Siegen. Siegener vor Gericht: Er habe gefragt, sie seien mit allem einverstanden gewesen, auch mit härteren Sexpraktiken. Ihr Alter habe er nicht gewusst
Nicht gewusst, nicht dran gedacht, erst später erfragt, im Nachhinein erfahren… Der wegen sexuellen Missbrauchs mehrerer Minderjähriger angeklagte Siegener hangelt sich am zweiten Verhandlungstag vor der Jugendkammer des Landgerichts Siegen an Grenzen entlang.
Er äußert sich zu den Vorwürfen, hat auf jede Frage des Gerichts eine Antwort, schildert das, was er getan hat, sachlich, ruhig. Fast, als sei es das Normalste der Welt, mit „14-jährigen Jüngelchen“, wie es Richterin Sabine Metz-Horst irgendwann zugespitzt formuliert, sexuelle Praktiken auszuüben. Das Gericht will ergründen, inwieweit er wusste, dass er es mit Kindern im Sinne des Strafgesetzbuchs zu tun hatte, also mit unter 14-Jährigen. „Zwischen 13 und 14, das ist ein schmaler Grat“, so die Vorsitzende.
Den kleinen Bruder nebenan missbraucht – Zeuge schöpft keinen Verdacht
Auf diesem Grat zu balancieren, hatte der Angeklagte wohl versucht. Nun versucht er glaubhaft zu machen, einer der beiden Jungen, die er Ende Juni 2017 in seinem Schlafzimmer zu sexuellen Handlungen gezwungen haben soll, habe gesagt, „er wäre 14“. Auch im Fall des jüngeren Bruders seines damaligen festen Freundes, den er im Dezember 2018 zu sexuellen Handlungen trieb, habe er nach dem Alter „beim ersten Treffen nicht gefragt“; erst später habe dieser „einen jüngeren Eindruck“ gemacht.
Dem widerspricht der Ex-Freund als Zeuge, sie hätten über das Alter der Geschwister gesprochen. Offen blieb, warum er keinen Verdacht schöpfte, als der Mann 30 Minuten mit dem 13-Jährigen im Schlafzimmer verschwand – er war in der Wohnung. „Ich nahm an, dass er nichts machen würde“, so der Zeuge. Er selbst sei mit Schulsachen beschäftigt gewesen, habe gedacht, der kleine Bruder wolle die neuen Klamotten anprobieren. Nicht lange danach trennte sich der heute 19-Jährige vom Angeklagten, die „Beziehung“ mit dem jüngeren Bruder ging weiter. Selbst nachdem im Sommer 2020 klar war, dass die Polizei gegen den Mann ermittelt, trafen sie sich noch einmal in einem Waldstück. „Da war ich nicht mehr sicher“: Der Junge habe „Geld verdienen wollen“, er selbst „nochmal so’n bisschen glücklich sein“.
Siegener habe nicht gewusst, wie viele Kinderpornos er noch besitze
Ausloten einer Altersgrenze einerseits, „Einvernehmlichkeit“ andererseits: Der Angeklagte betont durchweg, die Teenager seien mit allem einverstanden gewesen. Er habe stets zuvor gefragt, selbst bei härteren Sexpraktiken („ich habe einen Fetisch“), fotografieren, filmen – alles zuvor geklärt. Die Jungen hätten zu Beginn nervös gewirkt, vielleicht belustigt, Panik habe er nicht festgestellt. Jederzeit hätten sie die Wohnung verlassen können, wenn gewollt. Geschrien habe keiner. Dass der Mann die Minderjährigen in den meisten Fällen bezahlt haben soll, streitet er nicht ab. Seit seiner Jugend („ich hatte Probleme mit meinem Selbstwert“) habe er „Liebe für Geld“ bekommen.
Weiterer Anklagepunkt: Dass er so viele Datenträger mit kinder- und jugendpornografischem Material besitze, sei ihm nicht bewusst gewesen – auch nach einem Strafverfahren von 2015 nicht. Chat-Verläufe habe er doch regelmäßig gelöscht. Das Gericht will dem am 8. März nachgehen.
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