Meschede. Der Fachkräftemangel ist schon lange ein Thema im Handwerk - jetzt wird er in Meschede auch für die Kunden bei der Bäckerei Polle spürbar.

Der Fachkräftemangel ist schon lange bei den Mescheder Bäckern angekommen. Doch jetzt spüren ihn auch erstmals die Kunden in Meschede direkt. Die Bäckerei Polle reduziert ihre Öffnungszeiten.

Seit zehn Jahren keinen Lehrling gefunden

Ernst Polle hatte bis zuletzt versucht, einen Lehrling zu finden, ohne Erfolg. Zuletzt bildete er vor zehn Jahren aus. Seitdem arbeitete er allein mit zwei Gesellen. In einem früheren Interview hatte er bedauert, dass sich niemand mehr finde, der den Beruf noch lernen wolle. Und das, obwohl das Bäckerhandwerk in den letzten Jahren bei den Kunden an Wertschätzung gewonnen habe. „Aber er scheint für die jungen Leute einfach zu wenig attraktiv zu sein.“

Jetzt also hat einer der zwei Gesellen auch noch gekündigt. Ersatz sei nicht zu finden. Ernst Polle ist 66, seine Frau 65, sie könnten in Rente gehen, wollen aber gern noch weitermachen. „Uns fehlt ein Hobby“, sagt Ernst Polle mit einem Augenzwinkern. Allerdings sei das Pensum mit nur einem Gesellen nicht mehr zu schaffen. „Wir haben lange überlegt, an welchem Tag wir schließen und uns dann für den Samstag entschieden.“

Ab dem 24.Juni gibt es samstags keine Brötchen mehr bei der Bäckerei Polle.
Ab dem 24.Juni gibt es samstags keine Brötchen mehr bei der Bäckerei Polle. © WP | Ute Tolksdorf

Entscheidung fürs längere Wochenende

Er sei, auch wenn viele dann Brötchen einkauften, der beste Tag. Montags müssten sich nach dem Wochenende alle wieder mit Brot eindecken, der Dienstag sei - wie auch der Freitag - als Markttage traditionell gut besucht. „Am Samstag müssen wir auch nur einen halben Tag schließen. Das ist wichtig für die Mitarbeiterinnen, die so nur wenige Stunden verlieren.“ Und nicht zuletzt, hätte auch das Ehepaar so erstmals ein längeres Wochenende, bevor es sonntags schon wieder ins Büro geht.

Jochem Hunecke, Geschäftsführer der Kreishandwerkerschaft.
Jochem Hunecke, Geschäftsführer der Kreishandwerkerschaft. © WP | Privat

Das sagt die Kreishandwerkerschaft

Jochem Hunecke, Geschäftsführer der Kreishandwerkerschaft in Meschede-Enste und damit zuständig für fast alle Bäcker im HSK, kennt die Nachwuchssorgen. Gerade erst hat die Freisprechungsfeier stattgefunden: Acht Bäckereifachverkäuferinnen absolvierten die Prüfung - kein einziger Bäcker. Alle Lehrlinge hätten nach und nach aufgehört. Ein Trend, den man auch in den Vorjahren schon beobachten konnte und den es auch bei Fleischern oder Köchen und im Bauhauptgewerbe gebe.

>>>Lesen Sie auch: Neue Entwicklung am Hennesee: Meating by Davut<<<<

Klar seien die Berufe anstrengend, die Arbeitszeiten gerade bei den Bäckern für viele nicht attraktiv. „Man muss früh raus und hat frei, wenn die anderen noch arbeiten.“ Dazu komme die demografische Entwicklung, der Wettbewerb mit der Industrie um die geringer werdende Zahl an jungen Auszubildenden und die zunehmende Zahl an Abiturienten. All’ das sei ja hinlänglich bekannt.

Schlechte Erreichbarkeit

Er nennt einen weiteren Aspekt: „Wie erreicht ein junger Mensch ohne Führerschein um zwei oder drei Uhr morgens beispielsweise den Ausbildungsbetrieb Franzes in Berge oder Vielhaber in Stockum? Ich denke nicht, dass man da mit dem ÖPNV hinkommt. Früher gab es in jedem Ort einen Bäcker, da ging man im Zweifel zu Fuß hin.“ Das ist auch ein Problem für Asylbewerber oder Ukrainer, die oftmals in Dörfern wohnen und keinen eigenen Pkw haben.

Mit einer großangelegten Werbekampagne hat die Kreishandwerkerschaft um Auszubildende geworben - vergebens.
Mit einer großangelegten Werbekampagne hat die Kreishandwerkerschaft um Auszubildende geworben - vergebens. © Unbekannt | Innung

Bemühungen um Asylbewerber und Ukrainer

Dabei habe sich gerade das Handwerk auch um diese Gruppen bemüht. Es gibt einzelne Erfolgsgeschichten, wie Hunecke erklärt, die von Bleonita Sejdiu aus Marsberg zum Beispiel, die erst drei Jahre vor ihrem Abschluss als Bäckereifachverkäuferin aus dem Kosovo gekommen war und als Deutsche Meisterin ihren Abschluss machte. Aber die meisten gäben schnell wieder auf.

>>>Lesen Sie auch: In diesen Bäckereien gibt es die besten Brötchen im HSK<<<

Hunecke ist trotzdem überzeugt, dass das Lebensmittelhandwerk eine Zukunft hat. „Es gibt gute Chancen, bis hin zur Selbstständigkeit im eigenen Betrieb. Wir müssen immer wieder darauf hinweisen, dass wir die jungen Leute brauchen.“

Der Geschäftsführer der Kreishandwerkerschaft hat aber auch viel Verständnis für Ernst und Brunhilde Polle. „Für die meisten von uns ist doch eine Fünf-Tage-Woche selbstverständlich.“ Er könne gut verstehen, dass ein Bäcker, der das Rentenalter schon erreicht hat, einen Tag in der Woche streicht, nachdem er Jahrzehnte in einem anstrengenden Job gearbeitet hat.

Das ist auch die Resonanz die das Ehepaar Polle im Geschäft erleben, obwohl samstags ab dem 24. Juni geschlossen bleibt. „Die meisten haben Verständnis und sagen, sie sind froh, dass wir überhaupt weitermachen.“

HINTERGRUND

abgeschlossene Lehrverträge in den Mitgliedsbetrieben der Kreishandwerkerschaft:

2023: bisher drei;

2022 (aktuell im ersten Lehrjahr): vier Auszubildende;

2021 (aktuell im zweiten Lehrjahr): vier Auszubildende;

2020: keiner hat die Prüfung abgeschlossen (alle hatten nach und nach aufgehört);

2019: fünf Auszubildende

2018: neun Auszubildende