Andreas Müller (SPD) will Landrat bleiben, Arne Fries (CDU) und Laura Kraft (Grüne) wollen es werden.
Andreas Müller ist noch unterwegs. Am Haus Ernsdorfstraße 3 warten die drei Kreuztaler SPD-Kreistagskandidaten auf ihn. Und Dietmar Braun, Geschäftsführer der Stiftung Diakoniestation. Er hat den Landrat eingeladen – was durchaus ungewöhnlich in Wahlkampfzeiten ist, in denen die Kandidaten in der Regel selbst um Besuchstermine nachsuchen. „Wir wollen einfach mal Dankeschön sagen“, sagt Dietmar Braun. Die Gruppe versammelt sich in dem Garten unter dem Bergahorn, der wahrscheinlich auch 1954 schon stand, als Friedrich Flick hier sein Haus baute. Seit 2006 gehört es der Diakoniestation, in 23 Wohnungen wohnen um die 30 alte Menschen, weitere zwölf in einer Demenz-WG. Andreas Müller ist inzwischen eingetroffen. Aus Kamen vom Nahverkehr Westfalen-Lippe kommt er, dessen Verbandsvorsteher der Siegen-Wittgensteiner Landrat auch noch ist. An der Autobahnabfahrt hat er noch das Auto gewechselt. Dienst ist Dienst, Wahlkampf ist Wahlkampf.iframe newsletter wp siegerland anmeldemaske
Arne Fries kommt aus dem Geisweider Rathaus heraus. Der Beigeordnete für Ordnung, Sport und Kultur hat sein Büro im Rathaus in Siegen – gerade ging es im Gespräch mit den Bau-Leuten um den Hallenbad-Neubau in Weidenau. Auch so eine Baustelle neben den ganzen Corona-Maßnahmen. Und den Kultur-Geschichten. Gerade hat er die Nacht der Lichter abgesagt, gerade ging es im Rat um die Kosten für die Erweiterung des Siegerland-Museums im Burgstraßen-Bunker. „Nicht zu früh aufgeben“, rät er. Stadtrat Arne Fries ist auf dem Sprung. Für die nächsten beiden Stunden des Nachmittags wird er sich in den CDU-Landratskandidaten verwandeln und eine Firma in Kreuztal besuchen. „Danach fahre ich wieder ins Büro.“ Die Tage sind lang.
Andreas Müller nimmt im Garten an der Ernsdorfstraße den Dank von Dietmar Braun an die Kreisverwaltung gern entgegen. Für das Krisenmanagement seit dem Corona-Ausbruch, für die Ausstattung mit Schutzartikeln, für die Beschaffung von Desinfektionsmitteln, deren Herstellung Siegerländer Unternehmen selbst in die Hand genommen haben. „Da sind ganz viele Rädchen gedreht worden“, sagt Dietmar Braun, der nun eigentlich schnell zur Sache kommen will. „Jetzt machen wir noch ein Foto, und dann sind wir auch schon fertig.“ Womit er die Rechnung ohne den Landrat macht, der blitzschnell umschaltet, ein Gespräch über ambulante und stationäre Pflege beginnt, über Wohnformen der Zukunft für alte Menschen. Bis der Regen einsetzt.
Den Kreis und die Menschen kennenlernen
Laura Kraft wird sich mit all diesen Themen in Zukunft ebenfalls intensiv beschäftigen. Sollte es ihr nicht gelingen, die zweite grüne Landrätin in Deutschland zu werden, wird sie Kreistagsmitglied – auch da ist sie Spitzenkandidatin. Anders als Arne Fries, der sich schon seit einem Jahr wie in einem Marathon auf den Wahlkampf vorbereiten konnte, legt die im Juni nominierte Neueinsteigerin nun einen Sprint hin. Macht sich bei den Menschen bekannt. Und lernt den Kreis aus ganz neuen Perspektiven kennen: „Wie viele Orte es mit schlechtem Handy-Empfang gibt.“ Und wie das mit dem öffentlichen Nahverkehr wirklich läuft, wenn man nicht mal nur vom Haardter Berg in die Stadt muss. „Wenn ich in Bad Berleburg bin, weiß ich, wann der letzte Zug nach Siegen fährt. Das ist schon enttäuschend.“
Arne Fries nimmt seinen Spagat zwischen Spaßmacher und Spaßbremse, den der Zuschnitt seines Dezernats in Siegen geradezu vorgibt, gelassen. „Das ist ein Konflikt“, räumt er ein. Aber einer, den er aushält, indem er sich auf Mitstreiter verlässt. „Es geht darum, die Mannschaft beieinander zu haben“, sagt er. Und: „Es ist nicht meins, selbst alles besser zu wissen.“ Arne Fries macht Tempo, in eigener Sache. Nicht erst als „Kommunalhandwerker“, wie er sich selbst, in Abgrenzung zum Kommunalpolitiker, sieht, in einer Vielzahl von Funktionen in der Kreisverwaltung. Sondern schon als Jugendlicher, als er mit 16 nach einem halben Jahr die Schreinerlehre in Freudenberg schmiss und im fernen Lippstadt auf die Beamtenlaufbahn umschwenkte. Ob er ehrgeizig sei? „Das bin ich durchaus.“
Laura Kraft lässt das Interesse an Politik und die Sympathie für das Siegerland zusammenkommen. 2010 ist die heute 29-Jährige aus dem Heimatort bei Kassel zum Studieren nach Siegen gekommen, wohnt in Weidenau auf dem Haardter Berg. „So eine schöne Region“, sagt sie, „die wird oft auch ein bisschen unterschätzt.“ Die Mischung aus Stadt und Land macht’s, sagt sie. Die Wälder zum Wandern, die Kultur in den Städten. Sie hat selbst Theater gespielt, singt im Chor. Als Uni-Mitarbeiterin ist ihr Verwaltung nicht fremd, stellt sie fest. Und als Wissenschaftlerin kann sie sich den distanzierten Blick auf den Apparat erlauben. Franz Kafka, über den sie gerade promoviert, macht den Menschen in der absurden Mühle der Bürokratie zum Helden. „Bei Kafka muss ich oft lachen.“
Über den Wahlkampf in Zeiten von Corona
Andreas Müller muss aufpassen. Politik hat er von der Pike auf gelernt, seit inzwischen gut 20 Jahren. Und die Freiheit genossen, die jungen Menschen zugebilligt wird. Im Alltag als Landrat hat der inzwischen 37-jährige Neu-Freudenberger schnell erfahren, wie seine Gegner ihn als Leichtfuß herabwürdigen – noch dazu, wo er bühnenerfahren ist, bei dem renommierten Ensemble TonArt sogar als Chorleiter. In diesem langen Wahlkampf schießt er aus allen Rohren dagegen und nutzt seinen Amtsbonus: Wohnungen, Talsperren, Schnellbusse – manchmal treibt er die Themen im Wochentakt übers Land. Corona, sagt er, hat den Menschen deutlich gemacht, wofür Kommunalpolitik wichtig ist. Große Politik oder die SPD sind selten Themen, über die Menschen mit ihm sprechen wollen. „Alle haben genug Sorgen in ihrem eigenen Lebensumfeld.“
Arne Fries weiß, dass die Krise den Amtsinhabern in die Hände spielt, überall. Dass er Themen wie Infrastruktur und Wirtschaftsförderung anders angehen will, dass er die Kreisverwaltung besser führen will, dass er für den Posten besser qualifiziert ist: „Entweder man nimmt mir das ab“, sagt er, „oder…“ Und beendet den Satz nicht. Der direkte Angriff gegen den politischen Gegner ist nicht sein Ding. „Dafür bin ich nicht der Typ. Das kann ich nicht, und das will ich nicht.“ Und irgendwann am Ende des Tages wird dann auch anderes im Leben wichtig: Der 48-jährige Oberheuslinger, der beim CVJM Trompete spielt, erzählt, wie sie sich beim Lockdown abends um 7 von Dorf zu Dorf ihre Melodie zugespielt haben.
Laura Kraft erfährt gerade, dass die Luft oben immer etwas dünner ist. Ja, sagt sie, es gibt diese guten Gespräche an Infoständen und auch bei anderen Gelegenheiten, wo Menschen Interesse zeigen an Politik, Themen benennen, sich zu Rentenbesteuerung, Maskenpflicht und Radwegebau äußern. Aber sie lernt auch, dass sie gerade die Blase verlässt, in der sie Gleichgesinnte um sich schart. „Ich war völlig überrascht, dass mir wildfremde Menschen wütende E-Mails schreiben. Und dass Menschen einem nicht wohlgesonnen sind, obwohl sie einen nicht kennen.“
Auf Tour: Von der Altenpflege ins Heimatmuseum
Andreas Müller wechselt das Thema. Er ist ja auch noch Vorsitzender des Heimatbundes, weiß von den existenziellen Nöten, in die das Virus die Vereine bringt. „Das Problem hat noch so keiner richtig auf dem Schirm.“ Nächste Station ist das Ferndorfer Heimatmuseum. Dort stellt Geschäftsführer Wolfgang Knauth den neuen Museumsverein und sein Programm vor. Andreas Müller bringt mal eben den aktuellen Stand aus der Fachszene in die Runde: zentrale Depots, digitale Katalogisierung. Leben und Wohnen im Alter scheint schon wieder ganz weit weg.
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