Netphen. Die Uni Siegen und die Stadt Netphen entwickeln gemeinsam ein Online-Portal, das alle Informationen rund um das Thema Pflege bündeln soll.

„Warum in die Ferne schweifen, wenn das Gute liegt so nah“, fragt Bürgermeister Paul Wagener in Anlehnung an Johann Wolfgang von Goethe bei der Vorstellung des Projekts „Lokal-digital – Heimat 2.0“, das die Stadt Netphen in Kooperation mit der Universität Siegen durchführt. Aus Netphen, so die Zielsetzung, soll niemand mehr fortgehen müssen, zumindest nicht weil es an digitaler Infrastruktur mangelt. Ganz im Gegenteil: Die Stadt soll bei der Digitalisierung ein Vorbild für andere Kommunen werden.

Mit Lokal-digital haben sich die Stadt Netphen und die Uni Siegen erfolgreich bei der Förderinitiative Heimat 2.0 beworben. Damit sollen Projekte unterstützt werden, die mithilfe von digitalen Lösungen in strukturschwachen ländlichen Räumen die Daseinsvorsorge sichern und die Lebensqualität verbessern. Von rund 100 ländlich geprägten Kommunen, die sich um die Förderung beworben haben, wurde Netphen als eine von zwölf ausgewählt. Die Idee ist, die Digitalisierung auf lokaler Ebene anzustoßen, erläutert Johannes Zenkert, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl Wissensbasierte Systeme und Wissensmanagement der Uni Siegen. „Das passt momentan sehr gut in die bundesweit einsetzende Bewegung“, so Zenkert, insbesondere in Anbetracht der Coronakrise.

Alle Akteure aus Netphen sollen miteinbezogen werden

Konkret geht es in Netphen um das Thema selbstbestimmtes Leben für Senioren und Menschen mit Behinderung. Insbesondere die Gestaltung der eigenen vier Wände steht im Fokus. Die Uni möchte für die Stadt Netphen eine Wissensdatenbank aufbauen, die alle notwendigen Informationen und Ansprechpartner für die Betroffenen und ihre Angehörigen bündelt. Dazu sollen Pflegeeinrichtungen und deren Angestellte sowie auch Firmen und Handwerker von Anfang an mit einbezogen werden. „Wir wollen bestehende Strukturen ergänzen und nicht ersetzen“, unterstreicht Zenkert in diesem Zusammenhang,. niemand müsse sich Sorgen um seinen Arbeitsplatz machen.

Bürgermeister Paul Wagener erklärt das Konzept mit einem Beispiel: Ein Mann bekommt unerwartet einen Schlaganfall und kann sein Badezimmer nicht mehr wie gewohnt nutzen, die Angehörigen sind mit der Pflege überfordert und können sich um den Umbau nicht kümmern. Die Datenbank soll in einem solchen Fall alles Nötige liefern – Vom Handwerker, der das Bad anpasst, bis zur Hilfe bei der Antragsstellung auf zustehende Fördermittel. So könnten die Menschen solange wie möglich in ihrem eigenen Zuhause wohnen bleiben, was Wagener für die beste Lösung hält. „Das ist der richtige Weg hier bei uns auf dem Land.“

Prototyp soll in Netphen in einem Jahr fertig sein

In drei Schritten soll das Projekt umgesetzt werden. In den kommenden sechs Monaten sollen zunächst die Anforderungen aller Beteiligten gesammelt werden. „Momentan haben wir die Vision“, sagt Johannes Zenkert, man habe jedoch noch nicht das „Wunschkonzert“ der Pflegeeinrichtungen und der Handwerker gehört. Auch der Kreis Siegen-Wittgenstein, die Südwestfalenagentur und lokale Einrichtungen wie der Verein „VergissMeinNicht“ sind als Partner angefragt.

Im zweiten Schritt soll das System dann implementiert werden, wahrscheinlich an die Homepage der Stadt Netphen angedockt. In einem Jahr, hofft Zenkert, wird der Prototyp fertig sein. Im dritten Schritt geht es dann an die Feinjustierung und die Evaluation. Denn das System sollen andere Kommunen dann übernehmen können – so, wie es für sie passt.

Vorreiterrolle in Siegen-Wittgenstein

Paul Wagener spricht von einer Vorreiterrolle für die Region. Die Stadt Netphen wolle vom Uni-Wissen profitieren und es in konkrete Ideen umwandeln. Das Ergebnis soll dann an andere Kommunen weitergegeben werden, „damit auch diese von unseren Erfahrungen profitieren können“.

Die Datenbank wird deshalb nach dem Baukastenprinzip konzipiert, erklärt Johannes Zenkert. Als Open Source Anwendung können andere Kommunen einfach die Bausteine übernehmen, die für sie passen, je nach Versorgungssituation, Wohnungsmarkt und wirtschaftlicher Lage.

Schon jetzt vergibt Christine Becker ein „großes Lob an die Stadt Netphen“. Sie berät Kommunen zur wohnortnahen Gesundheitsversorgung und sieht großes Potenzial in Lokal-digital. Verwaltungsarbeit funktioniere nicht mehr wie vor 30 oder 40 Jahren, sagt Becker, die Herausforderungen der Digitalisierung könnten Kommunen nur meistern, wenn sie offen für Veränderungen seien und mit externen Fachleuten kooperierten – genau wie Netphen mit der Uni Siegen.

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