.

Wie schätzen Sie die Corona-Lage aktuell in Siegen-Wittgenstein ein?


Christoph Grabe: Nachdem wir direkt nach den Sommerferien stark steigende Infektionszahlen hatten, flacht die Kurve im Moment wieder ab. Die Reiserückkehrer sind zum großen Teil zurück. Bis zu den Herbstferien wird dieses Thema nicht mehr eine ganz so zentrale Rolle spielen. Dafür müssen wir jetzt beobachten, welche Auswirkungen der Regelbetrieb in den Kindertagesstätten und den Schulen und der Wegfall der Maskenpflicht für Schülerinnen und Schüler im Unterricht ab den Klassen 5 haben.


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Welche Strategie verfolgt das Kreisgesundheitsamt, um eine Verbreitung des Coronavirus nach Möglichkeit einzudämmen?

Unser Ziel ist es, so schnell wie möglich Kontaktpersonen von Infizierten ausfindig zu machen und diese zu Hause zu isolieren. Nur so lassen sich Infektionsketten unterbrechen und weitere Ansteckungen verhindern. Durch rasches routinemäßiges Testen dieser Kontaktpersonen können wir von diesen ausgehende Folgeinfektionen vermeiden.

Ist es richtig, dass es wieder länger dauert, bis Testergebnisse vorliegen?

Ja, das ist leider so. Dadurch, dass insgesamt immer mehr getestet wird, sind die Labore stark ausgelastet. Leider dauert es inzwischen oft schon wieder mehrere Tage, bis wir Testergebnisse erhalten. Bei einzelnen Personen, die an der Grenze bei Passau getestet wurden, haben wir bis zu 14 Tagen auf die Ergebnisse warten müssen. Die Laborärzte fordern schon eine Änderung der nationalen Teststrategie, da ihre Labore bereits am Limit arbeiten und inzwischen sogar die Verbrauchsmaterialien für die Testungen ausgehen. Dies betrifft das ganze Bundesgebiet.

Ist für Sie jede Kontaktperson wie die andere? Können Sie quasi nach „Schema F“ vorgehen?

Nein, das geht nicht. Wir müssen uns wirklich jeden Fall und seine Umstände ganz genau anschauen. Wie eng und intensiv und in welchem Umfeld war der Kontakt? Wir wollen alles tun, um die Ausbreitung des Virus zu vermeiden, aber wir wollen die Menschen natürlich auch nicht mehr einschränken als unbedingt erforderlich. Wenn ein Infizierter zum Beispiel eine Gemeinschaftseinrichtung besucht, muss er sofort in Quarantäne und wir ermitteln, teilweise auch vor Ort, wer einen engen Kontakt zu der Person hatte. In diese Einschätzung fließen die Gegebenheiten vor Ort, wie zum Beispiel Sitzabstände, und natürlich der persönliche Schutz – Mund-Nasen-Schutz, Hygiene – mit ein.

Auch bei uns in Siegen-Wittgenstein gab es zuletzt immer nur noch ein oder zwei Patienten, die aufgrund einer Coronainfektion im Krankenhaus behandelt werden mussten. Ist das Virus weniger gefährlich geworden, wie manche behaupten?

Natürlich ist es so, dass auch Viren sich verändern, mutieren. Virologen sehen aber nicht, dass sich das Virus zwischen März und heute entscheidend verändert hätte. Dies ist in der Regel ein Vorgang, der länger dauert.

Woran liegt es dann, dass es jetzt weniger schwere Krankheitsverläufe gibt?

Ein Grund ist sicher, dass das Durchschnittsalter der Menschen mit einem positivem Testergebnis derzeit im Bundesdurchschnitt bei etwa 32 Jahren liegt, während es Mitte April zurzeit des Lockdowns noch bei rund 50 Jahren lag. Vor allem der Anteil der 10- bis 30-Jährigen an den SARS-CoV-2-Infizierten hat durch den Regelbetrieb in den Schulen zuletzt deutlich zugenommen. Und je jünger die infizierten Personen sind, umso leichter sind in der Regel die Verläufe. Hinzu kommt, dass ältere Menschen vermutlich nach wie vor – begründet – sehr vorsichtig sind, weil sie wissen, wie gefährlich ihnen das Virus werden kann. Auch sind die Behandlungsmöglichkeiten besser geworden. So werden aktuell antivirale Medikamente wie Remdesivir früher eingesetzt.

Gibt es auch einen Zusammenhang zwischen der steigenden Zahl von Tests und prozentual weniger schwer Erkrankten?

Ja, auch den gibt es. Die Gesamtzahl der Tests steigt kontinuierlich. Wir testen mehr und finden dabei auch mehr asymptomatische Personen ganz ohne Beschwerden. Die müssen dann auch nicht im Krankenhaus behandelt werden. Auf der anderen Seite ist der Anteil positiver Tests seit Anfang April – bei deutlich erhöhter Anzahl von Testungen – von rund acht Prozent auf unter ein Prozent gesunken.

Nun steht uns der Herbst bevor – mit der „normalen“ Grippe. Und viele warnen vor einer zweiten Corona-Welle. Ist unser Gesundheitssystem darauf vorbereitet?

Wir stehen ohne Zweifel jetzt besser da als im März. Die intensivmedizinischen Kapazitäten wurden ausgebaut und wir haben mehr Erfahrungen bei der Diagnostik und Therapie der Erkrankung. Wir in Siegen-Wittgenstein könnten in einer außergewöhnlichen Situation auf die Celenus-Klinik in Hilchenbach als Ausweichkrankenhaus zurückgreifen. Mittlerweile gibt es auch ausreichend Schutzkleidung und Desinfektionsmittel – das ist zumindest unsere Erfahrung. Ich sehe zurzeit nicht, dass wir an unsere Kapazitätsgrenzen kommen.

Wieso begünstigen die vor uns liegenden Jahreszeiten die Ausbreitung des Coronavirus?

Das liegt vor allem daran, dass wir uns wieder mehr in geschlossenen Räumen aufhalten. Zum einen ist hier der Kontakt zwischen den Personen wieder enger, zum anderen ist grundsätzlich das Infektionsrisiko im Freien wesentlich geringer, da es sofort zur Verdünnung von Krankheitserregern in der freien Luft kommt.

Was empfehlen Sie für die nächsten Wochen?

Erstens: Auf jeden Fall eine Grippeschutzimpfung – und zwar nicht nur, wie in jedem Jahr, für Risikopatienten, sondern für die breite Bevölkerung. Gerade auch Kinder sollten geimpft werden.

Und zweitens?

... gilt das was in den letzten Monaten schon immer galt: Abstand halten, wo das nicht möglich oder ohnehin verpflichtend ist, Mund-Nase-Schutz tragen und auf jeden Fall Hygieneregeln beachten.


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