Wennemen. Kunstschmied Rafael Jürgens aus Wennemen bei Meschede restauriert regelmäßig Kirchturmkugeln - und findet dabei so einige Schätze.
Dokumente, Urkunden, Knochen – in vielen Goldkugeln auf unseren Kirchtürmen stecken Schätze. Unsere Vorfahren nutzten die Kugeln als Zeitkapseln. Kunstschmied Rafael Jürgens aus Wennemen bringt diese Geheimnisse regelmäßig ans Tageslicht.
Millionen gefunden
„Ich war für kurze Zeit Millionär.“
An einen Schatz erinnert er sich besonders. Er war damals noch in der Lehre und arbeitete mit seinem Vater an einer Kirche in Bellersen. In seinem Berichtsheft schilderte er den Fund aus dem September 1997 genau: Ein Vier-Pfennig-Stück und drei Drei-Pfennig-Stücke waren in zwei Zwei-Million-Markscheine eingewickelt. Der eine Schein war datiert auf das Jahr 1930, der andere, so vermutete der Lehrling damals, müsste aus dem Jahr 1865 stammen. In diesem Jahr war das Turmkreuz aufgestellt worden. „Ich war für kurze Zeit Millionär“, sagt der Schmied heute mit einem Augenzwinkern. Den Schatz hat er selbstverständlich nicht behalten.
Umschlag aus Blei
Alles zusammen war in eine Bleirolle eingewickelt. Auf der Innenseite dieses bleiernen Umschlags waren die Namen des Pastors und des Kunstschmieds, der an der Erschaffung des Turmkreuzes beteiligt waren, punziert.
Urkunden und Zeitungen
Häufig sind es Urkunden und kirchliche Dokumente, handschriftliche Notizen über die Renovierung oder politische Ereignisse, die Jürgens findet, wenn er die Kugeln für die Restaurierung öffnet. „Die Menschen legten hinein, was ihnen zu dieser Zeit wichtig erschien.“ In der Kugel des Iserlohner Kiliansdoms, die Jürgens Anfang des Jahres 2024 restaurierte, steckte beispielsweise auch ein Exemplar der Westfalenpost.
Wie ein Kochtopf
Oft wurden die Schriftstücke gerollt und in Flachmännern aus Glas oder in Kupferröhren gesteckt, die dann mit Lötzinn oder mit Teer und Hanf verschlossen wurden. Vor allem Feuchtigkeit schadet den Dokumenten. Wenn die Kupferkugeln von der Sonne beschienen werden, herrschen innen hohe Temperaturen. „In Verbindung mit Wasser werden sie regelrecht zu Kochtöpfen“, so Jürgens.
Blitze, Sturm und Vogelkot
Generell sind die Turmspitzen starken Kräften ausgesetzt. Sturm, Sonne, Blitze und Vogelkot setzen dem Material zu. Dringt erst einmal Feuchtigkeit ein, blüht der Rost. Das Material platzt innen auf, bildet regelrechte Blüten und muss dann dringend saniert werden. Auch das Tragwerk kann Schaden nehmen.
Kreuz kracht in Auto
Wenn dann das Holz in der Unterkonstruktion einmal faule, werde es richtig gefährlich, so Jürgens. Ein Beispiel: In Dortmund war 2022 nach dem Orkan Zeynep ein zwei Meter langes Kreuz vom Turm der St.-Gertrudis-Kirche auf ein parkendes Auto gestürzt. Verletzt wurde glücklicherweise niemand. Aber Rafael Jürgens hat stets ein mulmiges Gefühl, wenn er an Kirchen vorbeigeht. „Ich sehe sofort, wenn der Hahn nicht gerade steht.“ Kirchtürme müssten seiner Meinung nach deutlich häufiger als alle 60 Jahre überprüft werden.
Geheimnis der Einschusslöcher
Längst nicht in jeder goldenen Kugel steckt ein Geheimnis. Meistens nur in den großen Kugeln der Haupttürme und in den alten Exemplaren, so Jürgens‘ Beobachtung. Doch so gut wie jede Kugel hat Einschusslöcher. „Deshalb habe ich auch schon Projektile darin gefunden. Manche steckten sogar noch in den Kugeln.“ Die Löcher stammen laut Jürgens nicht aus Fehlschüssen im Krieg, wie häufig angenommen werde. „Nach dem Krieg verschossen die Bürger die übriggebliebene Munition. Sie zielten dabei auf den Wetterhahn, der sich bei einem Treffer natürlich drehte.“ Oft bekamen dabei auch die Kugeln etwas ab.
Bei seinen Restaurierungen lässt er die Einschusslöcher in den Hähnen als Erinnerung. Die Löcher in den Kugeln werden verschlossen (Feuchtigkeit!), aber sind von außen noch als leichte Dellen zu erkennen.
Zeitkapseln von heute
Auch heute werden noch Zeitkapseln eingesetzt. Zuletzt waren Vertreter der Gemeinde aus Heiligenhaus bei einer feierlichen Zeremonie in seiner Werkstatt dabei. In der verschlossenen Kapsel steckte unter anderem einen Bericht über die Coronazeit. Aber auch Visitenkarten der beteiligten Handwerker finden manchmal den Weg in die Kugeln.
Schiefer und Denkmalschutz
Die meisten Kugeln, die Jürgens restauriert, messen 50 bis 60 Zentimeter im Durchmesser und haben viele Formen: hoch oval, flach oval, mit oder ohne Wulst, glatt oder mit Verzierungen. Gute 90 Stück hat er in den vergangenen Jahrzehnten bearbeitet. Durch die Kooperation mit dem Dachdeckerbetrieb Prange aus Brilon, der sich auf Schieferarbeiten und Denkmalschutz spezialisiert hat, kamen viele kirchliche Aufträge hinzu. Derzeit machen Turmziersanierungen und Erneuerungen rund 35 Prozent seiner Aufträge aus.
1000 Blätter Blattgold
Nach der Restaurierung folgt die Vergoldung. Hierfür trägt Jürgens nach einer Grundierung in Gelb Blattgold auf. Gut 1000 Post-it-große Blätter hat er beispielsweise für den Engel und die Kugel auf der St.-Walburga-Kirche in Meschede verwendet. Nach dieser Fleißarbeit folgt dann der Kraftakt. Denn Kreuz, Kugel und Wetterhahn müssen auch wieder auf der Spitze montiert werden. Allein das Tragwerk für die Herz-Jesu-Kirche in Münster wog zum Beispiel 160 Kilogramm und wurde dann ohne Kran in 96 Metern Höhe montiert.
Und wie sieht es mit den Kugeln in Meschede aus? Jürgens ist sich sicher, dass auch diese Geheimnisse verbergen. Ausschließen kann er jedoch das Exemplar auf der Wennemer St.-Nikolaus-Kirche. Die hat Jürgens Vater Heinrich vor 35 Jahren erneuert - hübsch und von hoher Kunst, aber ohne Schatz.